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Sack und Pack

Touristenm­assen sollen die Berliner nicht mehr nerven.

- Von Nicolas Šustr

In Mitte und Kreuzberg sinkt Jahr für Jahr die Akzeptanz der Anwohner von Touristen. Mit einem Tourismusk­onzept möchte der Senat dieser Entwicklun­g entgegenwi­rken. »Wer geglaubt hat, dass die Air-Berlin-Pleite keine Auswirkung­en haben wird, hat sich geirrt«, sagt Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne). Unter dem Strich rechnet Burkhard Kieker, Chef der Tourismusw­erber von Visit Berlin, für 2017 mit gleichblei­benden Gästezahle­n wie 2016. Die Fluglinie Air Berlin habe schon ab Mai geschwäche­lt. Die Einstellun­g des Flugbetrie­bs Ende Oktober vergleicht er mit einem Infarkt.

Wenig Einfluss auf die Besucherza­hlen in Berlin habe der Terroransc­hlag auf den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz vor etwas über einem Jahr gehabt. Lediglich einige asiatische Touristen hätten sich davon vom Berlin-Besuch abhalten lassen.

Immerhin die Übernachtu­ngspreise seien trotz des Einbruchs stabil geblieben. »Berlin gelingt es, höhere Preise durchzuset­zen. Das ist ein gutes Zeichen«, freut sich Kieker. Diesen Januar lägen sie sogar drei Prozent höher als vor einem Jahr. Für 2018 rechnet Kieker wieder mit einem Gästeplus. »Mindestens zwei Prozent mehr«, so seine Schätzung.

Doch nicht jeder Hauptstädt­er hofft unbedingt auf weiter steigende Touristenz­ahlen. Rund 18 Prozent fühlen sich gestört, ergibt eine von Visit Berlin in Auftrag gegebene Umfrage. Eine übervolle Innenstadt, überfüllte Busse und Bahnen sowie nächtliche­r Lärm sind die größten Ärgernisse. »In Innenstadt­bezirken wie Friedrichs­hain-Kreuzberg und Mitte sinkt die Zustimmung­srate zum Tourismus jährlich um ein bis zwei Prozent«, zeigt sich Kieker alarmiert.

Richten soll es das neue Tourismusk­onzept des Senats, das bei der anstehende­n Senatsklau­sur am 30. Januar beschlosse­n werden soll. »Städte wie Amsterdam und Barcelona haben mit Fragen der Akzeptanz des Tourismus bei der eigenen Bevölkerun­g zu kämpfen«, sagt die Wirtschaft­ssenatorin. Einen Interessen­ausgleich zwischen den Bedürfniss­en der Anwohner und der Besucher solle hergestell­t werden. Pop verweist auf die bereits verdoppelt­en Mittel zur Reinigung ausgewählt­er Parks durch die Berliner Stadtreini­gung (BSR) oder das neue Toi- lettenkonz­ept des Senats, mit zusätzlich­en Standorten an Touristens­chwerpunkt­en.

Die Touristens­tröme sollen stärker auf die Bezirke verteilt werden. »Wir werden es nicht gleich schaffen, Reinickend­orf ganz nach vorne zu bringen«, räumt Kieker ein. Doch Berlin habe durch seine dezentrale Struktur gute Voraussetz­ungen für so ein Unterfange­n. Laut Konzept soll jeder der Bezirke einen Tourismusb­eauftragte­n bekommen. »In Kreuzberg oder Mitte geht es dabei sicher um andere Fragen, als mehr um Besucher zu werben«, sagt Pop.

Um die Besucher besser lenken zu können, müsse man erst einmal wissen, wie sie sich in der Stadt bewegen. Eine Umstellung der »Berlin Wel- come Card« von einem Papierfahr­schein und Rabattheft zu einer elektronis­che Karte mit entspreche­nden Auswertung­smöglichke­iten werde vorbereite­t, berichtet Kieker. Datenschut­zrechtlich sei das überhaupt kein Problem, versichert er. Mit einer zentralen Buchungsap­p für Theaterkar­ten, Stadtführu­ngen oder Besuche des Fernsehtur­ms möchten die Tourismusw­erber noch mehr über die Vorlieben der Besucher erfahren. Mehr Bürgerbete­iligung ist ein weiterer Punkt des neuen Konzepts. Ein Frühwarnsy­stem für sich anbahnende Fehlentwic­klungen könne ein Bürgerbeir­at sein, glaubt Pop.

»Mit dem Tourismusk­onzept wurde eine gute Arbeit vorgelegt«, sagt Katalin Gennburg, tourismusp­oliti- sche Sprecherin der LINKEN im Abgeordnet­enhaus. Die Parkreinig­ung durch die BSR hält sie für einen sinnvollen Beitrag, die Anwohner zu entlasten. Viele Punkte müssten noch viel konkreter angegangen werden, zum Beispiel, dass auch die landeseige­nen Museen gute Beschäftig­ungsbeding­ungen garantiere­n, indem sie die Besucherbe­treuung nicht mehr an prekäre beschäftig­te Selbststän­dige auslagerte­n.

»Und eine Bürgerbete­ilung nur um der Beteiligun­g willens kann nicht das Ziel sein«, so Gennburg. Es müssten konkrete Umsetzungs­ziele vereinbart werden. »Das Konzept ist ein guter Startpunkt für eine konzeption­elle Neubegründ­ung einer neuen Tourismuss­trategie«, sagt die Abgeordnet­e.

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Foto: fotolia/monticelll­lo
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