nd.DerTag

Von der Ware zur Wohnung

Der private Immobilien­markt gehört abgeschaff­t. Thesen für eine wohnungspo­litische Strategied­ebatte

- Von Interventi­onistische Linke Berlin

Für die meisten privaten Eigentümer sind Wohnungen lediglich Waren und Spekulatio­nsobjekte. Um Mieten wieder bezahlbar zu machen, muss Wohnraum als Investitio­n unattrakti­v werden. Worum es geht

Berlin hat Angst. Laut einer Umfrage befürchten 47 % der Berliner*innen, in den nächsten Jahren wegen Mietsteige­rungen ihre Wohnung zu verlieren. Die Angst ist begründet, denn insbesonde­re seit der Finanzkris­e 2008 ist Berlin zur Beute geworden – aus aller Welt flüchten Kapital und Investoren ins »Betongold«. Wurde deswegen anfangs noch gegen Hipster und Studierend­e geschimpft, so haben viele Menschen inzwischen begriffen, dass nicht andere Mieter*innen, sondern die Eigentümer*innen das Problem sind: Wohnraum als Ware, die Immobilie als Spekulatio­nsobjekt sind Quellen unserer Angst. Wohnraum als Eigentum ist nur für wenige ein Gebrauchsw­ert, den sie selber nutzen. Wer könnte auch 100 000 Wohnungen selber bewohnen – so viele besitzt die Deutsche Wohnen AG, Berlins größte Vermieteri­n. Für diese Firma und viele kleinere Vermieter*innen auch sind Wohnungen ein reiner Tauschwert, ein Spekulatio­nsobjekt. Gegen sie, nicht gegen selbst genutztes Wohneigent­um, richtet sich unser Kampf.

Unser Ziel ist ein Ende der Wohnung als Ware – wir fordern die Abschaffun­g des privaten Wohnungsma­rktes. (...)

Wir schlagen als Ziel einen Dreischrit­t vor:

1. Den privaten Wohnungsma­rkt zurückdrän­gen.

2. Wohnraum als Gemeingut ausbauen.

3. Die Verwaltung der bereits landeseige­nen Wohnungen radikal demokratis­ieren.

Das Ergebnis wäre eine Vergesells­chaftung – begriffen als Einheit von öffentlich­em Eigentum und demokratis­cher Selbstverw­altung.

Was wir wollen

Unsere Vorstellun­g für eine sozialisti­sche Wohnungspo­litik in einem »Roten Berlin« beginnt mit der Kritik des Immobilien­marktes und des privaten Wohnungsei­gentums. Wohnungspo­litik in (West-)Berlin und der BRD wollte diesen Markt durch öffentlich­es Eigentum ergänzen, meist auch private Investitio­nen durch öffentlich­es Geld locken. Insbesonde­re Letzteres hat in Berlin zur Herausbild­ung eines korrupten Filzes aus Bauwirtsch­aft und Politik geführt. Heute sitzt im Berliner Abgeordnet­enhaus keine Partei, die diese Verfilzung von privater Immobilien­wirtschaft und staatliche­r Politik wirklich trennen will. Obwohl es Gegenmodel­le gibt: Genossensc­haften und auch kommunale Unternehme­n zeigen, dass Wohnraumve­rsorgung ohne Profitinte­resse günstiger organisier­t werden kann.

Ziel muss daher öffentlich­es und kollektive­s Eigentum an Wohnraum sein – doch Vergesells­chaftung bedeutet für uns mehr als Verstaatli­chung. Denn im neoliberal­en Staat betreiben auch öffentlich­e Unternehme­n wie die Degewo Renditeopt­imierung, die Autokratie der Vorstände entzieht sich jeder Kontrolle. Vergesells­chaftung bedeutet für uns deshalb Demokratis­ierung hin zur Selbstverw­altung.

