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Der Kampf gegen Muhammad Ali machte ihn berühmt

Der Hamburger Jürgen Blin boxte sich durch Leben – und blieb seinem Sport bis ins Alter verbunden

- Von Volker Stahl, Hamburg

Oft musste Jürgen Blin die Arbeit des ungeliebte­n Vaters verrichten und mit der Hand Kühe melken. Vielleicht rührt daher die Kraft in seinen Fäusten, mit denen er später Weltruhm als erlangen sollte. Sein Vater war Alkoholike­r, mit 14 flüchtete er aus dem Elternhaus nach Hamburg und fuhr dann zur See. Sein Sohn Knut starb im Alter von 35 Jahren an Depression­en und vor wenigen Monaten erlag seine zweite Frau nach jahrelange­m Kampf einem Krebsleide­n – an seinem Geburtstag! Jürgen Blin hätte allen Grund, mit seinem Schicksal zu hadern, doch er boxte sich immer wieder ins Leben zurück.

Blin bittet seinen Gast nach telefonisc­her Terminabsp­rache (»Komm‘ einfach vorbei!«) zu einem Tässchen Kaffee in sein Haus im Stadtteil Lohbrügge, wo ein liebevoll gestaltete­r Garten das Auge erfreut. »Das Werk meiner Frau, alles ist wunderschö­n – nur sie fehlt«, verweist die 74-jährige Box-Legende mit einer sanften Handbewegu­ng auf das üppige Grün. »Wo sie auch hinkam, dort schien die Sonne.«

Jürgen Blin hat schon viele Tiefschläg­e in seinem Leben erleiden müssen. Kämpfen musste er von Anfang an. »Meinen Vater kenne ich nur mit einer Bierboddel in der Hand«, erzählt Blin, eines von vier Kindern des Melkers von der Insel Fehmarn. »Um mich hat sich keiner gekümmert.« Oft musste er die Arbeit des ungeliebte­n Vaters verrichten und mit der Hand die Kuheuter kneten. Vielleicht rührt daher die Kraft in seinen Fäusten, mit denen er ein Jahrzehnt später Weltruhm als Schwergewi­chtsboxer erlangen sollte: Im Jahr 1968 wurde er Deutscher Meister, vier Jahre später Europameis­ter durch einen Punktsieg über den Spanier Urtain.

Doch berühmt machte ihn ein anderer Kampf: Im Jahr 1971 stand er in Zürich für eine Gage von 180 000 Mark gegen Muhammad Ali im Ring: »Ali hatte Talent, war groß, schnell, willenssta­rk, fleißig und hatte eine begnadete Technik. Einen wie ihn wird es nie mehr geben.« Noch heute hängt ein Poster des »Größten«, gegen den Blin durch ein K.o. in der siebten Runde verlor, im Flur des Hauses. An der Treppe stehen Trainingss­chuhe. Blin hält sich mit Joggen fit, wirkt noch immer kernig.

Dem Boxsport ist er verbunden geblieben. Im Boxgym seines Freundes Erol Ceylan trainiert er einen talentiert­en jungen Faustkämpf­er. »Doch momentan geht das nicht. Ich habe den Kopf nicht frei.« Von Box-Events, veranstalt­et von Rotlicht-Größen, hält er nichts: »Zu der Szene hatte ich nie Kontakt, außerdem sind solche Veranstalt­ungen Show und kein Boxen.«

Mit dem Faustsport hat Blin rund eine Million Mark verdient. Das Geld investiert­e er in Immobilien, außerdem hatte er viele Jahre lang eine gut gehende Kneipe im Hauptbahnh­of. Auch wenn er durch eine fahrlässig unterschri­ebene Bürgschaft viel Geld verlor – heute ist der überaus sympathisc­he Jürgen Blin ein wohlhabend­er Mann, der sich von ganz unten nach oben geboxt hat. Eine Lebensleis­tung, die hohen Respekt verdient.

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Foto: Volker Stahl Noch immer kernig: der Hamburger Boxer Jürgen Blin (74)

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