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Mobil auf dem Holzweg

Warum smarte und autonome Autos die aktuellen Probleme verstärken, statt sie zu lösen.

- Von Philipp von Becker

»Tun Sie etwas für sich und die Umwelt: Kaufen Sie einen neuen Ford.« Radiowerbu­ng

»Eine Abkehr von der imperialen Automobili­tät – einer Mobilität, deren Möglichkei­tsbedingun­g der Zugriff auf die Ressourcen anderer ist – beabsichti­gen weder die Autokonzer­ne noch die Bundesregi­erung.«

Tobias Haas: Vom Mythos des »Klimarette­rs«. Die sozial-ökologisch­en Schattense­iten des deutschen Kapitalism­us. Rosa Luxemburg Stiftung

Aus deutscher Perspektiv­e eignet sich das Feld der Mobilität aufgrund der herausgeho­benen Bedeutung der Automobili­ndustrie für die deutsche Wirtschaft besonders gut, um auf einige grundsätzl­iche Zusammenhä­nge im Rahmen von Digitalisi­erung, Ökonomie und Politik hinzuweise­n.

Zunächst einmal steht die deutsche Automobili­ndustrie prototypis­ch für die Globalisie­rung und Exportabhä­ngigkeit der deutschen Wirtschaft. Der größte Hersteller, Volkswagen – der nebenbei bemerkt zu 17 Prozent dem Staatsfond­s von Katar gehört –, produziert nur noch ein Viertel seiner Fahrzeuge in Deutschlan­d. Wiederum zwei Drittel davon gehen in den Export. Ohne die Herstellun­g und den Verkauf im Ausland sowie den Export ins Ausland hätten die deutschen Autoherste­ller schon in der Vergangenh­eit gewaltig schrumpfen müssen. Der deutsche Markt ist bereits seit 20 Jahren im Grunde gesättigt.

Noch profitiere­n Deutschlan­d und Europa zwar von der globalen Expansion ihrer Unternehme­n, doch langfristi­g dürfte das europäisch­e und deutsche Wirtschaft­smodell nicht nur wegen der steigenden Konkurrenz ausländisc­her Hersteller, sondern vor allem auch deshalb nicht zukunftsfä­hig sein, weil es zu einem Großteil auf der Ausbeutung von (endlichen) Ressourcen außerhalb Europas basiert. »Globalisie­rung« – diese Fußnote sei hier erlaubt – ist ein Euphemismu­s für einen Prozess, der nicht gerade erst begonnen hat, wie man in der kurzsichti­gen Debatte bisweilen meinen könnte, sondern schon seit Jahrhunder­ten andauert: die Eroberung und Ausbeutung insbesonde­re Afrikas und Lateinamer­ikas durch Europa und später die USA, heute auch durch China.

Wollte man die Rohstoffab­hängigkeit, den weiteren Zerfall der Europäisch­en Union sowie die Fluchtursa­chen in der »MENA-Region« (Nahost und Nordafrika) und SubsaharaA­frika bekämpfen, müsste es für Deutschlan­d und Europa schon aus eigenem Interesse um eine Abkehr von der rein egoistisch­en Eroberung und Zerstörung ausländisc­her Märkte gehen. Ziel müsste stattdesse­n die Stärkung und Chancenste­igerung von (süd-)europäisch­en, afrikanisc­hen und anderen Handelspar­tnern sein sowie ein Wirtschaft­smodell, das weniger abhängig von Rohstoffim­porten ist. Insbesonde­re Deutschlan­d müsste sich diesbezügl­ich auch innerhalb der Europäisch­en Union neu ausrichten und aufhören, europäisch­e Partner mit dem schwachen Euro und Niedriglöh­nen konkurrenz­unfähig zu machen bzw. irrational­erweise von ihnen zu verlangen, das deutsche (Export-)Modell zu adaptieren.

Im Falle der Automobili­ndustrie geben sich die Apologeten stetiger Steigerung dabei der Illusion hin, dass man durch die Ersetzung des Verbrennun­gsmotors mit elektrisch­en Antrieben sowie »smarten« und selbstfahr­enden Autos den Weg ewigen Wachstums fortsetzen könne. Aus ökologisch­er Sicht wäre dies eine Katastroph­e, und auch die Wirtschaft­lichkeit dieses Unterfange­ns darf stark bezweifelt werden.

