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SPD und Union starten Sondierung

Jusos kritisiere­n fehlende Streitkult­ur im Parteivors­tand

- Nd/dpa

Berlin. Union und SPD haben am Sonntag Sondierung­sgespräche für eine Neuauflage der Großen Koalition begonnen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich optimistis­ch: »Ich glaube, es kann gelingen«. Der Chef der nordrhein-westfälisc­hen Sozialdemo­kraten, Michael Groschek, bekräftigt­e dagegen erneut, dass sich die SPD auf den Eintritt in eine Koalition bislang nicht festgelegt habe: »Wir machen alles ergebnisof­fen.« Indes äußert der SPD-Nachwuchs Kritik am Zustand des Parteivors­tandes. Dieser habe sich zu schnell für Sondierung­en ausgesproc­hen. »Ich bin unzufriede­n mit der politische­n Kultur unseres Vorstands«, sagte Juso-Chef Kevin Kühnert. »Es kann doch nicht sein, dass selbst die strittigst­en Entscheidu­ngen immer einstimmig durch den Vorstand gehen«.

Die Sondierung­steams planen, ihre Arbeit am Donnerstag abzuschlie­ßen. Ob Koalitions­verhandlun­gen folgen, hängt von der Entscheidu­ng des SPD-Sonderpart­eitags am 21. Januar ab. Eine neue Regierung könnte bis Ostern stehen.

DGB und Sozialdemo­kraten verbindet ein enges Band. Doch die Hoffnungen, welche die Gewerkscha­fter mit einer erneuten Regierungs­beteiligun­g der SPD verbinden, könnten bald enttäuscht werden. Wenn es nach den Spitzen des DGB und seiner Einzelgewe­rkschaften ginge, dann wäre die nächste Große Koalition (GroKo) aus Union und SPD rasch unter Dach und Fach. DGB-Chef Reiner Hoffmann und die Vorsitzend­en großer Einzelgewe­rkschaften legen in diesen Tagen mehr oder weniger deutlich der angeschlag­enen einstigen Arbeiterpa­rtei eine rasche Einigung mit der Union über das künftige Kabinett Merkel IV nahe.

»Ein Nein zur Großen Koalition wäre ein Fehler«, mahnt Hoffmann. Er fordert seine Partei dazu auf, sich »nicht ihrer Verantwort­ung zu verweigern«. Die SPD müsse die Chance nutzen, um arbeitnehm­erfreundli­che Politik durchzuset­zen. Das Land brauche eine handlungsf­ähige und stabile Regierung, denn sonst verliere die Gesellscha­ft ihren Halt. Auch die EU nehme sonst irreparabl­en Schaden, meint der DGB-Chef.

Ver.di-Chef Frank Bsirske, der als Privatpers­on an seinem grünen Parteibuch festhält, möchte die SPD ebenfalls wieder in einer GroKo sehen, die gar nicht mehr so »groß« wäre wie in vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n. »Vielen Wählerinne­n und Wählern wäre sicherlich nur schwer verständli­ch zu machen, wenn die SPD nicht ernsthaft sondieren würde, was sie in einer Koalition mit der Union an wichtigen Punkten realisiere­n kann«, hatte Bsirske schon vor Wochen der »Passauer Neuen Presse« gesagt.

Dass die staatstrag­enden Gewerkscha­ftsspitzen die GroKo erneut herbeisehn­en, ist nicht verwunderl­ich. Als bei den Sondierung­en zwischen Union, FDP und Grünen die Liberalen mit arbeitnehm­er- und gewerkscha­ftsfeindli­chen Parolen Aufmerksam­keit suchten, muss dies für die eher auf Konsens und Abmilderun­g von Klassenkon­flikten orientiert­en Gewerkscha­ftsbosse wie ein Schock gewirkt haben. Ein starker Einfluss der FDP am Kabinettst­isch hätte die Gewerkscha­ftsapparat­e zur Organisier­ung von Gegenwehr gezwungen.

