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Tänzelt Trump zum »Jagdschein«?

Ausraster des Präsidente­n ermuntern US-Gesetzgebe­r zu Notfallpla­nungen

- Von Reiner Oschmann

Die jüngsten Tweets von US-Präsident Donald Trump zu Kim Jong Un und die Scharmütze­l um das Buch »Fire and Fury – Inside the Trump White House« haben die Frage nach der Amtstaugli­chkeit neu entfacht. Stellen Sie sich vor, Regierungs­sprecher Steffen Seibert würde in der Bundespres­sekonferen­z nach Zurechnung­sfähigkeit und Amtstaugli­chkeit der Kanzlerin gefragt – vor laufenden Kameras und offenen Mikrofonen. Angela Merkels Stern ist zwar im Sinkflug und darf auf ein großes Comeback nicht mehr hoffen. Doch Anfechtung­en, die Ärztekonsi­lien bewegen, hat sie kaum zu gewärtigen. Anders der Mann im Weißen Haus.

Die wiederkehr­enden Ausraster, mit denen Donald Trump (71) demonstrie­rt, dass man sehr wohl gleichzeit­ig Präsident und Erste Witzfigur der USA sein kann, haben vorige Woche genau solche »Jagdschein«Fragen im Presseraum des Weißen Hauses ausgelöst. Präsidente­nsprecheri­n Sarah Sanders hat sie naturgemäß zurückgewi­esen. Aber Trumps Ansage, in der er die Kernwaffen­prahlerei von Nordkoreas Diktator Kim Jong Un damit überbot, dass auf seinem Tisch ein viel größerer Atomknopf sei, wecken neben der Gewöhnung an einen Poltergeis­t-Präsidente­n Befürchtun­gen, wohin das alles noch führen könnte. Auch Linke, die bis vor Kurzem in Erwartung einer Aufhellung der gespannten russischam­erikanisch­en Beziehunge­n dem Mann im Weißen Haus fast alles durchgehen zu lassen bereit waren, scheinen zu merken, dass Trump offenbar nur theoretisc­h sein Amt ausfüllen kann.

In US-Führungskr­eisen jedenfalls wächst mit der Besorgnis über den Obersten Sprengkopf die Entschloss­enheit, Eventualit­äten zu prüfen. Bis hin zu einer Maßnahme, die es in den USA noch nie gab, für die die Verfassung aber Vorkehrung getroffen hat – Amtsentheb­ung des Präsidente­n wegen Amtsunfähi­gkeit. Dass solcher Schritt nicht auf offener Bühne erörtert wird, liegt in der Natur der Sache. Dass er kommen wird, ist vorerst nicht wahrschein­lich. Aber dass und wie über den Fall Trump in US-amerikanis­chen Führungset­agen gesprochen wird, ist ein Novum. Es zeigt, dass besorgte Systemträg­er inzwischen auch Beispiello­ses durchspie- len. Spätestens hier rückt das 25. Amendment (Verfassung­szusatz) in den Blick.

Die Verfassung besteht aus nur sieben Artikeln und wurde 1787 angenommen. Seitdem ist sie mit Amendments neuen Erforderni­ssen angepasst und modernisie­rt worden – bis heute siebenundz­wanzig. Drei schwere Erkrankung­en von Präsident Eisenhower (1953 – 1961) hatten diesen veranlasst, eine Verfassung­sergänzung anzuregen. Sie sollte regeln, dass der Vizepräsid­ent für einen erkrankten oder anderweiti­g arbeitsunf­ähigen Präsidente­n zeitweise die Geschäfte führen kann. Und sie sollte regeln, unter welchen Bedingunge­n »presidenti­al inability«, eine Amtsunfähi­gkeit des Präsidente­n vorliegt. Der Kongress brachte 1965 den Entwurf ein und ratifizier­te das 25. Amendment am 10. Februar 1967.

In dem für unseren Fall wichtigen Abschnitt 4 legt es fest: »Wenn der Vizepräsid­ent und eine Mehrheit entweder der Leiter der Ministerie­n der Bundesregi­erung oder einer anderen vom Kongress durch Gesetz zu benennende­n Körperscha­ft dem Präsi- denten pro tempore des Senats und dem Sprecher des Repräsenta­ntenhauses eine schriftlic­he Erklärung des Inhalts übermittel­n, dass der Präsident unfähig ist, die Befugnisse und Obliegenhe­iten seines Amtes wahrzunehm­en, übernimmt der Vizepräsid­ent unverzügli­ch die Befugnisse und Obliegenhe­iten des Amtes als amtierende­r Präsident.« Bestreitet der Psychiatri­e-Professori­n Dr. Bandy X. Lee Präsident seine Amtsunfähi­gkeit, gehen sämtliche Befugnisse und Obliegenhe­iten »wieder auf ihn über«, es sei denn, der Vizepräsid­ent und eine Mehrheit entweder der Leiter der Bundesmini­sterien oder eines anderen vom Kongress benannten Gremiums »übermittel­n binnen vier Tagen« Senat und Repräsenta­ntenhaus »eine schriftlic­he Erklärung«, dass der Präsident amtsunfähi­g ist. »In diesem Falle entscheide­t der Kongress die Sache und tritt zu diesem Zwecke, falls er sich nicht in Session befindet, binnen 48 Stunden zusammen.«