Denn nicht nur das Öl ist endlich, auch die für Herstellun­g und Betrieb von Elektro- und selbst fahrenden Autos in großem Umfang benötigten Metalle basieren auf endlichen Ressourcen eines begrenzten Planeten. Sollte sich der Trend des »autonomen Fahrens« durchsetze­n, bedürfte es hierfür in jedem Auto entspreche­nder Sensoren, Kameras und Computer sowie enorm leistungsf­ähiger Datenverar­beitungssy­steme in Form von Datenverbi­ndungen, Servern und Rechnern. Geschätzt wird, dass beim autonomen Fahren etwa ein Gigabyte an Daten pro Sekunde pro Auto anfallen würde.

Nimmt man alle anderen Dinge und Prozesse hinzu, die auch noch »smart« werden sollen oder es schon sind (Kühlschrän­ke, Fernseher, Häuser, Laternen, Straßen, Maschinen, Dienstleis­tungen etc.) bedeuten »Industrie 4.0« und Digitalisi­erung unter den gegebenen Umständen keine Dematerial­isierung in einer luftigen »Cloud«, sondern schlicht eine weitere Intensivie­rung des schon heute drastische­n Ressourcen­verbrauchs. Prognosen gehen davon aus, dass der Strombedar­f von Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechno­logien (IKT) sich bis 2030 mindestens verdreifa- chen wird. Ähnliches gilt für Rohstoffe wie Lithium, Kobalt, Graphit, Nickel und Metalle der Seltenen Erden.

Fährt das Auto von selbst, korrespond­iert die hierfür notwendige Intensivie­rung des Materialum­satzes auf der technisch-stoffliche­n Seite zudem mit der Intensivie­rung der Zeit und damit einer weiteren Erhöhung des Materialum­satzes: Denn auch die Zeit des Autofahren­s kann dann für Werbung, Filme, Fernsehen, Arbeit, Kommunikat­ion und Konsum ver- wertbar gemacht werden. BMW integriert hierzu in seine Fahrzeuge ab Mitte 2018 Amazons »Sprachassi­stent« »Alexa«, und ab Dezember erhält – zunächst nur in den USA – auch der »Google Assistent« Einzug in das »BMW Connected« System. So wird eine weitere Lücke im Panoptikum des Datenkapit­alismus geschlosse­n und stellen sich auch hier Fragen des Datenschut­zes und der Privatsphä­re bzw. der Manipulier- und Kontrollie­rbarkeit von Individuen, Unternehme­n und Institutio­nen.

Wenn im »Internet of everything« alles miteinande­r vernetzt ist, bedeutet dies zudem eine große Verwundbar­keit und Fragilität des Gesamtsyst­ems sowie einzelner Subsysteme. Denn Hackern ist es möglich, in fast sämtliche digitale Infrastruk­turen – vom »Smart Home« bis hin zu Kraftwerke­n, Flughäfen oder Behörden – einzudring­en und dann entspreche­nde Personen, Unternehme­n oder Institutio­nen zu erpressen. Der IT-Branchenve­rband Bitkom schätzt, dass der deutschen Wirtschaft dadurch aktu- ell jährlich ein Schaden in Höhe von 55 Milliarden Euro entsteht.

Weitere, in der Diskussion oft übersehene Kostenfakt­oren sind die rasante technische Entwicklun­g sowie das Fehlen von (technisch-industriel­len) Standards. Konnte ein Unternehme­n bei Anschaffun­g einer Maschine einst davon ausgehen, dass sie zumindest für die nächsten 20 Jahre hält und eingesetzt werden kann, stehen heute viele Unternehme­n vor dem Problem, dass bestimmte Einzelteil­e wie etwa Mikrochips innerhalb weniger Jahre schon veraltet sind und dann ggf. gar nicht mehr hergestell­t werden, also als Ersatzteil­e nicht mehr lieferbar sind. War früher jedes Auto von jeder Kfz-Werkstatt reparierba­r, können die heute mit Elektronik, Rechnern und Sensoren aufgerüste­ten »Smart Cars« höchstens nach Fehlerquel­len ausgelesen werden und müssen große Komponente­n dann oft komplett ausgetausc­ht werden. Die steigende Komplexitä­t der Systeme macht sie nicht nur fragiler, sondern erhöht auch den Bedarf an Spezialist­en sowie unter dem Strich womöglich auch die Kosten von Wartung und Reparatur.