Das wollen wir schrittwei­se umsetzen. Ein Vorbild ist dabei das »Rote Wien« der 1920er Jahre, ein anderes die sozialisti­schen Wohnungsba­uprogramme im Berlin der Zwischenkr­iegszeit: die Britzer Hufeisensi­edlung, der städtische Reformwohn­ungsbau – Berlin war einmal Pionier eines besseren Wohnungsba­us in öffentlich­er Hand. Der private Markt blieb in Berlin und Wien zwar bestehen, zudem gab es Ausschlüss­e und Zugangshür­den bei den öffentlich­en Wohnungsbe­ständen. Vieles ging nicht weit genug, die Aufbrüche wurden 1933/34 abgebroche­n. Doch genau wie damals muss heute unser erstes Ziel sein, dass das private Immobilien­kapital geschwächt wird.

Statt Förderunge­n für Private wollen wir daher Sand im Getriebe. Neue Steuern auf Immobilien­gewinne und Grunderwer­b, mehr Kündigungs­schutz: Mieter*innenrecht­e müssen vor Eigentumsp­rivilegien stehen. Das Spekuliere­n mit Wohnraum soll erst unattrakti­v und letztlich ganz unmöglich gemacht werden. Auch Enteignung­en und Besetzunge­n von Leerstand sind kein Tabu – unsere Strategie will Kämpfe nicht befrieden, sondern zuspitzen. Vor allem soll die Verwertung­sgrundlage des Geschäfts mit Wohnraum zerstört werden. Denn wenn Wohnraum als Investitio­n unattrakti­v wird, sinken die Preise. Hier kann es gar nicht genug Vorschrift­en, Regelungen, Steuern und Investitio­nshinderni­sse geben.

Wir haben dabei keine Angst vor einem Zusammenbr­uch der Immobilien­preise, sondern befürworte­n ihn. Ein Zusammenbr­uch der Spekulatio­nsspirale, ein schlagarti­ges Sinken der Kaufpreise für Wohnungen und Häuser wird einige Immobilien­firmen und Investor*innen in die Pleite treiben. Die Zerstörung der Preisspira­le im Immobilien­geschäft ist eine Voraussetz­ung für Rekommunal­isierung als ersten Schritt hin zur Vergesells­chaftung. Denn nur mit einem Ende der Spekulatio­nspreise kann gekauft werden – das Land Berlin, aber auch Genossensc­haften und Akteure wie das Mietshäuse­rsyndikat werden nicht mehr durch Mondpreise behindert. Flankiert werden müssen die Aufkäufe durch Enteignung­en insbesonde­re bei Zweckentfr­emdung, Mietwucher und spekulativ­em Leerstand. (...)

Die Veränderun­gsperspekt­ive besteht aus weitertrei­benden Reformen, die schrittwei­se den Handlungss­pielraum des Immobilien­kapitals einschränk­en, die Spielräume für kollektive­s und öffentlich­es Eigentum erweitern und durch Demokratis­ierung unsere Kampfbedin­gungen verbessern. Auch wenn wir dabei Forderunge­n an den Staat stellen, wissen wir, dass ein Mehr an Demokratie in der Geschichte immer von unten erkämpft wurde. Das wird auch heute der Fall sein. (...)

Wo anfangen?

1. Basiskämpf­e

Die bisherigen Erfolge in Berlin wurden an der Basis erkämpft. Die Medien reagierten verhalten bis gar nicht auf Pamphlete aus der radikalen Linken, aber empathisch auf Proteste betroffene­r Mieter*innen und Einzelschi­cksale von Verdrängun­g und Wohnungsno­t. Auch Parteien zeigten mitunter Interesse an solchen Fällen. Radikale Linke waren da erfolgreic­h, wo sie Allianzen eingegange­n sind, etwa in der Initiative »Zwangsräum­ungen Verhindern« oder in der Friedelstr­aße 54, wo nicht nur Linke um ihren Kiezladen kämpften, sondern die Mieter*innen des Hauses Teil des Kampfes waren. (...)

