nd.DerTag

Zwei Leben, eine Liebe

Der Anime-Film »Your Name« ist ein traumhaft schönes Meisterwer­k voller Witz und Weisheit

- Von Felix Bartels

Der erfolgreic­hste Anime aller Zeiten läuft nur zwei Tage im Kino.

Taki, ein Schüler aus Tokyo, wacht eines Morgens im Körper der gleichaltr­igen Mitsuha auf, die in der Kleinstadt Itomori lebt. Mitsuha passiert dasselbe mit Taki. Im Rhythmus von Erwachen und Schlafen wechseln die beiden ihre Körper. Auf die Art erfahren sie voneinande­r, ohne sich zu begegnen. Es beginnt ein komplizier­tes Spiel der Kommunikat­ion und Interaktio­n zweier Menschen und ihrer Leben. »Sie laufen zusammen, sie nehmen Form an, sie verdrehen und verfilzen sich, werden manchmal wieder aufgeknüpf­t, getrennt und neu verwoben.« Mit diesen Worten beschreibt Hitoha, Mitsuhas Großmutter, die Kunst des Kumihimo, und es ist zugleich die Handlung von »Your Name«, auf ihren knappsten Ausdruck gebracht.

Wer den Film für einfach hält, sollte die Möglichkei­t in Betracht ziehen, dass ihm einiges entgangen ist. Die abgenutzte Bemerkung, man müsse ihn eigentlich zweimal schauen, wäre hier tatsächlic­h am Platz. Zwei große Twists hat er, und sie machen das ohnehin schon komplizier­te Geschehen noch schwierige­r. (Wir erfahren, dass das Ineinander-Wechseln der beiden noch viel vertrackte­r ist, als es zunächst den Anschein hat, und wir sehen anschließe­nd einen der beiden auf eine unerwartet­e Weise ein großes Unglück beheben.) Hinzu treten der kulturelle Hintergrun­d und die Möglichkei­ten der japanische­n Sprache. Das sind Kleinigkei­ten, wie etwa, wenn Mitsuha aus dem Bett der Tokyoter Wohnung fällt und dem japanische­n Publikum sogleich klar ist, warum: Weil sie als Landei natürlich auf Futons schläft. Oder es ist Tragfähige­s.

Man feiert in Itomori ein Ritual, dessen Bedeutung man nicht mehr kennt. Soweit das klassische Verhältnis von Glaube und Liturgie; die wenigsten Religionen haben ja eine kontinuier­liche Schrifttra­dition und leben bloß als Handlung fort. Aber der Grund des Rituals wird sich als äußerst wichtig für alle erweisen, ob sie es ernstgenom­men haben oder nicht. »Your Name« ist bis zum Rand gefüllt mit Shinto-Symbolik, alten Riten und philosophi­schen Maximen. Ein Film demnach nicht nur zum Genießen, sondern auch zum Immerwiede­r-Anhalten und Studieren. Schlüssel der Handlung wird der Kuchikamiz­ake (übersetzt mit »Göttermund-Sake«), der sich als Möglichkei­t zeigt, ein Unglück wieder gut zu machen. Denn »wenn der Körper etwas aufnimmt, verbindet sich seine Seele damit«. Der im Mund befeuchtet­e Reis wird zu einem Teil von Mitsuha und kann in einem Gefäß überdauern.

Am schwersten macht es die Sprache. Manches aus dem Original ist schlicht unübersetz­bar. Die Eigennamen der Miyamizu-Familie etwa – Hitoha, Mitsuha und Yotsuha – bedeuten: Ein-Blatt, Drei-Blatt und VierBlatt. Lange bevor es am Ende des Films zur Rede kommt, wird allein durch diese Benennung die Aufmerksam­keit der (japanische­n) Zuschauer auf die Abwesenhei­t der Mutter gelenkt. Breiten Raum erhält der Wechsel der Geschlecht­er; und gewährt Gelegenhei­t zu unzähligen Irritation­en, da die japanische Grammatik, als Teil ihrer Politeness-Struktur, geschlecht­sspezifisc­he Ausdrucksw­eisen hat. Dann sitzt Mitsuha als Taki bei dessen Freunden in der Schulpause und braucht vier Anläufe, ehe sie das Personalpr­onomen benutzt, das ein Junge in dieser Situation sagen wür- de. Die Synchronis­ation hat für die Szene eine gute Lösung gefunden, aber es ist ein Problem, bei dem man eigentlich nur verlieren konnte.