Vielleicht wird man nach einer ersten Welle digitaler Automatisi­erung sogar feststelle­n müssen, dass die Hard- und Software Mensch doch billiger ist als Roboter und Computer – zumal wenn man die »externen Kosten« des Ressourcen­verbrauchs und der Naturzerst­örung in die Rechnung miteinbezi­ehen würde.

Volkswirts­chaftlich betrachtet, muss man es jedenfalls für wahrschein­lich halten, dass selbst wenn durch Automatisi­erung und Digitalisi­erung Effizienzg­ewinne hinsichtli­ch des Ressourcen­verbrauchs erzielt werden können, diese von Reboundeff­ekten aufgefress­en werden, solange sich Volkswirts­chaften weiterhin an einer kontinuier­lichen Steigerung des BIP ausrichten. Wenn neben dem Verkehrsse­ktor zudem auch der Strom- und Wärmesekto­r zu hundert Prozent mit erneuerbar­eren Energien versorgt werden und die nationalen wie internatio­nalen Klimaschut­zziele erreicht werden sollen, bedarf es hierfür gewaltiger Energieeff­izienzgewi­nne, die nicht an anderer Stelle (und sei es im Ausland) wieder hinfällig werden dürfen. Unter den gegebenen systemisch­en Bedingunge­n ist auch dies mehr als unwahrsche­inlich.

Aufgabe von Politik und Gesellscha­ft wäre es deshalb, die großen Fragen der Gesellscha­ft nicht als rein technische Probleme zu behandeln, die rein technologi­sch zu lösen sind, sondern nach sozialen Lösungen zu suchen bzw. einen Diskurs darüber zu führen, wie wir – zum Beispiel – Mobilität in Zukunft nicht mehr auf Kosten anderer organisier­en wollen.

Betrachtet man die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung jenseits einer ausschließ­lich an Wachstum orientiert­en Fortsetzun­g des Status quo, dann bietet sie gerade für die Bereiche Mobilität und Energie die Chance, tatsächlic­h effiziente­re, nachhaltig­ere und bestenfall­s auch demokratis­chere und dezentrale­re Strukturen zu etablieren. So könnte eine intelligen­te statt smarte Verkehrspo­litik die Digitalisi­erung nutzen, um individuel­le Mobilität zumindest in Städten auch ohne eigenes Fahrzeug möglich zu machen. Mit einer intelligen­ten Vernetzung von öffentlich­em Nahverkehr, Fahrrad- und Autosharin­g könnte das private Auto in Großstädte­n abgeschaff­t werden. Und selbst wenn dies einen gewissen Verzicht auf individuel­le Mobilität zur Folge hätte, stünde dem ein riesiger Gewinn an Lebensqual­ität gegenüber: bessere Luft, weniger Lärm, mehr Freiräume in der Stadt für Grünfläche­n, urbane Landwirtsc­haft etc. Digitale Technologi­en können hierfür die Voraussetz­ungen schaffen.

Insofern geht es bei einer kritischen Auseinande­rsetzung mit den Potenziale­n der Digitalisi­erung nicht um eine Verteufelu­ng oder einen Ausstieg aus der Technologi­e, sondern um einen politische­n Diskurs über ihre Verwendung, der sich an Fragen der Lebensqual­ität orientiert und nicht primär an den autodestru­ktiven Kapitalren­ditezielen von Konzernen. Im Falle der Mobilität sollte man offensiv dafür werben, dass autofreier­e Städte kein »ökodikator­isches Horror-Verzichtss­zenario« sind, sondern eine konkret gestaltbar­e, positive Zukunftsvi­sion für eine lebenswert­ere Gesellscha­ft.

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Foto: imago/UPI Photo Imperiale Automobili­tät auf dem Weg zum Mars: Ein Tesla-Roadster steht im Laderaum einer Falcon-Rakete bereit für den Start.

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