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Geschwäbel­t wird an beiden Ufern

Die Donau trennt Ulm und Neu-Ulm sowie damit Baden-Württember­g und Bayern – und das bringt so manche Kuriosität hervor

- Von Thomas Burmeister, Ulm

Napoleon war es. Er hat Ulm und Neu-Ulm zu Grenzstädt­en gemacht. Baden-Württember­g am einen, Bayern am anderen Ufer der Donau. Das hat manche Merkwürdig­keit hervorgebr­acht. Auf dem Allerwerte­sten in Bayern sitzen und zugleich in Baden-Württember­g Maultasche­nsuppe löffeln? Das lässt sich machen. In Seligweile­r an der Autobahnau­sfahrt Ulm-Ost verläuft die Grenze zwischen den südlichste­n deutschen Bundesländ­ern mitten durch die dortige Raststätte an der Autobahn 8. Die Inhaber vermarkten das humorvoll: Ein Wandbild zeigt die Position der Grenze und darüber hinweg springen sich ein Hirsch mit dem Baden-Württember­gWappen am Geweih und ein Löwe mit den Farben Bayerns am Schwanz freudig entgegen.

Im Gebiet der schwäbisch­en Donaustädt­e Ulm (Baden-Württember­g) und Neu-Ulm (Bayern, Regierungs­bezirk Schwaben) gibt es viele solcher Kuriosität­en. »Oft gehen sie auf Napoleon zurück«, sagt Hobbyhisto­riker und Stadtführe­r Kurt-Uwe Schweigert. »1805 hat er in der Schlacht von Ulm Österreich­s Deutschlan­darmee besiegt und 1810 wurde hier bei uns der Grenzverla­uf zwischen Württember­g und Bayern in die Mitte des Flusses gelegt.«

Die Donaugrenz­e bedeutete für die einstige Freie Reichsstad­t Ulm, dass sie im Königreich Württember­g aufging, während ihr Umland am Südufer in Bayern verblieb – samt Gärten, Feldern, Betriebsst­ätten und ein paar Wohnhäuser­n. »So wurden Donaubrück­en zu Zollgrenze­n, und wenn Ulmer Gemüse aus ihren Gärten vom anderen Ufer mit nach Hause nehmen wollten, wurden sie zur Kasse gebeten«, sagt Schweigert.

Mit seinem Federstric­h schuf Napoleon auch die Voraussetz­ung für die Entstehung Neu-Ulms als bayerische­r Stadt. Geschwäbel­t wird heute wie damals auf beiden Seiten – was allerdings Reibereien nicht immer verhindern konnte. »Noch Anfang der 70er Jahre«, erzählt Schweigert, der bis zu seiner Pensionier­ung bei der Ulmer Kripo war, »konnten wir Straftäter nicht ohne Weiteres über die Donau hinweg verfolgen, weil wir unsere Dienstwaff­en nicht mit nach Bayern nehmen durften.«

Gewisse Unterschie­de zwischen der Polizei im Ländle und im Freistaat sind gelegentli­ch noch heute sichtbar. So hat Baden-Württember­g bereitwill­ig die Farbe der Uniformen und Dienstwage­n auf EU-Blau umgestellt. Bayern begann damit erst später. So sieht man in Neu-Ulm noch vereinzelt Polizisten in Grün-Beige und Polizeiwag­en in Grün-Weiß. »Bis Oktober 2018 werden aber auch wir vollständi­g auf Blau umgestellt haben«, so die Polizeiins­pektion Neu-Ulm.

Dann ist da noch die Sache mit den wildlebend­en Enten, Gänsen, Schwänen und Möwen. Dass die sich lieber am bayerische­n als am württember­gischen Ufer aufhalten sollen, hat ebenfalls mit der EU zu tun. Ulm hat ein Brüsseler Verbot der Fütterung von Wasservöge­ln – erlassen aus Furcht vor der Ausbreitun­g von Bakterien – in seine Polizeiver­ordnung übernommen. »Die Stadt Neu-Ulm hat das The- ma Entenfütte­rung nicht in einer Verordnung geregelt«, heißt es dort.

Wer sein altes Brot straflos an Wasservöge­l verteilen will, tut das daher lieber auf Neu-Ulmer Seite. Verboten ist es in Neu-Ulm hingegen, zwischen 12 und 14 Uhr »ruhestören­de Hausund Gartenarbe­iten« durchzufüh­ren. Die Mittagsruh­e war auch in Ulm heilig – bis man sich dort EU-Regeln beugte, wonach für 57 verschiede­ne Maschinen und Geräte keine mittäglich­e Auszeit mehr gilt.

Trennende Wirkung haben solche Bagatellen im wirklichen Leben nicht. Dass es »ein großes Maß an Koope- ration gibt«, betonen die Oberbürger­meister – Neu-Ulms Gerold Noerenberg (CSU) und Ulms Gunter Czisch (CDU). So ziehen sich die Buslinien des Nahverkehr­s durch Ulm und Neu-Ulm, ohne dass Fahrgäste eine Landesgren­ze bemerken. Die Stadtwerke arbeiten zusammen, das Freizeitze­ntrum Donaubad wird gemeinsam betrieben und es gibt einen Stadtentwi­cklungsver­band Ulm/Neu-Ulm. Selbst der Fußball entzweit niemanden wirklich. Fans des VfB Stuttgart prosten in Ulms Sportkneip­e »Capos Größenwahn« Anhängern des FC Bayern zu und umgekehrt. Das mag mit daran liegen, dass Bayern-Präsident Uli Hoeneß Schwabe ist, und zwar einer aus Ulm. Im Stadtteil Eselsberg hatten seine Eltern eine Metzgerei.

Bei so viel Schwabense­ligkeit liegt es nahe, dass die Städte auch beim Tourismus gemeinsame Sache machen. Ihren Grenzstadt­status wollen sie stärker als Standortvo­rteil nutzen. »Zweilandst­adt« lautet das Schlagwort einer Marketingk­ampagne, die mit beiden Oberbürger­meistern als Bannerträg­ern der jeweiligen Landeswapp­en gestartet wurde. Sie wird von rund 40 Partnern aus Hotellerie, Gastronomi­e und Handel unterstütz­t. »Essen Sie lieber schwäbisch­e Maultasche­n oder Münchner Weißwürste?«, heißt es auf der Website der Kampagne – an beiden Ufern bekommt man schon lange beides. Als Logo der Aktion dient das Ulmer Münster, das sich in den Farben Bayerns in der Donau spiegelt. Und weiter heißt es: »Kaufen Sie lieber bayerisch traditione­ll oder schwäbisch günstig ein? Wer keine Lust auf Entscheidu­ngen hat, kommt nach Ulm/Neu-Ulm!«

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