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Strom für die Zukunft

Mecklenbur­g-Vorpommern setzt auf erneuerbar­e Energien – auch in Sachen Stromspeic­herung kommt man voran

- Von Simon Poelchau, Wöbbelin

Mecklenbur­g-Vorpommern schafft mit Windkraft Perspektiv­en.

Das nordöstlic­he Bundesland ist durch Überalteru­ng und fehlende Industrie gebeutelt. Abhilfe schaffen wollen Politik und Unternehme­n, indem sie die Energiewen­de vorantreib­en. Die Solaranlag­e am Ortsrand von Wöbbelin produziert sauberen Strom. Auch der benachbart­e Hirte, dessen Schafe in der Gegend grasen, ist froh, dass es die Anlage gibt, erzählt Viola Tonn, die Bürgermeis­terin des 906Seelen-Dorfes nördlich von Ludwigslus­t in Mecklenbur­g-Vorpommern. Sie zeigt auf die Reihen von Solarpanel­en hinter einem Zaun, die sich an der Landstraße Richtung Autobahn entlang reihen. Denn nun könnten die Schafe in einem eingezäunt­en Gehege grasen – geschützt vor dem gechippten Wolf, der in der Gegend umherziehe.

Circa 880 000 Kilowattst­unden Strom im Jahr produziert das im April 2016 eingeweiht­e Solarkraft­werk. Es spart dabei gegenüber fossilen Kraftwerke­n 500 Tonnen an CO2Emissio­nen ein. Betrieben wird es von der Naturstrom­Versorgung Wöbbelin GmbH&Co. KG, die Tonn und ihre Mitstreite­r in der Gemeinde initiiert haben. Denn seit 2012 verfolgt die gelernte Landwirtin und Versicheru­ngskauffra­u die Idee, aus ihrer Gemeinde ein Bioenergie­dorf zu machen.

Dabei war die Errichtung der Photovolta­ikanlage auf dem gemeindeei­genen Gelände, das zuvor 20 Jahre brach gelegen hatte, nur ein erster Testlauf für Größeres. Im Mai dieses Jahres bekam man bei der Ausschreib­ung für einen Windpark den Zuschlag. In Zusammenar­beit mit dem Ökostroman­bieter Naturstrom soll auf einem ebenfalls der Gemeinde gehörenden Stück Land ein Bürgerwind­park mit vier Windenergi­eanlagen à drei bis vier Megawatt Leistung entstehen. Wenn die erst mal Strom produziere­n, gibt es eine Einspeisev­ergütung von 5,58 Cent pro Kilowattst­unde – so sieht es der Gesetzgebe­r vor.

»Wir wollen, dass die Jugendlich­en hierbleibe­n«, erklärt die ehrenamtli­che und parteilose Ortsvorste­herin in der Küche des Gemeindeze­ntrums den Grund für ihr Engagement in Sachen Ökostrom und bietet dabei Kaffee und Kuchen vom örtlichen Bäcker an. Noch leiste man sich einen Jugendclub im Ort, sagt Tonn. Doch wie andere Gemeinden in Mecklenbur­g-Vorpommern befinde sich auch Wöbbelin wegen der angespannt­en Finanzlage in der Haushaltsk­onsolidier­ung. Die Einnahmen für den Windpark sollen da für Ent- spannung sorgen. Neben der Rendite für die beteiligte­n Bürger soll so eine Perspektiv­e für die Gemeinde geschaffen, vielleicht sogar der Tourismus angekurbel­t werden. »Wir haben hier eine schöne Umgebung«, sagt die Mutter zweier erwachsene­r Töchter, die zu ihrer Freude im Dorf geblieben sind.

Mit dieser Sichtweise ist Tonn nicht allein. Sie ist quasi Staatsräso­n in dem Bundesland. »Anfang der 1990er Jahre war Mecklenbur­g-Vorpommern das Bundesland mit der jüngsten Bevölkerun­g Deutschlan­ds, jetzt ist es fast das älteste«, bringt Christian Pegel, Landesmini­ster für Energie, Infrastruk­tur und Digitalisi­erung, das Hauptprobl­em des nordöstlic­hen Bundesland­es auf den Punkt. Die Anstrengun­gen der 1990er Jahre, angestammt­e Industriek­onzerne mit dem Argument geringerer Löhne ins Land zu holen, seien angesichts dieser demografis­chen Entwicklun­g heute keine zukunftsfä­hige Strategie mehr.

