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Elegante DDR-Betonbaute­n

Mecklenbur­g-Vorpommern: Wismarer Forscher ordnen den Nachlass von Ulrich Müther

- Von Iris Leithold, Wismar

Ulrich Müther gehört zu den bedeutends­ten deutschen Baumeister­n nach 1945. Forscher ordnen jetzt den Nachlass – auch als Beitrag zum Erhalt bedrohter Bauten. Denn nicht alle sind so gut in Schuss wie der »Teepott« in Warnemünde. Ulrich Müther hat der Welt von Rügen aus gezeigt, wie elegant Beton sein kann. Kühn schwingen die Dächer seiner Veranstalt­ungshallen, Restaurant­gebäude und Kirchen. Sein Rettungstu­rm in Binz auf Rügen (Mecklenbur­g-Vorpommern) steht wie ein Ufo in den Dünen und ist noch heute, mehrere Jahrzehnte nach seinem Bau, ein beliebtes Fotomotiv. Von Müthers Firma stammen auch das Planetariu­m in Wolfsburg und eines in Libyen, eine Radrennbah­n auf Kuba, Bobbahnen und eine Moschee in Jordanien. Von den 1960er bis 1980er Jahren war Müther (1934-2007) der König des Betonschal­enbaus in der DDR und mit anderen Größen seiner Zunft, wie dem Mexikaner Felix Candela, weltweit vernetzt.

Die Bedeutung dieses Bauingenie­urs, dessen Spezialitä­t sogenannte hyperbolis­che Paraboloid­schalen (kurz: Hyparschal­en) waren, wird soll nun in Wismar im Norden Mecklenbur­g-Vorpommern­s akribisch wissenscha­ftlich aufgearbei­tet werden. Möglich macht dies ein vom Bundesbild­ungsminist­erium geförderte­s Kooperatio­nsprojekt der Hochschule Wismar und des Archivs der Akademie der Künste in Berlin, das im März gestartet wurde. Zwei Personalst­ellen in Wismar, für einen Wissenscha­ftler und eine Archivarin, ermögliche­n es, den dort seit dem Jahr 2006 lagernden Nachlass von Ulrich Müther zu sichten, zu ordnen und aufzuberei­ten.

Die Aufgabe ist groß: 270 Regalmeter Akten und mehrere tausend Originalze­ichnungen zu den 74 er- richteten, 38 nicht verwirklic­hten und rund 50 noch erhaltenen Müther-»Schalen« hütet die Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar. Hinzu kommen Architektu­rmodelle. Das Forschungs­projekt sichert die Personalst­ellen sowie die fachliche Beratung durch die Akademie der Künste Berlin zunächst bis zum Februar des Jahres 2020.

Nicht nur wegen der zeitlichen Begrenzung des Projektes ist Eile geboten. Das Archiv will auch einen Beitrag leisten, um bedrohte Müther-Bauten zu erhalten. Parallel zur Erschließu­ng der Bestände bringt das Müther-Archiv deshalb Broschüren zu bedeutende­n Bauwerken heraus. Das jüngste ist den sechs Schalenbau­ten Müthers in Sachsen-Anhalts Landeshaup­tstadt Magdeburg gewidmet. Dazu gehört sein größter noch erhaltener Bau, die im Jahr 1969 als Messehalle errichtete Hyparschal­e im Park Rothehorn. Sie ist in desolatem Zustand, der Beton hat Risse. Das Gebäude wurde deshalb schon vor Jahren baupolizei­lich gesperrt.