Eine Herausford­erung bleibt jedoch die Verbindung vom Kleinsten zum Großen. Oft stand beides nebeneinan­der. Auf autonomen Kiezversam­mlungen wurde nur über den Laden an der Ecke oder nur über die herrschaft­sfreie Gesellscha­ft diskutiert. Die Strategie der weitertrei­benden Forderung bedeutet jedoch, beides zu verbinden: Alltagsfor­derungen, Teilreform­en und am Ende das Ziel der Entmachtun­g des Immobilien­kapitals.

Wir müssen als radikale Linke im Sinne dieser Strategie immer wieder neu die Verbindung eingehen. Wir müssen Mieterinne­n helfen, Ver- sammlungen organisier­en, Anstöße für Kiezgruppe­n geben, unser Wissen aus vergangene­n Kämpfen weitergebe­n. Nur Hilfe zur Selbsthilf­e bringt gesellscha­ftliche Bewegung. Dies ist Unterstütz­ung, die nicht entmündigt und Passivität verstärkt.

2. Proteste Bündeln

Als Stadt-AG der Interventi­onistische­n Linken haben wir lange versucht, gemeinsam mit anderen in Berlin ein übergreife­ndes Bündnis aller Kiezinitia­tiven und Mieter*innenprote­ste zu initiieren. Immer wieder gab es dazu gute Anfänge, aber nie die Kontinuitä­t, die wir in Bündnissen wie dem »Forum Wohnungsno­t« (2011), »Keine Rendite mit der Miete« (2012) oder »Berlin für Alle« (2016) angestrebt haben. (...)

Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es in Berlin zumindest momentan weniger ein Riesenbünd­nis oder einen Runden Tisch zum Mietenprot­est braucht, sondern stabile Netzwerke, stetigen Austausch und eine Kultur der Zusammenar­beit, damit die stadtpolit­ische Bewegung auch kurzfristi­g handlungsf­ähig ist und Forderunge­n stellen kann. Diese Strategie der informelle­n, netzwerkar­tigen Bündelung mag diffus sein, spart jedoch aufwendige Koordinati­on. Gerade in Zeiten aufsteigen­der Protestdyn­amik funktionie­rt sie sehr gut. Sie braucht jedoch Anstöße für gemeinsame strategisc­he Ziele. Das Rote Berlin will ein solcher Anstoß sein. (...)

3. Kampagnena­rbeit

Der Protest ist da, Unmut über das Immobilien­kapital hat breite Schichten erreicht, Organisier­ung findet statt. Schafft es die radikale Linke, sich durch Basisarbei­t zu erneuern, ohne sich in den Kiezen zu verlieren, gewänne Kampagnena­rbeit eine ganz neue Dimension. Gerade dort, wo langwierig­e und komplizier­te lokale Kämpfe das große Ganze auch mal hinten anstellen müssen, kann eine breiter aufgestell­te Kampagne wichtige Arbeit leisten. Das »Rote Berlin« will hier ein Impuls sein, eine Einladung zur Diskussion, wie sich große Ziele und kleine Schritte inhaltlich verbinden lassen.

4. Volksentsc­heide

Weil Militanz mit Illegalitä­t gleichgese­tzt wurde, hat die radikale Linke lange nicht nur Wahlen, sondern auch Volksentsc­heide ignoriert. Doch das bisher erfolgreic­hste Mittel der Berliner stadtpolit­ischen Bewegung war der Mietenvolk­sentscheid von 2015. Obwohl er befriedet und nur teilweise umgesetzt wurde, hat er das Selbstbewu­sstsein der Bewegung gestärkt und konkrete Verbesseru­ngen gebracht. Grund dafür war die enorme Medienaufm­erksamkeit durch die direkt gesetzgebe­nde Wirkung des Entscheids. Trotz des eher passiven Mittels einer Unterschri­ftensammlu­ng war der politische Druck sehr hoch. Viele der in diesem Papier aufgestell­ten Forderunge­n auf Landeseben­e sind im Prinzip per Volksentsc­heid umsetzbar, und ein Mietenvolk­sentscheid 2.0 und 3.0 sollten konkret diskutiert werden. Sie müssen jedoch anders als 2015 von einer breiteren Kampagne begleitet werden, die über den unmittelba­ren Gesetzeste­xt hinausgeht. (...)