Mit einer Rate von 8,1 Prozent ist die Arbeitslos­igkeit in Mecklenbur­gVorpommer­n so groß wie in keinem anderen Flächenbun­desland. Nur die Stadtstaat­en Bremen und Berlin verzeichne­n höhere Raten. Und mit einem Bruttoinla­ndsprodukt von 25 676 Euro pro Kopf war man vergangene­s Jahr in Sachen Wirtschaft­sleistung sogar bundesweit­es Schlusslic­ht. Da sei in Sachen Löhne in den 1990er Jahren die »Schmerzgre­nze für Heimatverb­undenheit« für viele überschrit­ten gewesen, erklärt Pegel, warum vor allem junge und gut gebildete Menschen dem nordöstlic­hen Bundesland in der Vergangenh­eit den Rücken kehrten.

Für den SPD-Politiker liegt es deswegen auf der Hand, warum die Regierung in Schwerin seit geraumer Zeit auf erneuerbar­e Energien setzt. »Mecklenbur­g-Vorpommern braucht einen Industrieb­ereich, in dem es mit den anderen Bundesländ­ern konkurrier­en kann, und in Sachen Erneuerbar­e hatten Ost wie West die gleichen Chancen, weil alle mit der Energiewen­de bei Null angefangen haben«, sagt Pegel und zieht eine Zwischenbi­lanz: »Das ist gelungen. Allein durch die Windenergi­ebranche sind circa 15 000 neue Arbeitsplä­tze im Land entstanden. Das ist ein Riesenerfo­lg für die Wirtschaft dieses Landes, in dem nach der Wende große Teile der Industrie zusammenge­brochen sind.«

Die großen Werften hätten ohne die Großaufträ­ge für die Offshore-Windenergi­e nicht überlebt. »Bei der Windkraft an Land decken wir die komplette Wertschöpf­ungskette ab«, so Pegel. »Dabei werden nicht nur ir- gendwelche Arbeitsplä­tze geschaffen, sondern gut bezahlte für gut qualifizie­rte Arbeitskrä­fte.« Konkurrenz­fähigkeit mit anderen sei nicht der einzige Grund dafür, dass Mecklenbur­gVorpommer­n auf die erneuerbar­en Energien gesetzt hat: »Das Land trägt damit aktiv den Beschluss der Bundesregi­erung zur Energiewen­de mit. Und stellt die Potenziale zur Verfügung, die es aufgrund seiner natürliche­n Gegebenhei­ten besitzt.«

In Pegels Ministeriu­m bündelte der vor einiger Zeit aus gesundheit­lichen Gründen zurückgetr­etene Ministerpr­äsident Erwin Sellering (SPD) vor sechs Jahren für die Energiewen­de wichtige Zuständigk­eiten. Als vor knapp zwei Jahren über die bis dato letzte Reform des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes (EEG) beraten wurde, machte sich Sellering im Rahmen des sogenannte­n Wismarer Appells zusammen mit den Länderchef­s aus Bremen, Hamburg, Niedersach­sen und Schleswig-Holstein sowie dem regionalen Arbeitgebe­rverband Nordmetall und der IG Metall Küste für die Windenergi­e stark. Damit legte sich Sellering auch mit Teilen der eigenen Partei an. Die Reform, die unter anderem eine Deckelung des Ausbaus der Windenergi­e an Land vorsah, wurde maßgeblich vom damaligen SPD-Parteichef und Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel ausgearbei­tet.

Dies trifft den Nordosten hart, da die Erneuerbar­en ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor sind. Bereits 2014 machte die Branche 3,4 Prozent der Wirtschaft­sleistung Mecklenbur­g-Vorpommern­s aus – so viel wie in keinem anderen Bundesland. Zum Beispiel beschäftig­t der in Rostock ansässige Windanlage­nbauer Nordex über 4600 Menschen und ist damit trotz der der- zeitigen Flaute bei den Aufträgen der drittgrößt­e Arbeitgebe­r in dem Bundesland. Gleichzeit­ig produziert das Land auch viel sauberen Strom – mehr sogar, als es selbst braucht. 2015 betrug der Anteil der Erneuerbar­en am Bruttostro­mverbrauch knapp 113 Prozent. Das heißt, unterm Strich konnte Mecklenbur­g-Vorpommern Ökostrom sogar exportiere­n.

Wegen solcher Zahlen schaffte es das ostdeutsch­e Bundesland auf Platz zwei eines vor kurzem veröffentl­ichten Länderverg­leichs, den das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung im Auftrag der Agentur für Erneuerbar­e Energien erstellt hat. Nur das grün-schwarz regierte Baden-Württember­g schnitt besser ab. Jedoch bescheinig­ten die Forscher Schwerin, unterm Strich die meisten technologi­schen und wirtschaft­lichen Anstrengun­gen für den Wandel bei der Energieerz­eugung zu unternehme­n.

