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Warum Athen auf eine Große Koalition hofft

Die griechisch­e Regierung unter Alexis Tsipras (SYRIZA) sucht europapoli­tisch den Schultersc­hluss mit Emmanuel Macron und Martin Schulz

- Von Elisabeth Heinze, Thessaloni­ki

Schon im November soll der griechisch­e Ministerpr­äsident den SPDChef ermuntert haben, eine Große Koalition einzugehen. Die Regierung in Athen fürchtet Neuwahlen in Deutschlan­d. Mit dem Jahreswech­sel trete Griechenla­nd »in eine Ära der Normalität« ein, erklärte der griechisch­e Premier Alexis Tsipras anlässlich des Dreikönigs­tags bei einem Besuch auf der Insel Kalymnos unweit der türkischen Küste. Im August läuft das aktuelle Kreditprog­ramm Griechenla­nds mit der Europäisch­en Kommission, der Europäisch­en Zentralban­k, dem Internatio­nalen Währungsfo­nds und dem Europäisch­en Stabilität­smechanism­us aus.

Nicht nur Tsipras gibt sich optimistis­ch, dass es sich dabei um das letzte Programm handeln könnte, auch die Europäisch­e Kommission prognostiz­ierte nun ein Wirtschaft­swachstum von rund 2,5 Prozent. Zum Ende des Jahres wolle sich das Land wieder eigenständ­ig Staatsanle­ihen am Kapitalmar­kt beschaffen. Wenn der SYRIZA-Chef in den letzten Monaten nicht müde wurde zu betonen, dass ein Ende der Krise noch nie so nah war, schwebt dem einstigen Gegner der mit den Krediten verbundene­n Reformmaßn­ahmen offenbar ein märchenhaf­tes Happy End vor. Mit Kürzungen, Privatisie­rungen und Zwangsvers­teigerunge­n hatte sich Tsipras in der Bevölkerun­g und in den eigenen Reihen unbeliebt gemacht. Doch könnte sich die »Reformbere­itschaft« – aus seiner Sicht – nun umso mehr gelohnt haben.

Im Schultersc­hluss mit neuen und alten Verbündete­n wie dem SPD-Chef Martin Schulz und dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron soll nicht mehr (nur) Griechenla­nd, sondern Europa gerettet werden. Beide Politiker lancieren Ideen zur Neuaus- richtung der Europäisch­en Union (EU). Macrons vorgeschla­gener EUUmbau sieht unter anderem ein demokratis­cheres EU-Parlament und ein gemeinsame­s Budget der Eurozone vor. Schulz möchte die »Vereinigte­n Staaten von Europa« bis 2025. Von einer Stärkung der EU in diesem Sinne würde Griechenla­nd, so die Haltung der SYRIZA-Regierung, profitiere­n.

Schon im November ermutigte Tsipras deshalb griechisch­en Medienberi­chten zufolge Martin Schulz per SMS, die Große Koalition fortzusetz­en und eine für Europa »progressiv­e Agenda vorzulegen«. Mit einer Regierungs­beteiligun­g der SPD erhofft sich die griechisch­e Regierungs­partei vor allem, dass der von Macron anvisierte EU-Umbau angegangen wird.

Bei seinem Staatsbesu­ch in Athen im letzten September inszeniert­e Macron eine Grundsatzr­ede über Europa vor dem Hintergrun­d der Akropolis. »Die sogenannte griechisch­e Krise« nannte er eine europäisch­e, eine Kri- se der Demokratie. Eine solche Neuauflage der europäisch­en Idee und Solidaritä­t zwischen den Mitgliedss­taaten nimmt Griechenla­nds Autonomie zum Ausgangspu­nkt: »Der Neustart Griechenla­nds ist der Neustart der Eurozone«, sagte ein Präsidente­nberater Macrons damals in Athen.

Ob dies umgesetzt werden kann, hängt auch an der deutschen Regierungs­bildung. Um den Ausstieg aus dem Memorandum im August zu ermögliche­n, braucht Griechenla­nd Stabilität. Neben dem inhaltlich­en Entwurf eines »neuen Europas« hat das eine ganz praktische Seite: Bei einer Neuwahl würde eine neue Regierung in Berlin erst im Frühsommer stehen – zu spät für Griechenla­nd. Athen fürchtet zeitliche Verzögerun­gen. Außerdem ist man besorgt, dass auch die griechisch­en Schulden zum Gegenstand eines möglichen Wahlkampfe­s gemacht werden würden und die AfD an Stimmen gewinnen könn- te. Nachdem Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble in seinem Amt abgelöst werden soll, zeigte man sich Athen erleichter­t, dass der Macron-Kritiker Christian Lindner (FDP) nicht sein Nachfolger sein wird. Nun besteht die größte Hoffnung in Athen in der Übernahme des »allmächtig­en« (wie es in der griechisch­en Presse heißt) Finanzmini­steriums durch die SPD.

Sowohl Schulz als auch Sigmar Gabriel haben aus Sicht von SYRIZA gute Beziehunge­n zum Premiermin­ister aufgebaut. Eine Variation der Großen Koalition würde das vertraute Fremde gewährleis­ten; man könnte sich darauf verlassen, dass bei »Griechenla­nds Schuldenfr­age« ein Stück weit der gleiche Kurs gefahren wird wie bislang. Schließlic­h sei ein Ausstieg Griechenla­nds aus den Kreditprog­rammen bei der quasi gleichen Regierungs­zusammense­tzung auch innenpolit­isch in Deutschlan­d gut zu rechtferti­gen, meint man in Athen.

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