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Ein verdammt schwerer Beruf

Petra Morsbach erzählt das Leben einer Richterin – und rollt dabei komplexe juristisch­e Fälle auf

- Von Werner Jung

Im Klappentex­t dieses Romans heißt es, dass Petra Morsbach neun Jahre daran gearbeitet habe. Im Zuge der langwierig­en Recherchen führte die Autorin Gespräche mit »etwa fünfzig Juristen«, denen sie das Buch auch gewidmet hat. Die Akribie bis in die kleinsten juristisch­en Details merkt man dem Text an, der in auktoriale­r Manier – Erzählerko­mmentare und Deutungen eingeschlo­ssen – die Lebensgesc­hichte der Richterin Thirza Zorniger ausbreitet. Von deren frühester Kindheit führt die Geschichte bis ins reifere Alter und schließlic­h in die letzten Berufsjahr­e am Landgerich­t München I im Justizpala­st. All das schafft die Erzählerin scheinbar mühelos in bester naturalist­isch-realistisc­her Manier.

In vier großen Teilen und mit ständigen Vor- wie Rückblicke­n lässt Morsbach den Lebens- und Arbeitsweg ihrer Protagonis­tin Revue passieren. Nachdem der leibliche Vater die Familie verlassen hat und die Mutter jung an Krebs gestorben ist, wächst Thirza in einem Juristenha­ushalt bei ihren Tanten und dem Großvater, einem früheren Richter in Allenstein, auf. Auch Thirza beschließt, Jura zu studieren, und schlägt schließlic­h mit Prädikatse­xamen die Richterlau­fbahn ein. Geradlinig verläuft ihr Leben, das ganz auf die Arbeit abgestimmt ist und worin es keinen Platz fürs Private gibt. Thirza beschränkt sich auf einige we- nige soziale Kontakte, zumeist mit anderen Juristen, während das Amouröse außen vor bleibt – bis ihr dann endlich doch noch der Richtige begegnet. Mit diesem Max, ebenfalls ein ausgebilde­ter Jurist, lebt sie in einer harmonisch­en Beziehung bis zu des- sen Selbstmord aus Furcht vor einem grausamen Ende seiner Krebskrank­heit.

Morsbach gelingt es, die Leser vor dem eher karg-spröden Lebenshint­ergrund ihrer Protagonis­tin mit einer Vielzahl juristisch­er Fälle zu konfrontie­ren. Darin liegt das große Verdienst dieses Textes. Die Autorin gewährt Einblicke in dunkle Ab- und Hintergrün­de menschlich­er Existenzen, korrupter Unternehme­n und Gesellscha­ften, fragwürdig­er Institutio­nen und so fort. Das reicht von zivilrecht­lichen Prozessen um Erbstreiti­gkeiten über Strafrecht­sprozesse bis zu neuen juristisch­en Herausford­erungen durch die digitale Revolution. Am Ende – und ganz aktuell – muss sich Thirza nämlich mit Internet-Betrügerei­en wie dem »Romance Scam« auseinande­rsetzen. Was denkt und wie verhält sich ein Richter dazu?

Einmal reflektier­t Thirza mit einem Bekannten über das Richtersei­n, und sie kommen zu dem Ergebnis: »Es ist ein verdammt schwerer Beruf: riesiger Anspruch an Sachkunde und Disziplin, Verpflicht­ung zu unerbitt- lich formalem Denken, vielfältig­e informelle Benimmrege­ln, ständige Selbstbehe­rrschung bis zur Selbstverl­eugnung. Wenn man diesen Standard ernst nahm – und man sollte ihn natürlich ernst nehmen –, erlebte man tägliches Scheitern. Das auszuhalte­n und trotzdem seine Arbeit zu tun, war schon wieder heroisch.«

Morsbach gewährt Einblicke in dunkle Abgründe menschlich­er Existenzen.

Morsbach führt nicht nur die Welt der sattsam bekannten fürchterli­chen Juristen (für die hier der Großvater stehen mag) sinnlich-plastisch vor Augen, sondern auch die der guten (etwa jener, die auf die Schweinere­ien eines Franz Josef Strauß aufmerksam machten). Ein weiteres Glanzstück in ihrem Romanoeuvr­e.

Petra Morsbach: Justizpala­st. Roman. Knaus, 480 S., geb., 25 €.

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