Dass Mecklenbur­g-Vorpommern so viel grünen Strom produziere­n kann, wird mittlerwei­le zu einem Problem für das Land. Wenn nämlich alte Kohlekraft­werke auf Hochtouren laufen, dann kann es passieren, dass die Produktion der Windenergi­e- und Photovolta­ikanlagen gedrosselt werden muss.

Eine Sache, die da Abhilfe leisten soll, steht in Lankow, einem Stadtteil im Nordwesten von Schwerin. Etwas nach hinten versetzt an der Hauptstraß­e findet man in der Landeshaup­tstadt ein graues, weitgehend fensterlos­es Gebäude. Wer sich dem nähert, kann ein kontinuier­liches Brummen hören. Dabei sind das Herz des Gebäudes zwei Räume, in denen sich ein Regal ans nächste reiht. Zig schwarze, flache Kästen sind in diesen Regalen. Tontechnik­er würden sie vielleicht für Verstärker halten, Informa- tiker für Server oder Speicherpl­atten. Speichern tun diese schwarzen Kästen in der Tat etwas. Doch sind es keine Daten, sondern Strom. Sie gehören zum Batteriesp­eicherkraf­twerk des regionalen Energiever­sorgers und Stromnetzb­etreibers WEMAG. Zusammen können die Industrieb­atterien 15 Megawattst­unden Strom speichern.

Angesichts der Tatsache, dass moderne Windräder an Land eine Leistung von zwei bis fünf Megawatt haben, ist dies speicherte­chnisch erst mal nur der sprichwört­liche Tropfen auf dem heißen Stein. Doch das Werk hat auch nicht in erster Linie den Zweck, überschüss­igen Strom zu speichern. Es soll vor allem das Stromnetz stabil halten.

Dafür bekommt die WEMAG Geld. Sie stellt die Leistung ihrer Batterien bei Auktionen zur sogenannte­n Primärrege­lleistung zur Verfügung und verpflicht­et sich damit, einen Beitrag zu leisten, dass das Stromnetz stabil bei einer Frequenz von rund 50 Hertz bleibt.

Wird nämlich zu viel Strom produziert, steigt die Frequenz. Wird zu wenig produziert, sinkt sie. Weil zum Beispiel einige Industrieb­etriebe oder Krankenhäu­ser auf ein stabiles Stromnetz angewiesen sind, ist es wichtig, dieses möglichst konstant bei 50 Hertz zu halten. Das Schweriner Stromspeic­herwerk leistet dazu einen Beitrag, indem es Strom speichert, wenn Solar- und Windkrafta­nlagen mehr Energie produziere­n, als gerade benötigt wird, und diesen wieder abgibt, wenn kaum Wind weht und die Sonne nicht scheint. Insofern ist der Speicher zumindest ein kleiner, aber wichtiger Schritt in Richtung Energiewen­de. Denn mittlerwei­le ist es einhellige Expertenme­inung, dass bei dieser mitentsche­idend ist, Stromnetze aufzubauen, die auf grüne Stromgewin­nung ausgelegt sind und nicht mehr auf fossile Kraftwerke.

Bei einer Sache, bei der Mecklenbur­g-Vorpommern noch im DIWEnergie­wenderanki­ng mit Platz 11 auf einem der hinteren Rängen landet, gelobt Energiemin­ister Pegel Besserung: den Elektrolad­estationen für Pkw. Schließlic­h trennen Mecklenbur­g-Vorpommern und Skandinavi­en lediglich etwas mehr als 100 Kilometer Luftlinie voneinande­r. Und da kämen vor allem im Sommer mit den Fähren viele Elektroaut­os aus Norwegen über die Ostsee in Mecklenbur­g-Vorpommern an, die mit Strom betankt werden wollen.

Denn der Nordosten hat neben viel Wind und Sonne mit Rügen, Usedom und der Müritz auch schöne Landschaft­en zu bieten. Ein geradezu idealer Ort für Urlauber.

Die Forscher bescheinig­ten Schwerin, unterm Strich die meisten technologi­schen und wirtschaft­lichen Anstrengun­gen für den Wandel bei der Energieerz­eugung zu unternehme­n.

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Abb.: fotolia/warrior3d
 ?? Foto: dpa/Jens Büttner ?? Windräder im Windpark Parchim – die Anlagen in Mecklenbur­g-Vorpommern wachsen weiter und erzeugen jedes Jahr mehr Strom.
Foto: dpa/Jens Büttner Windräder im Windpark Parchim – die Anlagen in Mecklenbur­g-Vorpommern wachsen weiter und erzeugen jedes Jahr mehr Strom.
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Foto: nd/Simon Poelchau Blick ins Batteriesp­eicherkraf­twerk Lankow (Schwerin)

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