»Wir wollen die Müther-Bauten und ihre Qualität bekannter machen«, sagt der Leiter des Archivs, Matthias Ludwig, der an der Fakultät Gestaltung der Hochschule in Wismar lehrt. Für viele der Bauten gebe es keine Öffentlich­keit und damit auch kein Bewusstsei­n, dass es sich dabei um wichtige Beiträge aus der DDR zur Architektu­r der Moderne handelt. Klar sei: »Der beste Schutz für Gebäude ist Öffentlich­keit.«

Erste Erfolge zeigen sich: Die Stadt Magdeburg will die Hyparschal­e vom Rothehorn-Park sanieren. Die Stadtvertr­etung hat dafür im Juni 1,7 Millionen Euro freigegebe­n. Wie das seit Jahren leerstehen­de Gebäude danach genutzt werden soll, ist noch unklar. Es gibt auch andere Schicksale: Eines der bekanntest­en Gebäude Müthers, das Restaurant »Ahornblatt« im Zentrum Berlins, ist im Jahr 2000 abgerissen worden.

Der jüngste Abriss geschah nach Ludwigs Worten vor zwei Jahren in Ralswiek auf Rügen. »Es handelte sich um eine hölzerne Konzertmus­chel von Müther mit geschwunge­ner Schalenkon­struktion auf dem Gelände der Störtebeke­r-Festspiele«, sagt er. Der Bau habe nicht unter Denkmalsch­utz gestanden.

Der »Teepott« neben dem Leuchtturm von Warnemünde hingegen ist ein beliebter und für den Tourismus genutzter Blickfang. Ein futuristis­cher Rettungstu­rm am Strand von Binz ist heute Standesamt und wird derzeit saniert. Die Konzertmus­chel von Sassnitz wird nach Ludwigs Worten ebenfalls restaurier­t und soll wieder in ihrer alten Funktion genutzt werden.

Das aufgearbei­tete Müther-Archiv soll auch neu eingericht­ete Archivräum­e im Dachgescho­ss der Fakultät Gestaltung in Wismar bekommen. Ludwigs Pläne gehen noch weiter: Er will weitere bauingenie­urtechnisc­he und architekto­nische Leistungen in den früheren DDR-Nordbezirk­en aufspüren und im Archiv für die Zukunft bewahren.

Ein Beispiel dafür ist die »REH«, die »Raumerweit­erungshall­e«, die vielerorts in der DDR zu finden war. Dabei handelte es sich um eine Leichtbauh­alle aus bis zu acht teleskopar­tig ausziehbar­en Tunnelelem­enten. Ineinander­geschoben konnten die Elemente einer ganzen Halle auf einem Lastwagen-Anhänger transporti­ert werden. »Hergestell­t wurde die ›REH‹ von einer Firma in Boizenburg«, sagt Ludwig.

Viele der nach der Wende noch vorhandene­n Exemplare seien verschrott­et worden, erklärt Ludwig. Er will die »REH« vor dem Vergessen bewahren. Die Hochschule Wismar könnte sich gut vorstellen, dass auch der Nachlass des Boizenburg­er Firmengrün­ders in das Müther-Archiv aufgenomme­n wird, sagt er.

 ?? Foto: dpa/Stefan Sauer ?? Soll endlich restaurier­t und wieder genutzt werden: Ulrich Müthers Konzertmus­chel in Sassnitz auf der Insel Rügen
Foto: dpa/Stefan Sauer Soll endlich restaurier­t und wieder genutzt werden: Ulrich Müthers Konzertmus­chel in Sassnitz auf der Insel Rügen
 ?? Foto: dpa/Stefan Sauer ?? Binz im Juli 2004: Ulrich Müther vor seinem futuristis­chen Rettungstu­rm, der 1981 aufgestell­t wurde.
Foto: dpa/Stefan Sauer Binz im Juli 2004: Ulrich Müther vor seinem futuristis­chen Rettungstu­rm, der 1981 aufgestell­t wurde.
 ?? Foto: dpa/Jens Büttner ?? Archivarin Antje Liebermann präsentier­t das »Teepott«Modell im Wismarer Müther-Archiv
Foto: dpa/Jens Büttner Archivarin Antje Liebermann präsentier­t das »Teepott«Modell im Wismarer Müther-Archiv
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Foto: dpa/Stefan Sauer Gut besucht: der »Teepott« in Warnemünde

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