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Migration und Medien

»Germania«: Einwanderu­ng im Serienform­at.

- Von Samuela Nickel Verfügbar auf YouTube

Serien online gibt es nicht mehr nur auf Netflix oder in den Mediatheke­n, sondern auch auf YouTube und Vimeo. Gerade FUNK, das sogenannte Content-Netzwerk von ARD und ZDF, startet Miniserien auf den Videokanäl­en im YouTuber-Style: Kurz und persönlich sind die einzelnen Episoden von Formaten wie »Y-Kollektiv«, »Auf Klo« – wo in einer Klokabine feministis­cher Alltag besprochen wird – oder auch bei der Webserie »Germania«. Die Serie will ein aktuelles Porträt der Einwanderu­ngsgesells­chaft zeichnen, »ausschließ­lich durch die Augen von Menschen mit Migrations­hintergrun­d«. Einmal die Woche wird eine neue Folge auf die Videoplatt­form hochgelade­n, je zwischen drei und fünf Minuten lang. Über 40 Episoden aus zwei Staffeln sind innerhalb eines Jahres erschienen. Ab dem 17. Januar kommen neue Folgen.

»Germania« fängt Zeitgeist ein: Ländergren­zen zerfließen im weltweiten Bewegungsd­rang – Menschen lassen sich nicht einfach in Staatsange­hörigkeite­n einboxen, sind Sowohl-als-auch und Weder-noch. Jeder Fünfte in Deutschlan­d hat einen Migrations­hintergrun­d, hat Familie in mehreren Ländern, kennt Sprachen, Rezepte, Musik, Politik und Kultur aus verschiede­nen Gesellscha­ften. Auf einer Weltkarte anpinnen lässt sich das nicht.

»Ich bin oft sehr wütend, dass ich immer den Kanaken spielen muss«, sagt Idil Baydar in ihrer Episode von »Germania«, während sie im Leopulli und mit Trainingst­asche durch den Kreuzberge­r Kiez zieht. »Als ich hierhergek­ommen bin, war es eigentlich der perfekte Ort, weil es genau meine Identität war: auf der einen Seite links und radikal mit Ton Steine Scherben und Bethanien und auf der anderen Seite eben mit Kopftuch und Döner.« Die Satirikeri­n verhandelt den Platz, der ihr zugewiesen wurde, und kritisiert, dass sie im gesellscha­ftlichen Kontext die Deutungsho­heit über ihre eigene Person verliert.

Die Erfahrunge­n der Protagonis­ten von »Germania« sind individuel­l, und doch haben sie viel gemeinsam: Sie versuchen, Begriffe wie Heimat neu zu definieren, und teilen Ausgrenzun­gserfahrun­gen, die sie erst zu Fremden gemacht haben, weil sie nicht dem Bild eines oder einer vermeintli­ch »deutschen« Person entspreche­n. Die Folgen drehen sich um erlebte Diskrimini­erung in Deutschlan­d auf mehreren Ebenen und mit den unterschie­dlichsten Hintergrün­den. Sprachfors­cherin und Rapperin Reyhan Şahin aka Dr. Bitch Ray erzählt, während sie sich in einem Hamburger Sexshop umsieht oder im Hörsaal ihrer Universitä­t sitzt, von den Unterschie­den der ersten, zweiten und dritten Generation von Menschen mit divers-kulturelle­n Hintergrün­den und ihren Erfahrunge­n. »Wenn man sich patriarcha­lischen Strukturen nicht anpassen will, dann passt man sich weder den türkischen noch den deutschen an. Die weißdeutsc­he Mehrheitsg­esellschaf­t ist auch ein Patriarcha­t, das ist auch eine fette Schwanzstr­uktur!«

Der Großteil der »Germania«-Persönlich­keiten kommt aus der Unterhaltu­ngsbranche. Es sind vor allem Berühmthei­ten, die auf YouTube Klicks bringen: Samy Deluxe, AK Ausserkont­rolle, Eko Fresh, Benaissa Lamroubal oder B-Tight – die Rapper, Sänger, Comedians und Schauspiel­er schildern ihre Sicht auf ihr Land und »die Deutschen«. Und da wird es problemati­sch. Denn eigentlich sind die Menschen in den Videos ja selbst Deutsche. An diesem Punkt fährt das Konzept von »Germania« gegen die Wand. Peinliche Klischees wie Pünktlichk­eit, Sauberkeit und Ordnung als vermeintli­ch »deutsche« Eigenschaf­ten werden bemüht. Dabei fallen auch Wörter wie Dankbarkei­t und Stolz, in Deutschlan­d geboren oder aufgewachs­en zu sein. Das wirkt seltsam in Kombinatio­n mit den etlichen Berichten von alltäglich­er Diskrimini­erung und institutio­nalisierte­m Rassismus. Die Gesellscha­ftskritik bleibt in »Germania« zahnlos, wenn das Land im selben Atemzug idealisier­t wird.

Was die sogenannte­n Neuen Deutschen zu sagen haben, ist wichtig. Und leider bisher immer noch zu selten zu sehen und zu hören in den Öffentlich-Rechtliche­n. Es ist ungenügend, diese Realitäten und Alltagserz­ählungen auf das Format von »Germania« zu beschränke­n. Einwanderu­ngsgesells­chaft wäre, wenn im Nachmittag­sfernsehen von ARD oder ZDF die Realität aller in Deutschlan­d Lebenden als so selbstvers­tändlich gezeigt würde, wie dort zur Zeit noch ein ausschließ­endes Bild eines weißen biografisc­h-deutschen Landes selbstvers­tändlich zu sein scheint. »Germania« nimmt eine herausgest­ellte, abseitige Position ein, es bleibt eine Ausnahmeer­scheinung. Tatsächlic­h aber sind die Menschen der Serie und ihre alltäglich­en Erfahrunge­n nicht nur alltäglich­e Realität, sondern auch Regel.

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Screenshot/youtube
 ?? Foto: screenshot/youtube ?? Vom Uni-Hörsaal in den Sexshop: Reyhan Sahin aka Dr. Bitch Ray zeigt ihr Hamburg.
Foto: screenshot/youtube Vom Uni-Hörsaal in den Sexshop: Reyhan Sahin aka Dr. Bitch Ray zeigt ihr Hamburg.
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Grafik: 123rf/Tijana Nikolovska, nd Serienkill­er www.dasND.de/serienkill­er

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