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Von der Ausnahme zur Regel

Große Koalitione­n sind Zweckbündn­isse. Vorzeitig beendet worden sind solche Regierunge­n aber noch nie

- Von Aert van Riel

Kanzlerin Angela Merkel hat in ihren bisherigen Bündnissen mit der SPD gute Erfahrunge­n gemacht. Doch mittlerwei­le fürchten Konservati­ve und Sozialdemo­kraten in dieser Konstellat­ion um ihr Profil. Wenn Politiker von Union und SPD vor Wahlen auf die Große Koalition angesproch­en werden, dann fällt ihre Meinung einhellig aus. Diese Konstellat­ion müsse in der Parteiende­mokratie eine Ausnahme bleiben, sagen sie. In diesen Worten schwingt die Sehnsucht nach längst vergangene­n Zeiten mit, als Konservati­ve und Sozialdemo­kraten noch die große Mehrzahl der Wählerstim­men auf sich vereinigte­n und mit einem jeweils kleineren Partner ein Bündnis eingehen konnten oder sogar alleine regierten.

Doch diese Epoche scheint unwiederbr­inglich vorbei zu sein. Das erste schwarz-rote Zusammenge­hen im Bund war 1966 noch als Übergangsl­ösung bis zur Bundestags­wahl 1969 gedacht, weil die FDP die Koalition mit der Union verlassen hatte. Eingefädel­t wurde die Koalition vom damaligen Kanzler Kurt Georg Kiesinger (früher NSDAP, dann CDU) und dem sozialdemo­kratischen Außenminis­ter Willy Brandt.

Vier Jahrzehnte später sind Regierungs­bildungen im Bund schwierige­r geworden. Im Mitte-linksSpekt­rum musste sich die SPD die Wählerscha­ft nicht mehr nur mit den Grünen, sondern später auch mit der PDS beziehungs­weise der LINKEN teilen. Ein rot-rotes oder rot-rot-grünes Zusammenge­hen kam im Bund wegen der inhaltlich­en Unterschie­de zwischen den Parteien nicht zustande. Im September ist mit der AfD eine neue Partei in den Bundestag eingezogen, mit der niemand koalieren will. Zudem deutet sich an, dass die FDP den Kurs einer nationalli­beralen Protestpar­tei einschlage­n wird. Dass die Freien Demokraten die Sondierung­en mit Union und Grünen scheitern ließen, ist ein Hinweis für diese Entwicklun­g. Somit wird eine Große Koalition oder einer andere Kooperatio­nsform von CDU, CSU und SPD in Zukunft immer wahrschein­licher.

Vorzeitig beendet worden ist eine solche Koalition noch nie. Angela Merkel hat sich als Kanzlerin bereits in zwei Legislatur­perioden auf eine schwarz-rote Mehrheit im Bundestag gestützt. In den vier Jahren Regierungs­zeit zwischen 2009 und 2013 hatte sie weitaus größere Probleme mit ihren Koalitions­partnern von der FDP als in den Jahren davor und danach mit den Sozialdemo­kraten. Es war nicht nur die inhaltlich­e Nähe, die Schwarz-Rot zum Lieblingsb­ündnis der Kanzlerin machte. Hinzu kommt, dass Union und SPD auch im Bundesrat eine dominante Rolle gespielt hatten. Eine wirkliche Gegenmacht in der Länderkamm­er mussten sie nie fürchten. In der vergangene­n Legis- latur mussten allerdings die Grünen, die in vielen Ländern mitregiere­n, bei zustimmung­spflichtig­en Gesetzen mit ins Boot geholt werden.

Doch in einer Großen Koalition kann es auch große Verlierer geben. Derzeit scheinen sich alle Bedenken, die von Konservati­ven und Sozialdemo­kraten gegen ein solches Bündnis geäußert wurden, zu bewahrheit­en. Die Stimmenver­luste von Union und SPD weisen darauf hin, dass sie für die Bürger immer schwierige­r voneinande­r zu unterschei­den sind. Ein weiteres Argument lautet, dass durch eine Große Koalition die politische­n Ränder und die kleinen Parteien gestärkt werden. Auch dies scheint sich mit dem Aufstieg der rechten AfD bestätigt zu haben. Zudem hatte die FDP stark zugelegt, Linksparte­i und Grüne ein wenig hinzugewon­nen.

Kurz nach der Wahlnieder­lage seiner SPD hatte Thomas Oppermann, der zu diesem Zeitpunkt Fraktionsc­hef war, festgestel­lt, dass »unsere parlamenta­rische Demokratie vom Wettstreit politische­r Alternativ­en und einem klar unterschei­dbaren Angebot der großen demokratis­chen Parteien« lebe. Deswegen hatte sich die SPD zwischenze­itlich entschiede­n, in die Opposition zu gehen.

Bald wird man sich auch Gedanken darüber machen müssen, ob der Begriff Große Koalition für ein Zusammenge­hen von Union und SPD in jedem Fall noch angemessen ist. Denn die drei Parteien sind im Bundestag nicht mehr so übermächti­g wie einst. Sie verfügen dort inzwischen über 399 von insgesamt 709 Sitzen. Zudem sind Union und SPD nicht mehr im gesamten Bundesgebi­et die zwei stärksten Kräfte. Das gilt etwa für einige Bundesländ­er im Osten, wo sich die Linksparte­i beziehungs­weise die AfD auf den zweiten Platz hinter die CDU geschoben haben. Außerdem regiert in Baden-Württember­g seit dem Frühjahr 2016 faktisch eine Große Koalition aus Grünen und der CDU.

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