Strom für die Zukunft
Mecklenburg-Vorpommern setzt auf erneuerbare Energien – auch in Sachen Stromspeicherung kommt man voran
Mecklenburg-Vorpommern schafft mit Windkraft Perspektiven.
Das nordöstliche Bundesland ist durch Überalterung und fehlende Industrie gebeutelt. Abhilfe schaffen wollen Politik und Unternehmen, indem sie die Energiewende vorantreiben. Die Solaranlage am Ortsrand von Wöbbelin produziert sauberen Strom. Auch der benachbarte Hirte, dessen Schafe in der Gegend grasen, ist froh, dass es die Anlage gibt, erzählt Viola Tonn, die Bürgermeisterin des 906Seelen-Dorfes nördlich von Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern. Sie zeigt auf die Reihen von Solarpanelen hinter einem Zaun, die sich an der Landstraße Richtung Autobahn entlang reihen. Denn nun könnten die Schafe in einem eingezäunten Gehege grasen – geschützt vor dem gechippten Wolf, der in der Gegend umherziehe.
Circa 880 000 Kilowattstunden Strom im Jahr produziert das im April 2016 eingeweihte Solarkraftwerk. Es spart dabei gegenüber fossilen Kraftwerken 500 Tonnen an CO2Emissionen ein. Betrieben wird es von der NaturstromVersorgung Wöbbelin GmbH&Co. KG, die Tonn und ihre Mitstreiter in der Gemeinde initiiert haben. Denn seit 2012 verfolgt die gelernte Landwirtin und Versicherungskauffrau die Idee, aus ihrer Gemeinde ein Bioenergiedorf zu machen.
Dabei war die Errichtung der Photovoltaikanlage auf dem gemeindeeigenen Gelände, das zuvor 20 Jahre brach gelegen hatte, nur ein erster Testlauf für Größeres. Im Mai dieses Jahres bekam man bei der Ausschreibung für einen Windpark den Zuschlag. In Zusammenarbeit mit dem Ökostromanbieter Naturstrom soll auf einem ebenfalls der Gemeinde gehörenden Stück Land ein Bürgerwindpark mit vier Windenergieanlagen à drei bis vier Megawatt Leistung entstehen. Wenn die erst mal Strom produzieren, gibt es eine Einspeisevergütung von 5,58 Cent pro Kilowattstunde – so sieht es der Gesetzgeber vor.
»Wir wollen, dass die Jugendlichen hierbleiben«, erklärt die ehrenamtliche und parteilose Ortsvorsteherin in der Küche des Gemeindezentrums den Grund für ihr Engagement in Sachen Ökostrom und bietet dabei Kaffee und Kuchen vom örtlichen Bäcker an. Noch leiste man sich einen Jugendclub im Ort, sagt Tonn. Doch wie andere Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern befinde sich auch Wöbbelin wegen der angespannten Finanzlage in der Haushaltskonsolidierung. Die Einnahmen für den Windpark sollen da für Ent- spannung sorgen. Neben der Rendite für die beteiligten Bürger soll so eine Perspektive für die Gemeinde geschaffen, vielleicht sogar der Tourismus angekurbelt werden. »Wir haben hier eine schöne Umgebung«, sagt die Mutter zweier erwachsener Töchter, die zu ihrer Freude im Dorf geblieben sind.
Mit dieser Sichtweise ist Tonn nicht allein. Sie ist quasi Staatsräson in dem Bundesland. »Anfang der 1990er Jahre war Mecklenburg-Vorpommern das Bundesland mit der jüngsten Bevölkerung Deutschlands, jetzt ist es fast das älteste«, bringt Christian Pegel, Landesminister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung, das Hauptproblem des nordöstlichen Bundeslandes auf den Punkt. Die Anstrengungen der 1990er Jahre, angestammte Industriekonzerne mit dem Argument geringerer Löhne ins Land zu holen, seien angesichts dieser demografischen Entwicklung heute keine zukunftsfähige Strategie mehr.
