Grauschleier für die »Götter in Weiß«
Lena Tietgen über das gewandelte Berufsbild des Mediziners
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war überfällig, bedenkt man die Komplexität des Berufs des Mediziners. Das Berufsbild speist sich nicht mehr allein aus gehobener Allgemeinbildung und wissenschaftsorientiertem Wohlverhalten. Auch das Medizinstudium wie der Arztberuf an sich haben sich über die Jahrzehnte spezialisiert.
Doch nicht nur das. Viele Arbeitsverhältnisse von Medizinern scheinen gewöhnlich geworden zu sein. Man liest von Überlastung, Zeitdruck oder Burn-out. Von nervenaufreibenden Hierarchien, überbordender Verwaltung und Schichtarbeit. Mit diesen Erscheinungsformen ordnet sich der Beruf des Arztes in die neoliberale Arbeitsweise der unterschiedlichen sozialen und pädagogischen Berufe ein. Das Weiß der Götter bekommt einen Grauschleier.
Hier muss umgedacht werden, und das nicht nur in Bezug auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sondern auch hinsichtlich der Ausbildung und des Berufsbildes. Warum sollten Ärzte nicht zur Supervision verpflichtet werden, wie das in der Sozialpädagogik üblich ist? Der Mediziner von heute muss über soziale Kompetenzen verfügen und sollte im Umgang mit gängigen Sozialtechnologien vertraut sein. Entsprechend sollten bei der Ausbildung Praktika und Interdisziplinarität eine wichtige Rolle spielen.
Es wird Zeit, dass Aufnahmeund Studienbedingungen an die Arbeitserfordernisse angepasst werden. Gewollt oder nicht: Das Urteil thematisiert die Komplexität des Arztberufs und kann der Beginn einer kleinen Revolution sein.