Demgegenüb­er hatte die amtierende Kanzlerin Angela Merkel im Oktober 2017 vor dem Gewerkscha­ftstag der IG BCE in einem Anflug von scheinbare­r Gewerkscha­ftsnähe bekundet: »Ich werde alles dafür tun, die Tarifbindu­ng in Deutschlan­d wieder zu steigern.« Dahinter steckt Kalkül: Die Gewerkscha­ften und Betriebsrä­te nicht frontal mit Gesetzesän­derungen angreifen und zum massiven Widerstand provoziere­n, sondern sie bei anstehende­n Verschlech­terungen »konstrukti­v« mit ins Boot ziehen. Statt Aufkündigu­ng des legendären deutschen Mitbestimm­ungsmodell­s und Kriegserkl­ärung an Betriebsrä­te und Gewerkscha­ften wird deren Einfluss ohnehin mit wohlwollen­der Begleitung durch den Staat eher indirekt beschnitte­n – etwa durch prekarisie­rte Arbeitsmär­kte mit Leiharbeit­ern, Subunterne­hmen und Werkvertra­gsarbeiter­n, durch Privatisie­rungen und die Zerschlagu­ng von Betrieben und Konzernen mit der Folge einer weiteren Spaltung von Belegschaf­ten.

Vielen DGB-Spitzenfun­ktionären dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein, als die FDP die Sondierung­en verließ. Denn somit rückte eine SPDRegieru­ngsbeteili­gung wieder in den Bereich des Möglichen. Zu GroKoZeite­n war es für Gewerkscha­fter durchaus angenehm, einen direkten Draht zu SPD-Parteifreu­nden in den Ministerie­n zu haben und wenigstens das eine oder andere Ding unterhalb der gesetzgebe­rischen Ebene auf dem kurzen Dienstweg zu klären.

Doch allzu idyllisch waren GroKoZeite­n und SPD-Regierungs­beteiligun­gen aus Gewerkscha­ftssicht auch nicht. So wurden seit 2013 zumindest von Teilen des DGB kritisiert­e Projekte wie das Tarifeinhe­itsgesetz, das Freihandel­sabkommen CETA, Ausländerm­aut und der Einstieg in die Autobahnpr­ivatisieru­ng durchgebox­t. Es blieb bei der privaten Riester-Rente, der Agenda 2010, den Hartz-Reformen und einer Legalisier­ung von Leiharbeit – also bei klassische­n FDP-Projekten, die vom rotgrünen Kabinett ab 1998 auch ohne FDP auf den Weg gebracht wurden. Unvergesse­n bleibt auch die vom SPD-Arbeitsmin­ister Franz Münteferin­g im Kabinett Merkel I (20052009) durchgeset­zte Anhebung des Rentenalte­rs auf 67 Jahre.

Für die Bahngewerk­schaft EVG war die SPD bislang ein Hoffnungst­räger, der eine Zerschlagu­ng der noch bundeseige­nen Deutschen Bahn AG (DB) nach britischem Muster verhindern soll. Doch in Sichtweite des Reichstags­gebäudes wird klar, dass auch SPD-geführte Regierunge­n keine gewerkscha­ftsnahe Schutzmach­t gegen Fragmentie­rung und Ausverkauf des Eisenbahnw­esens sind. Der rot-rotgrüne Berliner Senat und die rot-rote Landesregi­erung in Brandenbur­g setzen nun auf eine Zerschlagu­ng der Berliner S-Bahn. Sie haben ein Ausschreib­ungsverfah­ren eingeleite­t, mit dem zu Lasten der DB Privatbahn­en als Betreiber mehrerer S-Bahn-Linien an Bord geholt werden sollen. Angedacht ist auch eine Privatisie­rung der S-Bahn-Werkstätte­n. »Statt ordnungspo­litischer Experiment­e sollte sich der Senat mit den wahren Problemen dieser Stadt befassen«, kritisiert die EVG. »Einen Ausbau des Streckenne­tzes und einen stabilen Fahrplan erreichen wir nicht, indem zwischen Infrastruk­tur, Betrieb und Instandhal­tung zusätzlich künstliche Schnittste­llen geschaffen werden«, warnt die Gewerkscha­ft.

Vielen DGB-Spitzenfun­ktionären dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein, als die FDP die Sondierung­en verließ.

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Foto: picture alliance/Sven Simon DGB-Chef Reiner Hoffmann bei einem SPD-Parteitag

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