Auf eine Partie mit Che oder Einstein Was hatten Sie vorher gemacht?
Dreieinhalb Leute betreuen ein Schach-Weltforum
Sie betreuen eine Datenbank, die Schachpartien sammelt, und Sie leben davon. Hört sich verrückt an. Eigentlich basiert alles auf der Idee meines sehr guten Freundes Alberto Artidiello. Er hatte mir Ende der 1990er Jahre vorgeschlagen, eine Website für »die größten Partien der Geschichte« zu kreieren. Das Grundkonzept von Alberto, der inzwischen leider verstorben ist, habe ich eigentlich nur ausgebaut. Ganz abgesehen davon, dass ich beim Start von Chessgames.com niemals erwartet habe, dass sich daraus für mich eine berufliche Perspektive entwickeln würde.
Nach meinem Bachelor am Georgia Institute of Technology in Atlanta war ich an anderen Projekten mit dem gerade erst populär werdenden Internet beschäftigt.
Und nun ist ein richtiges Unternehmen herangewachsen. Einerseits finde ich es schmeichelhaft, dass sich die Leute ein Bürogebäude vorstellen voller Menschen, die dort arbeiten. Andererseits muss ich ab und an auch schmunzeln: Unser Hauptquartier ist einfach mein Home Office, mit zwei Angestellten in Vollzeit und drei Teilzeitkräften, meine Person eingeschlossen.
Viele würde gerne mit Ihnen tauschen; offenbar können Sie immerhin Ihre Brötchen bezahlen.
Nicht zu vergessen die Strandnähe unseres Büros! Aber ernsthaft: Ge- schafft haben wir alles nur dank der tollen Unterstützung Zehntausender Schachfans aus allen Teilen der Welt. Sie helfen ständig, die Datenbank zu verbessern, indem sie Spiele zusenden, Analysen erstellen oder Irrtümer melden. Als Konsequenz schufen wir eine »Premium-Mitgliedschaft« für 29 US-Dollar pro Jahr, und das war der Schlüssel, um die Weiterentwicklung von Chessgames.com zu finanzieren.
Sie haben fast 200 000 registrierte User. Was kriegen die Subscriber für das Geld?
Sie dürfen Wettkämpfe im Team austragen, mit einer großen Gruppe von Teilnehmern, die über jeden Zug abstimmen. Sie erhalten vollen Zugang zu unserem Analyselabor, das neuerdings sogar das bekannte Computerprogramm Stockfish integriert.
Anders als andere Anbieter sind sie also mehr als nur Onlinearchiv. Genau. Beispielsweise können schwächere Spieler bei und von Stärkeren lernen, die Profis sich auch mal von ungewöhnlichen Ideen der Amateure inspirieren lassen – solidarisch für besseres Schach also.
Sie haben bereits mehr als 850 000 Begegnungen abgespeichert, nur 750 000 hatten Sie einst maximal geplant. Wieso nun so viel mehr? Im Rückblick ist mir meine Prognose ein bisschen peinlich, da ich unterschätzt habe, welchen weltweiten Schachboom das Internet auslösen würde. Inzwischen können wir gar nicht mehr jede Begegnung erfassen, sondern wir konzentrieren uns auf Events und Einzeltreffen, die höchsten Qualitätsansprüchen genügen.
Aber Sie haben in Ihrer Datenbank auch Gelegenheitsspieler, beispielsweise Ernesto Che Guevara oder die Boxbrüder Klitschko. Was haben die bei Chessgames.com verloren?
Ein Spiel soll instruktiv oder interessant sein, oder beides, und selbst Amateuren gelingen manchmal Partien, von denen wir lernen können. Eine eigene Kategorie sind Begegnungen von berühmten Laienspielern. Dazu gehören die Genannten und viele andere, von Albert Einstein über Humphrey Bogart bis zu Ray Charles,
von Napoleon Bonaparte über Fidel Castro bis zu Lenin. Solche Promiraritäten qualifizieren sich quasi automatisch für Chessgames.com.
Nicht immer machen Sie sich damit Freunde. Einige Hate-Postings pöbeln beispielsweise, dass die Partien von Che, der ein »Massenmörder« gewesen sei, in der Datenbank nichts zu suchen hätten.
Wird eine Partie in unsere Datenbank aufgenommen, ist damit keine Beur-
teilung des Charakters der oder des Betreffenden verbunden; wir dokumentieren allein, dass es das einschlägige interessante Spiel gegeben hat.
Die Partien werden von Ihnen elektronisch gespeichert. Manchmal aber brechen Server zusammen: Löst sich dann Ihre Datenbank im virtuellen Nirwana auf? Um Himmels willen: Nein! Es gibt eine Reihe von Backups bei anderen Servern. Und unser Hauptserver war auch nicht eine Minute lang offline, als Hurrikan »Irma« vor wenigen Monaten zuschlug, wobei in der Stadt die Stromversorgung ausfiel.
Gesetzt den Fall, Sie verlieren die Lust und schließen Ihren Laden. Was passiert dann mit dem gespeicherten Schachwissen?
Ich habe keine Kinder, daher ist das Projekt mein einziges Vermächtnis. Könnte ich aus welchen Gründen auch immer das Unternehmen nicht mehr führen, würde ich die Firma verkaufen. Und ich habe ein Testament aufgesetzt: Sollte ich diese Welt für eine andere Welt verlassen, wird Chessgames.com weiterleben.