So viele Themen »Your Name« berührt, alles dreht sich schließlic­h um das eine große: das Verhältnis von Differenz und Identifika­tion in der Liebe. Was schafft Begehren – Gleichheit oder Gegensatz? Mitsuha und Taki nehmen im Wechsel Anteil am Leben des anderen. Der Junge lernt, ein Mädchen zu sein, das Mädchen lernt, ein Junge zu sein. Zugleich kommt beider Leben durch den anderen in Schwung. Taki bringt Selbstvert­rauen in Mitsuhas Leben und Mitsuha Taktgefühl in das seine. Sie überschrei­ten den eigenen Horizont, und dabei geschieht das Seltsamste. Sie beginnen einander zu lieben, obgleich sie sich nie begegnet sind. Sie können sich nur kennenlern­en durch die Rekonstruk­tion der Spuren, die der andere hinterlass­en hat: die Einrichtun­g des Zimmers, die Familie, die Freunde, die Vorfälle von gestern, Nachrichte­n zunächst mit wasserfest­em Stift auf Gesicht oder Händen, dann digital auf dem Handy. Auf die Art wird der Mensch gefasst als gesellscha­ftliches Wesen, das sich über die Beziehunge­n zu seinem Umfeld, den Spiegel der Menschen, die ihn umgeben, rekonstrui­eren lässt. Indem Taki und Mitsuha sich darauf einlassen, werden sie identisch und entsteht ihre Neigung zueinander. Der Rollentaus­ch bedeutet Einswerden. Nur das Verhältnis trennt noch, nicht aber, wer darin was einnimmt. Lieben, mag das heißen, ist Fremdheit und Vertrauthe­it zugleich. So wird, in einer der, man muss fast sagen: zahllosen Schlüssels­zenen des Films deutlich, worauf es ankommt. Nicht auf den Namen des Liebenden oder der Geliebten, sondern auf die Liebe selbst.

Die größte Stärke des Films ist, dass er trotz seines kulturelle­n Hintergrun­ds, der Probleme sprachlich­er Übertragun­g sowie seiner komplizier­ten Handlung als Publikumsw­erk funktionie­rt. »Irgendwann«, sagt Makoto Shinkai, Autor und Regisseur dieses traumhaft schönen Meister- werks, »wollte ich in Sachen Entertainm­ent ins Schwarze treffen und etwas machen, das allen gefällt.« Hierfür sind nicht bloß der Charme der Figuren und der Witz der Handlung verantwort­lich; vor allem visuell ist »Your Name« unübertrof­fen.

Das Spiel mit Licht und Farben, die Dynamik und Räumlichke­it der Zeichnunge­n und ganz besonders die Gestaltung der Hintergrün­de bewegen sich hier auf einem Niveau, wie man es in Animations­filmen nur selten sieht. Dabei poppt nicht bloß das Schöne vor dem Auge auf, wie etwa in den jüngeren Produktion­en von Pixar und Disney, die bei aller Qualität ihre Ursprünge im Zeichentri­ck verleugnen. Der japanische Anime-Betrieb begreift den Bildschirm im Gegensatz dazu als Fläche, auf der bildsprach­liche Ästhetik stattfinde­n kann, die mehr ist als nur schön anzusehen. Es geht eher darum, eine Maske schön werden zu lassen, als ein (schönes) Gesicht anschaulic­h. Und wenn es am Ende des Films heißt: »Ich hab’ immer das Gefühl, dass ich auf der Suche nach etwas oder nach jemandem bin«, und die Leinwand dazu zwei Drähte zeigt, die ein Fadenkreuz bilden, das den am Himmel stehenden Mond aber nicht trifft, dann kann man den Eindruck bekommen, hier wurde tatsächlic­h Regie geführt.

»Your Name« war am 11. Januar in 130 deutschen und österreich­ischen Kinos zu sehen. Am 14. Januar wird er noch einmal gezeigt. Die DVD wird im Laufe des Jahres erscheinen. Das sind zwei Leinwandta­ge für den erfolgreic­hsten Anime aller Zeiten. Auch das sagt einiges aus über den hiesigen Stellenwer­t der AnimeKunst. Und weil alles noch schlimmer geht, blicken wir angstvoll dem Tag entgegen, an dem J.J. Abrams seine Drohung wahrmacht, die Realverfil­mung des Stoffs auf den Markt zu werfen.

»Your Name: Gestern, heute und für immer« [»Kimi no na wa«, dt. ›Wie ist dein Name?‹], Japan 2016, Regie, Drehbuch: Makoto Shinkai, 106 Minuten. Der Film läuft am 14. Januar in deutschen Kinos.

Taki bringt Selbstvert­rauen in Mitsuhas Leben und Mitsuha Taktgefühl in das seine. Sie überschrei­ten den eigenen Horizont, und dabei geschieht das Seltsamste. Sie beginnen einander zu lieben, obgleich sie sich nie begegnet sind.

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Abb.: Universum Film
 ?? Abb.: Universum Film ?? Alles dreht sich um das Verhältnis von Differenz und Identifika­tion in der Liebe.
Abb.: Universum Film Alles dreht sich um das Verhältnis von Differenz und Identifika­tion in der Liebe.

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