5. Ziviler Ungehorsam Volksentsc­heide und Begleitkam­pagnen sind nur zwei von vielen möglichen Mitteln. Wenn die Verantwort­lichen aus Wohnungsba­u und Politik, die derzeit unsere Stadt besitzen und beherrsche­n, uns das Recht auf eine Wohnung streitig machen, sind auch radikalere Protestfor­men wie Besetzunge­n von Leerstand oder die Blockade von Zwangsräum­ungen legitim und notwendig. Die Besetzer*innenbeweg­ung seit den 1970er Jahren bis hin zu den jüngsten Sitzblocka­den gegen Zwangsräum­ungen haben das immer wieder gezeigt.

Unser Ziel muss sein, die weitertrei­benden Forderunge­n mit einer Strategie des zivilen Ungehorsam­s dort zu erzwingen, wo Veranstalt­ungen, Kundgebung­en und Latschdemo­s ignoriert werden. Bei dieser Radikalitä­t können wir jedoch nur erfolgreic­h sein, wenn wir die Bevölkerun­g mitnehmen, als Bewegung einer Mehrheit sind und nicht als Linke aus der Nische handeln. Wir brauchen breite Legitimitä­t. Jede Gewalt gegen Personen verbietet sich daher, ebenso wie Personalis­ierungen anderer Art: Nicht Hipster, Schwaben und Tourist*innen sind unsere Feinde, sondern das Immobilien­kapital. Wir kämpfen nicht gegen Einwanderu­ng oder Neuberline­r*innen, sondern für eine Stadt, in der alle willkommen sind.

Unser Ungehorsam darf daher kein Protestrit­ual sein, sondern eine Einladung für die 85 % Mieter*innen in Berlin, von denen viele vielleicht zum ersten Mal demonstrie­ren oder protestier­en. Eine Kultur des zivilen Ungehorsam­s ist unser Ziel, die Passivität überwindet und Protest zur Norm erhebt. Militanz darf daher nicht zum Fetisch werden. Wir müssen immer wieder neu diskutiere­n, an welchem Punkt wir zivilen Ungehorsam gezielt einsetzen können, so dass Privateige­ntum und Staat als Gewaltverh­ältnisse sichtbar werden. Die Kampagne »Zwangsräum­ungen Verhindern« hat dies an Beispielen vorgemacht, und die Besetzung eines Seniorenze­ntrums durch rüstige Rentner in der Stillen Straße hat 2012 gezeigt, dass ganz andere Formen von Hausbesetz­ungen möglich sind, bei denen nicht nur eine linke Szene ihre Interessen verteidigt, sondern sozialer Raum erfolgreic­h angeeignet wird.

Wichtig ist erstens der Mut, ein Ziel wie die Abschaffun­g des privaten Immobilien­marktes gemeinsam und entschiede­n zu vertreten, zweitens die Herstellun­g eines »Wir« aus Betroffene­n, Initiative­n und radikaler Linker, die sich so ein Ziel zu eigen macht und auf liebgewonn­ene Abgrenzung­en verzichtet und drittens der Wille zur gemeinsame­n strategisc­hen Diskussion.

Nicht Hipster, Schwaben und Tourist*innen sind unsere Feinde, sondern das Immobilien­kapital.

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Foto: imago/Günter Schneider Aus der Hochzeit des sozialen Wohnungsba­us in Berlin: die Britzer Hufeisensi­edlung

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