Partner oder Pappkamerad?
Union und SPD streiten, wie sie mit Macrons Plänen zur EU umgehen sollen
Berlin. Während die Sondierungsteams von CDU, CSU und SPD im Willy-Brandt-Haus am Donnerstag ihre voraussichtlich letzte Sondierungsrunde einläuteten, formierte sich vor der Tür Protest. Aktivisten der Organisation Avaaz schwenkten Europaflaggen und imitierten den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie forderten die potenziellen Koalitionspartner auf, die Pläne des Parisers zu unterstützen. Macron will einen gemeinsamen Haushalt der Euroländer, einen europäischen Finanzminister und eine engere Zusammenarbeit in der Militärpolitik.
Die Union sieht die Vorschläge zur Eurozone skeptisch. Ihre Politiker verbreiten im nationalistischen Stil, dass dann »deutsche Steuerzahler« für die »Schulden anderer EU-Staaten« aufkommen müssten. »Diese Art von mehr Europa heißt schlichtweg weniger Deutschland«, pöbelte kürzlich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Dagegen wollen die Sozialdemokraten die Ideen aus Paris möglichst schnell umsetzen. Führende SPD-Politiker sind glühende Verehrer Macrons, obwohl er in seinem Heimatland die Rechte von Arbeitern und Angestellten schleift. Die Aushöhlung des Kündigungsschutzes ist nur ein Beispiel hiefür.
Macrons Pläne und die Frage, was eine Große Koalition in Berlin für die Zukunft der EU bedeuten würde, spalten auch die Linke in Südeuropa. Der griechische Premier Alexis Tsipras hatte den SPD-Chef Martin Schulz ermutigt, erneut eine Große Koalition einzugehen und in diesem Bündnis eine »progressive Agenda« für die EU vorzulegen. Eine ähnliche Haltung vertreten die in Portugal regierenden Sozialisten. Die linken Unterstützer der Lissaboner Minderheitsregierung fürchten hingegen die Fortführung der neoliberalen Politik in der EU.
Für Reformen der EU liegen Pläne von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der EU-Kommission vor. Ob und inwieweit sie umgesetzt werden, hängt auch von der Koalitionsbildung in Berlin ab. Bevor die Unterhändler von Union und SPD am Donnerstagvormittag mit dem Ziel, die Sondierungsgespräche abzuschließen, im Willy-BrandtHaus verschwanden, gab der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Martin Schulz, noch ein kurzes Statement ab. »Wir müssen klar machen, dass eine neue Bundesregierung vor allem einen neuen Aufbruch für Europa einleiten muss«, sagte er vor den wartenden Journalisten. In diesem Zusammenhang nannte der SPD-Chef Pläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie der EUKommission. Die Europapolitik sollte wenig später im Mittelpunkt des Gesprächs von Schulz und seinen Amtskollegen von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, stehen.
Während Schulz die Reformideen Macrons unterstützt, hat sich Merkel hierzu bislang zurückhaltend geäußert. Die CSU lehnt die Euro-Ideen des Franzosen ab. Macron hatte im Herbst unter anderem einen eigenen Haushalt für die Staaten mit EuroWährung und einen europäischen Finanzminister vorgeschlagen. Die Konservativen meinen, dass dann Schulden der europäischen Staaten »vergemeinschaftet« würden. Auch in der CDU hat eine weitere Vertiefung der EU wenig Freunde. Die Unionsparteien sind mehrheitlich der Meinung, dass die bisherige Strategie der Gläubiger beibehalten werden müsse, wonach verschuldeten Staaten in der Eurozone Kredite gewährt werden, wenn diese im Gegenzug Privatisierungen und Sozialabbau zustimmen. Dieses Modell wird bis heute in Griechenland exerziert.
Die SPD hat diese Politik durch ihre Zustimmung im Bundestag unterstützt. Zusätzlich hat sie »Wachstumsimpulse« für die verschuldeten Staaten Südeuropas gefordert. Optimistische Sozialdemokraten meinen, dass ein europäischer Finanzminister mit seinem Budget EU-Investitionsprojekte voranbringen könnte. Sie versprechen sich davon mehr Wirtschaftswachstum und den Abbau von Arbeitslosigkeit.
Es wird für Union und SPD also nicht einfach, sich auf eine gemeinsame Haltung in der Europapolitik zu verständigen. Allein Macrons Vorstellungen von einer künftigen europäischen Militärpolitik, die im öffentlichen Diskurs oft unter den Tisch fallen, dürften sowohl Konservative als auch Sozialdemokraten zufrieden zur Kenntnis genommen haben. Frankreichs Präsident will ein europäisches Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Eingreiftruppe. Grundsätzlich sind sich Frankreich und Deutschland einig, dass die EU in Zukunft auch eine Militärmacht sein soll, in der sie als größte Staaten den Ton angeben würden. Zudem wollen Paris und Berlin bei Rüstungsprojekten auf Initiative von Merkel und Macron enger zusammenarbeiten. Geplant ist unter anderem eine Generation gemeinsamer Kampfflugzeuge.
Wenn die SPD-Führung in der kommenden Woche ihre Basis bei einem Bundesparteitag in Bonn von einer erneuten Zusammenarbeit mit der Union überzeugen will, wird sie diese Aspekte der Europapolitik mit Sicherheit nicht in den Vordergrund stellen. Sie passen nicht so recht zu dem romantischen Bild, das Martin Schulz vor wenigen Wochen bei einem SPD-Parteitag von der EU gezeichnet hatte. Dort hatte er die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa bis 2025 gefordert.
Führende Sozialdemokraten können ihren Mitgliedern eine sozialere und enger miteinander kooperierende EU allerdings auch verheißen, ohne alle Vorschläge Macrons zu übernehmen. Denn auch die EU-Kommission unter Führung des konservativen Präsidenten Jean-Claude Juncker hat Pläne vorgelegt, wie der Staatenverbund reformiert werden könnte. Ähnlich wie Macron will auch die Kommission den Posten eines europäischen Wirtschafts- und Finanz- ministers schaffen. Zudem soll der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) in den nächsten 18 Monaten in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umgebaut werden. Der EU-Finanzminister hätte die Aufgabe, die Arbeit des neuen Währungsfonds zu überwachen. Vorbild für den EWF soll die Arbeit des Internationalen Währungsfonds (IWF) sein.
Die »FAZ« hatte zu Beginn der Wirtschaftskrise in Europa vor mehr als sieben Jahren berichtet, dass einige EU-Politiker den von den USA dominierten IWF durch die Gründung eines eigenen Währungsfonds möglichst aus dem Euro-Raum heraushalten wollten, um zu verhindern, dass die Vereinigten Staaten dort indirekt ein Mitspracherecht bekommen. Der IWF war bislang gemeinsam mit der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank als sogenannte Gläubiger-Troika etwa in Griechenland aufgetreten.
Es geht also eher um strategische Überlegungen als um effektivere Hilfen für in Not geratene Staaten. Die Union würde dem zustimmen. Denn zugleich will Juncker den Fiskalpakt, in dem der Sparzwang festgeschrieben wird, zu EU-Recht machen. Für die SPD bliebe nur die von Juncker vorangetriebene »europäische Säule sozialer Rechte«, die im November auch von Deutschland unterzeichnet wurde, die aber für die Mitgliedstaaten rechtlich unverbindlich ist.
Es wird für Union und Sozialdemokraten nicht leicht, eine gemeinsame Haltung in der Europapolitik zu finden.