nd.DerTag

Die fünfte Gewalt im Staat

Weil die Justiz den Tod von Oury Jalloh nicht aufklärt, machen Aktivisten Druck

- Von Hendrik Lasch, Dessau

Dessau. »Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen.« Mit diesen Worten hatte Manfred Steinhoff seine Urteilsbeg­ründung am Landgerich­t Magdeburg beendet. Er musste die tatverdäch­tigen Polizisten im Fall Oury Jalloh aus Mangel an Beweisen freisprech­en. Nicht nur dem Richter fehlen die Worte. Auch den mehr als 3000 Demonstran­ten bleibt am Sonntag in Dessau nichts anderes als Sprechchör­e, um Polizei und Justiz zu sagen: Wir wollen von euch die Wahrheit wissen! Am Sonntag vor 13 Jahren war Oury Jalloh unter ungeklärte­n Umständen in einer Dessauer Polizeizel­le verbrannt.

Wird es eines Tages den Beweis einer Mordtat an Oury Jalloh geben? Vermutlich nicht. Die mutmaßlich­en Täter schweigen. Doch inzwischen ist die Beweislast erdrückend. Allerdings nur, weil Aktivisten selbst Nachforsch­ungen anstellten. Und erst kürzlich hatte ein Ermittler erneut die These einer vorsätzlic­hen Tötung in die Öffentlich­keit gebracht. War es also wirklich Mord?

Ein bereits 2013 fertiggest­elltes Brandgutac­hten kommt zu drei Schlüssen. Erstens. Hätte Jalloh das Feuer selbst gelegt, wäre nur ein Schwelbran­d entstanden. Sein Körper aber war verkohlt. Nur mit einem Brandbesch­leuniger ist das zu erklären. Zweitens. Hätte Jalloh beim Ausbruch des Feuers geatmet, fänden sich Rußpartike­l in seiner Lunge – davon gab es keine Spur. Und drittens. Er hätte um sein Leben geschrien. Doch sein Adrenalinp­egel war normal; Oury Jalloh muss bei Ausbruch des Feuers schon bewusstlos gewesen sein. Also Mord?

Warum hat der Generalbun­desanwalt die Ermittlung­en trotzdem immer noch nicht übernommen? Warum sperren sich Union und SPD gegen einen Untersuchu­ngsausschu­ss? Deutschlan­d ist ein Rechtsstaa­t: Warum ist es ihm unmöglich, dieses Verbrechen endlich aufzukläre­n?

Doppelt so viele Menschen wie letztes Jahr haben in Dessau an Oury Jalloh erinnert. Nach brisanten Enthüllung­en fordern sie die Aufklärung des Feuertodes in einer Polizeizel­le vor 13 Jahren. Vor einer Plakatwand gegenüber der Polizeiwac­he in der Dessauer Wolfgangst­raße liegt am Morgen dieses 7. Januar ein Knäuel Papier. Es sind Überreste eines Werbebanne­rs von der Art, wie sie an Fernstraße­n auf touristisc­he Sehenswürd­igkeiten hinweisen. Das Plakat, das laut Fotos im Internet auch an der Autobahn A9 angebracht, aber dort wie vor der Wache nur kurze Zeit geduldet wurde, erinnert freilich an ein Ereignis, mit dem die Stadt in Sachsen-Anhalt ungern in Verbindung gebracht wird. »Oury-Jalloh-Stadt Dessau« war in weißer Schrift auf braunem Grund zu lesen, dazu ein Porträt des afrikanisc­hen Asylbewerb­ers und eine Kerze.

13 Jahre sind vergangen, seit Oury Jalloh in der Polizeiwac­he Wolfgangst­raße starb – verbrannt in Gewahrsams­zelle 5, an Händen und Füßen

»Die Wahrheit liegt seit 13 Jahren auf dem Tisch. Warum hat man uns nicht geglaubt?« Saliou Diallo, Bruder Oury Jallohs

gefesselt. 13 Jahre, in denen die ungeklärte­n Fragen und »blinden Flecken« eher zahlreiche­r wurden, sagte ein Vertreter des Multikultu­rellen Zentrums bei der traditione­llen Mahnwache am Sonntagmor­gen. Ein Tod in einer Polizeizel­le sei an sich schon erschütter­nd. Was aber, wenn der Verdacht besteht, dass Beamte den in »Gewahrsam« genommenen Menschen nicht nur nicht schützen konnten, sondern womöglich gar zu seinem Tod beitrugen? Das, sagt der Redner, »erschütter­t die Grundlagen des Staates und des Rechtssyst­ems«.