Mit einer Rate von 8,1 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in MecklenburgVorpommern so groß wie in keinem anderen Flächenbundesland. Nur die Stadtstaaten Bremen und Berlin verzeichnen höhere Raten. Und mit einem Bruttoinlandsprodukt von 25 676 Euro pro Kopf war man vergangenes Jahr in Sachen Wirtschaftsleistung sogar bundesweites Schlusslicht. Da sei in Sachen Löhne in den 1990er Jahren die »Schmerzgrenze für Heimatverbundenheit« für viele überschritten gewesen, erklärt Pegel, warum vor allem junge und gut gebildete Menschen dem nordöstlichen Bundesland in der Vergangenheit den Rücken kehrten.
Für den SPD-Politiker liegt es deswegen auf der Hand, warum die Regierung in Schwerin seit geraumer Zeit auf erneuerbare Energien setzt. »Mecklenburg-Vorpommern braucht einen Industriebereich, in dem es mit den anderen Bundesländern konkurrieren kann, und in Sachen Erneuerbare hatten Ost wie West die gleichen Chancen, weil alle mit der Energiewende bei Null angefangen haben«, sagt Pegel und zieht eine Zwischenbilanz: »Das ist gelungen. Allein durch die Windenergiebranche sind circa 15 000 neue Arbeitsplätze im Land entstanden. Das ist ein Riesenerfolg für die Wirtschaft dieses Landes, in dem nach der Wende große Teile der Industrie zusammengebrochen sind.«
Die großen Werften hätten ohne die Großaufträge für die Offshore-Windenergie nicht überlebt. »Bei der Windkraft an Land decken wir die komplette Wertschöpfungskette ab«, so Pegel. »Dabei werden nicht nur ir- gendwelche Arbeitsplätze geschaffen, sondern gut bezahlte für gut qualifizierte Arbeitskräfte.« Konkurrenzfähigkeit mit anderen sei nicht der einzige Grund dafür, dass MecklenburgVorpommern auf die erneuerbaren Energien gesetzt hat: »Das Land trägt damit aktiv den Beschluss der Bundesregierung zur Energiewende mit. Und stellt die Potenziale zur Verfügung, die es aufgrund seiner natürlichen Gegebenheiten besitzt.«
In Pegels Ministerium bündelte der vor einiger Zeit aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretene Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) vor sechs Jahren für die Energiewende wichtige Zuständigkeiten. Als vor knapp zwei Jahren über die bis dato letzte Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) beraten wurde, machte sich Sellering im Rahmen des sogenannten Wismarer Appells zusammen mit den Länderchefs aus Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie dem regionalen Arbeitgeberverband Nordmetall und der IG Metall Küste für die Windenergie stark. Damit legte sich Sellering auch mit Teilen der eigenen Partei an. Die Reform, die unter anderem eine Deckelung des Ausbaus der Windenergie an Land vorsah, wurde maßgeblich vom damaligen SPD-Parteichef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ausgearbeitet.
Dies trifft den Nordosten hart, da die Erneuerbaren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Bereits 2014 machte die Branche 3,4 Prozent der Wirtschaftsleistung Mecklenburg-Vorpommerns aus – so viel wie in keinem anderen Bundesland. Zum Beispiel beschäftigt der in Rostock ansässige Windanlagenbauer Nordex über 4600 Menschen und ist damit trotz der der- zeitigen Flaute bei den Aufträgen der drittgrößte Arbeitgeber in dem Bundesland. Gleichzeitig produziert das Land auch viel sauberen Strom – mehr sogar, als es selbst braucht. 2015 betrug der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch knapp 113 Prozent. Das heißt, unterm Strich konnte Mecklenburg-Vorpommern Ökostrom sogar exportieren.
Wegen solcher Zahlen schaffte es das ostdeutsche Bundesland auf Platz zwei eines vor kurzem veröffentlichten Ländervergleichs, den das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien erstellt hat. Nur das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg schnitt besser ab. Jedoch bescheinigten die Forscher Schwerin, unterm Strich die meisten technologischen und wirtschaftlichen Anstrengungen für den Wandel bei der Energieerzeugung zu unternehmen.
