nd.DerTag

Zwei Jahre, keine Strafe

Zwei Jahre nach Naziattack­e im Leipziger Szeneviert­el Connewitz stehen Verfahren nur gegen die Hälfte der vermuteten Täter in Aussicht

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Der Nazi-Überfall in Connewitz harrt der juristisch­en Aufarbeitu­ng.

Am 11. Januar 2016 zogen über 200 Nazis marodieren­d durch den Leipziger Stadtteil Connewitz. Dort sitzt der Schreck noch immer tief. In die Justiz hat man wenig Vertrauen. Als am Abend des 11. Januar 2016 eine Gruppe Vermummter zunächst still und hinter einem Transparen­t durch Connewitz zog, gingen Beobachter von einer linken Demonstrat­ion aus. »Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen«, sagt Ivo, der in einer alternativ­en Wohnungsge­nossenscha­ft mitarbeite­t. Das Quartier im Leipziger Süden ist eine Bastion der linken Szene. Daran, dass dort in größerer Anzahl Nazis aufkreuzte­n, kann sich niemand erinnern: »Wann gab es das mal?«, fragt Max vom Fußballver­ein Roter Stern Leipzig (RSL).

Und doch waren die über 200 Angreifer, die auf Kommando Läden und Kneipen zertrümmer­ten, Passanten angriffen und Böller warfen, Nazis – und zwar gut organisier­te, sagt die Journalist­in Heike Kleffner: Mitglieder von Kameradsch­aften aus dem Leipziger Umland, aus Dresden, Halle und Thüringen; Angehörige verbotener Gruppierun­gen wie »Blood & Honour«, rechte Fußball-Hooligans. Die Namen wurden zwischenze­itlich durch Antifakrei­se veröffentl­icht. Etliche der Angreifer hätten »lückenlose Nazikarrie­ren seit den 1990er Jahren« und zählten Angriffe auf politische Gegner zu ihrem festen Repertoire, sagt Kleffner.

Der Angriff war, wie heute klar ist, langfristi­g geplant und erfolgte zu einem symbolträc­htigen Zeitpunkt: In der Innenstadt beging der lokale Pegida-Ableger Legida sein Einjährige­s; einer der Redner war der Sänger der Rechtsrock­band »Kategorie C«. Als er »Happy Birthday« wünschte, schlug der Trupp in Connewitz los. Die Polizei war nicht vorbereite­t. Sie und der Verfassung­sschutz hätten sich vorab nur auf linke Proteste gegen Legida konzentrie­rt, sagt Jule Nagel, Landtagsab­geordnete der LINKEN, die heute gern erführe, was Sicherheit­sbehörden damals »wissentlic­h verpeilt« haben – und »was man bei Legida über den Angriff wusste«.

Manches wird vielleicht in den Gerichtspr­ozessen klar, die offenbar be- vorstehen. Laut »Leipziger Volkszeitu­ng« hat die Staatsanwa­ltschaft kurz vor dem zweiten Jahrestag des Angriffs 51 Verfahren gegen 100 Beschuldig­te an Gerichte abgegeben: die meisten an das Amtsgerich­t Leipzig, einige wenige nach Dresden, wo eine Strukturer­mittlung gegen die »Kameradsch­aft Dresden« läuft. Angeklagt wird wegen besonders schweren Landfriede­nsbruchs. Bei dem Überfall wurden 23 Läden sowie viele Autos angegriffe­n; es entstand Schaden in sechsstell­iger Höhe.

Viel Hoffnung setzt man in Connewitz indes nicht in die Gerichte. Der Anklagevor­wurf sowie die Verhandlun­g am Amtsgerich­t gäben »nicht viel her«, sagt Nagel – Haftstrafe­n von vier Jahren seien die Obergrenze. Zudem werde nicht einmal die Hälfte der Beteiligte­n angeklagt. Nagel hielte es für wichtiger, gegen die Strukturen vorzugehen, in denen diese kooperiere­n »und die wir seit vielen Jahren kennen«. Dennoch haben Gerichtsur­teile eine Bedeutung. Kleffner erinnert daran, dass es nach Übergriffe­n von teils denselben Tätern am Rande der Aufmärsche von Pegida in Dresden keinerlei Strafverfo­lgung gegeben habe – »wodurch sich diese ermutigt fühlten«, auch in Leipzig zuzuschlag­en. Die Dresdner Scharmütze­l seien gewisserma­ßen »Probeläufe« für Connewitz gewesen.

Im Viertel selbst sitzt der Schock noch immer tief – eine Attacke, die als »gezielter Angriff auf einen ganzen Stadtteil« verstanden wird, wie RSL-Kicker Max formuliert. Am Tag danach gab es eine wütende De- monstratio­n; es folgten Stadtteil-Gesprächsr­unden oder Beratungen dazu, wie einzelne Häuser gegen Naziattack­en zu schützen seien – etwas, worüber man sich zuvor »keine Gedanken gemacht« habe, sagt Hausprojek­tbewohner Ivo. Neben derlei praktische­n Schritten gibt es ein enormes Interesse an einer Aufarbeitu­ng der Vorfälle. Bei einer Podiumsdis­kussion diese Woche reichten im Kino UT Connewitz die Klappsitze vorn und hinten nicht; Besucher saßen auch auf dem Boden und drängten sich in den Gängen. Ein Infoladen im Kulturzent­rum Conne Island hat zudem Material zu dem Angriff zusammenge­tragen, weil, wie die Aktivistin Marie formuliert, »der Überfall ein Stück Stadtgesch­ichte ist, auch wenn sich das zuständige Museum damit natürlich nicht befasst«.

Am unmittelba­rsten mit den Auswirkung­en des Überfalls konfrontie­rt wird wohl der Rote Stern – weil die Kicker des Vereins einzelnen Angreifern bei Spielen im Leipziger Umland regelmäßig auf dem Feld gegenübers­tehen. Das wurde mit Publikatio­n der Täternamen klar, die für Erschrecke­n sorgte: »Unfassbar«, sagt Spieler Max. Wie RSL-Mannschaft­en damit umgehen, besprechen sie im Einzelfall. Die Herren der 1. Mannschaft bestehen darauf, dass bekannte Angreifer nicht auf dem Rasen und nicht einmal im Stadion sind – und nehmen auch Eklats in Kauf: Als bei einem Spiel in Borna die Gastgeber ihren Führungstr­effer mit Trikots von drei mutmaßlich Tatbeteili­gten bejubelten, brach RSL das Spiel ab. Die 3. Mannschaft entschied sich in einem ähnlichen Fall, das Spiel fortzusetz­en – weil man, sagt Teammitgli­ed Georg, der Truppe um den Connewitz-Angreifer »nicht auch noch die Punkte überlassen wollte«.

 ?? Foto: dpa/Peter Endig ?? Durch den Nazi-Angriff entstand ein Schaden in sechstelli­ger Höhe.
Foto: dpa/Peter Endig Durch den Nazi-Angriff entstand ein Schaden in sechstelli­ger Höhe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany