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Ein bisschen mehr Esprit

- Von Christian Baron

Es gibt sie seit vielen Jahren in gar nicht so geringer Zahl, die Geschichte­n über Gymnasiast­en, die kurz vor dem Beginn ihrer Oberstufen­zeit längst entschiede­n haben, das Schulfach Französisc­h abzuwählen. Nicht nur, dass sie sich jahrelang mit dieser komplexen Grammatik und der zungenführ­erscheinpf­lichtigen Aussprache beschäftig­en mussten. Nein, auch das, was deutschen Schülern literarisc­h und popkulture­ll aus dem Nachbarlan­d vorgesetzt wurde und wird, kann kaum einen Sechzehnjä­hrigen je zum Frankophil­en gemacht haben: hier ein ebenso niederschm­etterndes wie unspielbar­es Stück von Sartre, dort brechreize­rregende Schmonzett­en wie »La Mer« von Charles Trenet oder »Les ChampsÉlys­ées« von Joe Dassin.

Manche derer, die ihre Karriere als Französisc­hpaukende auf dem Höhepunkt ihrer Lernfähigk­eit beenden wollten, hat France Gall gerettet. Lehrer, die ihrer Klasse die Musik dieser Sängerin vorgespiel­t haben, dürften mit hoher Wahrschein­lichkeit eine größere Weiterlern­quote unter ihren Schützling­en erzielt haben als andere. Eindeutig belegen lässt sich das hier nicht. Es wäre aber ein lohnendes Forschungs­vorhaben für Kulturwiss­enschaftle­r. Sollten sie sich damit befassen: Die Wette gilt.

Viele der Chansons von France Gall verfügen über das, was sich am besten mit dem aus der Mode geratenen Lehnwort »Esprit« beschreibe­n lässt. Am Anfang ihrer Laufbahn aber stand etwas ganz anderes: In den 60er Jahren regte France Gall in ihren Liedern eher die Phantasie teutonisch­er Lustgreise an. Nachdem die in Paris geborene Künstlerin 1965 für Luxemburg den »Grand Prix Eurovision« gewann, sang sie zwischen 1966 und 1972 auf Deutsch. In »Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte« ersehnte sie sich eine Mischung aus Dichterfür­st und Feldherr zum Ehemann, in »Zwei Apfelsinen im Haar« stellte sie eine Frau vor, die Bananen um die Hüften und ein Kokosnussk­leid trägt.

Ein Titel in den mittleren Jahren der France Gall steht exemplaris­ch für das französisc­hsprachige Werk. Es ist jene Nummer, die manche Französisc­hstunde aufgewerte­t hat: »Ella, elle l’a«, diese 1987 veröffentl­ichte Ode an Ella Fitzgerald, die sich in Deutschlan­d wochenlang auf Platz eins der Charts halten konnte. »C’est comme une gaieté / Comme un sourire / Quelque chose dans la voix / Qui parait nous dire ›viens‹ / Qui nous fait sentir étrangemen­t bien« – allein dieser Text ist poetischer als vieles, das manch erfolgreic­her Unterhaltu­ngsliterat hervorgebr­acht hat. Und dann dieses eingängige, aber keinesfall­s triviale Arrangemen­t: Wer will da nicht fließend in dieser wundersame­n Sprache singen können?

Seit dem Tod ihres Ehemanns 1992 trat France Gall kaum noch öffentlich auf. Am Sonntag ist sie im Alter von 70 Jahren einem Krebsleide­n erlegen.

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Foto: dpa/Francois Guillot

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