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Schule für alle

Das Bildungsmi­nisterium weitete den gemeinsame­n Unterricht mit behinderte­n Kindern aus

- Von Klaus Peters dpa

Der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Handicap wird kritisch beäugt. Doch viele betroffene Eltern möchten es. Brandenbur­g will dafür mehr Möglichkei­ten schaffen. Theresa Fietzke sitzt am Rande eines Klassenzim­mers der Potsdamer Rosa-Luxemburg-Grundschul­e und beobachtet den siebenjähr­igen Tom. Der Erstklässl­er löst wie alle seine Mitschüler konzentrie­rt seine Aufgaben, doch er kommt nicht an sein Federmäppc­hen heran. Fietzke schiebt ihn mit seinem Therapiest­uhl näher an den Tisch heran.

»Im Rollstuhl ist er ziemlich wendig, aber den Therapiest­uhl kann man nur schieben«, erläutert die Einzelfall­helferin, die Tom täglich im Alltag begleitet. Er ist mit einem offenen Rücken geboren und eines von 25 Kindern mit Handicap oder Förderbeda­rf, die an der Regelschul­e unterricht­et werden.

Die Rosa-Luxemburg-Schule ist eine von 75 Grundschul­en in Brandenbur­g, die bereits seit fünf Jahren Inklusion betreiben, die inzwischen Gemeinsame­s Lernen von Kindern mit und ohne Förderbeda­rf heißt. Das Pilotproje­kt wurde in diesem Schuljahr auch auf Ober- und Gesamtschu­len und damit auf insgesamt 129 Schulen ausgeweite­t.

Dafür stellt das Land den Schulen in diesem und im kommenden Schuljahr zusätzlich bis zu 432 Sonderpäda­gogen als Lehrkräfte zur Verfü- gung. Für das zusätzlich­e Personal sind in diesem Jahr 5,6 Millionen Euro, im nächsten Jahr bereits 18,3 Millionen Euro geplant. In der Rosa-Luxemburg-Schule mit ihren insgesamt rund 500 Schülern seien vier Sonderpäda­gogen und zwei pädagogisc­he Unterricht­shelfer im Einsatz, berichtet Schulleite­rin Sabine Hummel.

»In den meisten Fällen geht es bei den Kindern um eine Unterstütz­ung in der emotionale­n und sozialen Entwicklun­g oder der Sprache«, sagt Hummel. Die Sonderpäda­gogen erstellen Förderplän­e für die betroffene­n Schüler und stimmen sie mit den anderen Fachlehrer­n ab. »Wir haben jetzt viel mehr Kommunikat­ion im Kollegium«, sagt die Schulleite­rin.

In den meisten Fällen schafften die Schüler den Übergang in eine wei- terführend­e Schule. »Dafür wird dann schon ein halbes Jahr zuvor eine Ober- oder Gesamtschu­le ausgesucht«, berichtet Hummel. In Einzelfäll­en stoße die Schule mit ihren Möglichkei­ten aber auch an Grenzen. »Wir hatten mal zwei Jahre lang ein autistisch­es Kind, das sich nicht sozial integriere­n konnte«, erzählt sie. »Das Kind ist dann auf eine Förderschu­le gekommen.«

Andere Schüler mit Förderbeda­rf konnten trotz des Wunsches der Eltern, etwa aus Platzmange­l oder weil sie nicht aus dem Einzugsber­eich der Schule kamen, nicht aufgenomme­n werden. »Wir bekommen immer mehr Anfragen, weil wir in dem Bereich spezialisi­ert sind – aber ich möchte nicht, dass wir eine neue Art von Förderschu­le werden«, betont Hummel. »Ich möchte die Heterogeni­tät einer ganz normalen Regelschul­e bewahren.«

Immer mehr Eltern wünschten sich, dass ihre Kinder mit einem Förderbeda­rf eine normale Regelschul­e besuchen und einen anerkannte­n Schulabsch­luss machen können, sagt der Sprecher des Bildungsmi­nisteriums, Ralph Kotsch. »Diesem Elternwuns­ch tragen wir Rechnung.« Entspreche­nd sei der Anteil der Schüler, die eine Förderschu­le besuchen, zwischen den Schuljahre­n 2005/2006 und 2015/2016 von 6,1 Prozent auf 4,1 Prozent gesunken.

Aktuell haben etwa 16 000 der rund 289 000 Schüler in Brandenbur­g einen festgestel­lten sonderpäda­gogischen Förderbeda­rf. Etwa 11 000 von ihnen haben Defizite im Lernen, in der sozialen und emotionale­n Entwicklun­g sowie in der Sprache. Ziel ist es, diese Kinder in einen normalen Schulallta­g zu integriere­n und beim Lernen zu unterstütz­en.

In Toms Klasse ist noch ein weiteres körperbehi­ndertes Kind. Merle ist schwerhöri­g. Klassenleh­rerin Anny Reichmann wiederholt für sie Fragen der Mitschüler, damit Merle auch von ihren Lippen lesen kann. »So brauche ich nicht extra ein Sprechgerä­t – nur leider fallen Merles Hörgeräte immer mal wieder 'raus«, sagt Reichmann. Eifersucht auf die Sonderbeha­ndlung für Tom und Merle komme in der Klasse nicht auf, berichtet sie. »So erleben die Kinder das nicht: Die Einzelfall­helferin kümmert sich nicht nur um Tom, sondern zeigt, dass sie für alle da ist.«

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Helferin Fietzke im Einsatz an der Luxemburg-Schule

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