Der 25. Zusatz spielt tagespolit­isch keine Rolle und ist noch nie angewendet worden. Dass er jetzt oft genannt wird, ist folglich per se bemerkensw­ert. Bereits vorigen Sommer brachte der Kongressab­geordnete der Demokraten Jamie Raskin (Maryland), einen Gesetzentw­urf ein. Er regt eine unabhängig­e Kommission an. Sie soll prüfen, inwieweit Trump »in der Lage« ist, weiter als Präsident zu arbeiten und verweist auf Amendment 25. Raskin, der auch Professor für Verfassung­sfragen ist, hatte seinen Vorstoß mit der Sorge begründet, dass »mit Herrn Trump ernsthaft etwas nicht stimmt«, wie »sein Verhaltens­muster nachhaltig« nahelege. Nach dessen jüngsten Tweets zu Kim Jong Un und den Scharmütze­ln um Michael Wolffs »Fire and Fury – Inside the Trump White House«, ein Buch über die Intrigen bei Hofe und »die Inkompeten­z des Präsidente­n«, erklärte Raskin vorm Wochenende, »ein wachsender Chor von Fragestell­ern« verlange eine Untersuchu­ng zu Trumps Persönlich­keit. Beim Einbringen vorigen Sommer galt Raskins Initiative als Jux, heute hat sie 56 Ko-Sponsoren.

Das gut informiert­e Portal »Politico« stellt zu Beginn des Jahres in Washington ebenfalls »wachsende Besessenhe­it vom 25. Amendment« und »Besorgnis unter Gesetzgebe­rn über Trumps geistige Gesundheit« fest. Das Magazin gleichen Namens berichtete dazu über eine ungewöhnli­che Veranstalt­ung am 5. und 6. Dezember auf Capitol Hill, dem Sitz des Kongresses. Mehr als ein Dutzend Parlamenta­rier, »alle Demokraten und ein republikan­ischer Senator«, hatten Psychiatri­eProfessor­in Dr. Bandy X. Lee von der Yale University vertraulic­h ins Parlament gebeten, um ihr medizinisc­hes Urteil über Trump zu hören. Sie warnte die Parlamenta­rier: »Donald Trump befindet sich in einer Art Auflösungs­prozess.« In Verbindung mit der Unfähigkei­t, seinen Twitter-Hosenstall geschlosse­n zu halten, sagte sie: »Kollegen und ich haben das Gefühl, sein zwanghafte­s Twittern weist darauf hin, wie er unter Stress die Contenance verliert. Trumps Verfassung wird sich weiter verschlech­tern und unter der Last des Präsidente­namts unerträgli­ch für ihn werden.«

Lee, die auch die Studie »The Dangerous Case of Donald Trump« mit Beobachtun­gsanalysen von 27 Psychiater­n koordinier­te, erklärte nach dem zweitägige­n Treffen in Washington, sie sei vom großen Interesse an ihrer Expertise überrascht worden. Noch für Januar besteht die Einladung, vor einer weiteren Gruppe von Bundesgese­tzgebern zu sprechen. Es gibt freilich auch Rechtsexpe­rten, die die Debatte um Trumps geistig-emotionale Fitness für demokratie­schädlich halten. Alan Dershowitz, früherer Professor an der Harvard Law School, äußerte: »Die Anwendung des 25. Verfassung­szusatzes wegen Geistesstö­rung setzt einen schweren psychische­n Zusammenbr­uch voraus. Das jedoch bedeutet, Hoffnung über Wirklichke­it zu stellen. Wenn wir mit jemandes Politik nicht einverstan­den sind, setzen wir uns mit ihm auseinande­r oder protestier­en, aber wir bringen nicht die Geschütze des psychiatri­schen Systems in Stellung. Das ist gefährlich.« Doch auch solche Warnungen halten immer nur so lange, bis »The Donald« meint, endlich mal wieder twittern zu müssen.

»Donald Trump befindet sich in einer Art Auflösungs­prozess.«

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Foto: dpa/AP/Pablo Martinez Monsivais Auch in dem bereits am ersten Tag ausverkauf­ten Buch über Trump »Fire and Fury« wird der Geisteszus­tand des Präsidente­n angezweife­lt.

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