Dass Mecklenburg-Vorpommern so viel grünen Strom produzieren kann, wird mittlerweile zu einem Problem für das Land. Wenn nämlich alte Kohlekraftwerke auf Hochtouren laufen, dann kann es passieren, dass die Produktion der Windenergie- und Photovoltaikanlagen gedrosselt werden muss.
Eine Sache, die da Abhilfe leisten soll, steht in Lankow, einem Stadtteil im Nordwesten von Schwerin. Etwas nach hinten versetzt an der Hauptstraße findet man in der Landeshauptstadt ein graues, weitgehend fensterloses Gebäude. Wer sich dem nähert, kann ein kontinuierliches Brummen hören. Dabei sind das Herz des Gebäudes zwei Räume, in denen sich ein Regal ans nächste reiht. Zig schwarze, flache Kästen sind in diesen Regalen. Tontechniker würden sie vielleicht für Verstärker halten, Informa- tiker für Server oder Speicherplatten. Speichern tun diese schwarzen Kästen in der Tat etwas. Doch sind es keine Daten, sondern Strom. Sie gehören zum Batteriespeicherkraftwerk des regionalen Energieversorgers und Stromnetzbetreibers WEMAG. Zusammen können die Industriebatterien 15 Megawattstunden Strom speichern.
Angesichts der Tatsache, dass moderne Windräder an Land eine Leistung von zwei bis fünf Megawatt haben, ist dies speichertechnisch erst mal nur der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein. Doch das Werk hat auch nicht in erster Linie den Zweck, überschüssigen Strom zu speichern. Es soll vor allem das Stromnetz stabil halten.
Dafür bekommt die WEMAG Geld. Sie stellt die Leistung ihrer Batterien bei Auktionen zur sogenannten Primärregelleistung zur Verfügung und verpflichtet sich damit, einen Beitrag zu leisten, dass das Stromnetz stabil bei einer Frequenz von rund 50 Hertz bleibt.
Wird nämlich zu viel Strom produziert, steigt die Frequenz. Wird zu wenig produziert, sinkt sie. Weil zum Beispiel einige Industriebetriebe oder Krankenhäuser auf ein stabiles Stromnetz angewiesen sind, ist es wichtig, dieses möglichst konstant bei 50 Hertz zu halten. Das Schweriner Stromspeicherwerk leistet dazu einen Beitrag, indem es Strom speichert, wenn Solar- und Windkraftanlagen mehr Energie produzieren, als gerade benötigt wird, und diesen wieder abgibt, wenn kaum Wind weht und die Sonne nicht scheint. Insofern ist der Speicher zumindest ein kleiner, aber wichtiger Schritt in Richtung Energiewende. Denn mittlerweile ist es einhellige Expertenmeinung, dass bei dieser mitentscheidend ist, Stromnetze aufzubauen, die auf grüne Stromgewinnung ausgelegt sind und nicht mehr auf fossile Kraftwerke.
Bei einer Sache, bei der Mecklenburg-Vorpommern noch im DIWEnergiewenderanking mit Platz 11 auf einem der hinteren Rängen landet, gelobt Energieminister Pegel Besserung: den Elektroladestationen für Pkw. Schließlich trennen Mecklenburg-Vorpommern und Skandinavien lediglich etwas mehr als 100 Kilometer Luftlinie voneinander. Und da kämen vor allem im Sommer mit den Fähren viele Elektroautos aus Norwegen über die Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern an, die mit Strom betankt werden wollen.
Denn der Nordosten hat neben viel Wind und Sonne mit Rügen, Usedom und der Müritz auch schöne Landschaften zu bieten. Ein geradezu idealer Ort für Urlauber.
Die Forscher bescheinigten Schwerin, unterm Strich die meisten technologischen und wirtschaftlichen Anstrengungen für den Wandel bei der Energieerzeugung zu unternehmen.