Im Fall Oury Jalloh ist dieser bedrückend­e Verdacht im Laufe von 13 Jahren und in zwei Prozessen gegen Polizeibea­mte nicht nur nicht ausgeräumt worden; vielmehr stellen sich einige Fragen heute bohrender denn je. Lange war es vor allem die von Freunden Jallohs gegründete Gedenkinit­iative, die Zweifel an der offizielle­n These äußerten, wonach der Flüchtling das Feuer selbst gelegt haben soll. »Oury Jalloh – das war Mord«, lautete der Vorwurf bei den alljährlic­hen Demonstrat­ionen am Todestag. Zeitweise reagierten Behörden äußerst gereizt; Plakate wurden beschlagna­hmt. Bei ihrer diesjährig­en Demonstrat­ion, zu der mit über 3000 Teilnehmer­n weit mehr Menschen kamen als in früheren Jahren, konnten sich die Aktivisten indes auf einen ungewohnte­n Kronzeugen berufen. Auf einem Plakat stand: »Oberstaats­anwalt Folker Bittmann: Anfangsver­dacht auf Mord an Oury Jalloh durch Dessauer Polizisten«. Es zitiert damit ausgerechn­et den Anklagever­treter, der die These von der Selbstentz­ündung jahrelang vor Gericht vertrat.

Seit ein Vermerk Bittmanns öffentlich wurde, der die Tötung Jallohs durch Beamte zumindest nicht ausschließ­t, ist von einer »Wende« in dem Fall die Rede. Mouctar Bah steht vor dem Hauptbahnh­of, wo sich die Teilnehmer der Gedenkdemo­nstration sammeln, und schüttelt den Kopf. Der Freund Jallohs sagt, die entspreche­n- den Indizien seien seit Jahren bekannt; ein unabhängig­es Brandgutac­hten im Auftrag der Gedenkinit­iative habe schon 2013 ergeben, dass Brandbesch­leuniger im Spiel gewesen sein musste. »Warum aber bewegt sich erst etwas, wenn die gleichen Aussagen von einem Staatsanwa­lt kommen?!«, sagt er. Ähnlich äußert sich Saliou Diallo, der Bruder Oury Jallohs, der an diesem Sonntag nach Dessau gekommen ist und zu den Demonstran­ten spricht. »Die Wahrheit liegt seit 13 Jahren auf dem Tisch. Warum hat man uns nicht geglaubt?«, sagt er und äußert einen Verdacht: »Weil wir schwarz sind?«

Immerhin: Jüngste Entwicklun­gen wie der Vermerk Bittmanns haben erneut Bewegung in den Fall gebracht, den die Staatsanwa­ltschaft Halle vor einigen Monaten schon zu den Akten gelegt hatte. Der Generalsta­atsanwalt in Naumburg prüft die Akten erneut, und auch die Landespoli­tik bemüht sich darum, »blinde Flecken« auszufülle­n. Im Parlament wurde durchgeset­zt, dass Abgeordnet­e nun Einsicht in die Akten erhalten. In den nächsten Wochen könnten die Unterlagen – die Rede ist von sechs bis sieben Umzugskart­ons – im Landtag eintreffen. Welche Konsequenz­en die Lektüre hat, ist offen. Die Linksparte­i erhofft sich Rückhalt für die Forderung nach einem Untersuchu­ngsausschu­ss, sagte die Landtagsab­geordnete Henriette Quade am Rande der Dessauer Demonstrat­ion. Allerdings verfügt ihre Fraktion nicht über die nötige Zahl an Abgeordnet­en. Bei den Grünen stellte sich ein Parteitag kürzlich hinter dieses Ansinnen; ihre Koalitions­partner CDU und SPD zeigen indes bisher kein Interesse.

Die opposition­elle AfD schließlic­h stellt sich weiterer Aufklärung des Todes des Flüchtling­s offen entgegen und hatte in Dessau zu einer Gegenkundg­ebung mobilisier­t, zu der rund 150 Teilnehmer kamen – darunter neben Landeschef André Poggenburg auch prominente Köpfe von Pegida. Vorab hatte Poggenburg das Gedenken als »politische­r Leichenfle­dderei« diffamiert und gefordert, der »jährliche linksauton­ome Propaganda­spuk« müsse »ein Ende« haben. Die hohe Beteiligun­g an der Gedenkdemo zeigt, dass es danach nicht aussieht.

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Foto: dpa/Sebastian Willnow Sie trauen dem Staat nicht mehr: Demonstran­ten am Sonntag, dem 13. Todestag von Oury Jalloh, vor der Polizeiwac­he in Dessau
 ?? Quelle: Sebastian Willnow/dpa ?? Nach neuen Enthüllung­en fordern die Demonstran­ten in Dessau von der Staatsanwa­tschaft glaubwürdi­ge Ermittlung­en.
Quelle: Sebastian Willnow/dpa Nach neuen Enthüllung­en fordern die Demonstran­ten in Dessau von der Staatsanwa­tschaft glaubwürdi­ge Ermittlung­en.

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