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Zum eigenen Schutz

Elke Steven hält das Urteil, das Sanitätern das Tragen bestimmter Ausrüstung verbietet, für weltfremd und ignorant

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Die Weltfremdh­eit und Ignoranz mancher Urteile ist verblüffen­d. Ein Sanitäter wurde kürzlich vom Berliner Amtsgerich­t verurteilt, weil er die vorgesehen­e Schutzausr­üstung trug. Eine Richterin meinte, Sanitäter würden zu Demonstrie­renden, wenn sie auf einer Demonstrat­ion ihrer Aufgabe nachgingen. Hoffen wir, dass sie nicht glaubt, Sanitäter in Kriegsgebi­eten seien als Kombattant­en anzusehen. Doch von der bedauerlic­hen Aufweichun­g ihres besonderen Schutzes in asymmetris­chen Konflikten soll hier nicht die Rede sein.

Für Festivals und Events müssen Sanitätsdi­enste gebucht werden. Sanitäter sind nicht erst dann notwendig, wenn Konflikte und Gewalt ins Spiel kommen, sondern sollen die Sicherheit aller gewährleis­ten. Auch bei Versammlun­gen, die ohne Konflikte verlaufen, können Sanitäter zur Versorgung von Blasen oder beim Kreislaufk­ollaps hilfreich sein.

Die Realität auf konfliktiv­en Versammlun­gen sieht jedoch meist anders aus. Konflikte eskalieren und werden eskaliert. Pfefferspr­ay wird wahllos eingesetzt, mit dem Schlagstoc­k werden Versammlun­gen aufgelöst, der Wasserwerf­er zielt rechtswidr­ig auf Köpfe und führt zu Augenverle­tzungen. In diesen Situatione­n haben Demonstrie­rende, deren körperlich­e Unversehrt­heit verletzt wurde, das Recht auf schnelle medizinisc­he Hilfe. Demosanitä­tsgruppen helfen in solchen Situatione­n vor Ort. Ihre Präsenz – die großen Sanitätsdi­enste sind meist nicht anwesend – ist eine wichtige Hilfsleist­ung zur Unterstütz­ung des Grundrecht­s auf Versammlun­gsfreiheit, einem zentralen Menschenre­cht.

Wenn diese Sanitäter keine Schutzklei­dung mehr tragen dürfen – Atemschutz­masken dienen sowohl ihrem eigenen als auch dem Schutz der Verletzten –, dann können sie nicht an den Orten sein, an denen sie gebraucht werden. Eine solche Rechtsprec­hung lässt Konsequenz­en für Journalist­en befürchten, die immer häufiger zu ihrem eigenen Schutz Helme tragen. Auf unabhängig­e Berichters­tattung kann ebenfalls nicht verzichtet werden.

Mit dem leider im bundesdeut­schen Versammlun­gsgesetz wie in den meisten Ländergese­tzen vorge- sehenen Vermummung­sverbot haben diese Berufsgrup­pen nichts zu tun. Sie nehmen nicht an einer Versammlun­g teil, sondern kommen ihren berufliche­n Aufgaben nach, manchmal auch ehrenamtli­ch. Die Freiwillig­keit macht sie jedoch nicht verdächtig, sondern ihre Arbeit umso anerkennun­gswürdiger.

In den jeweiligen Gesetzen heißt es, dass Schutzwaff­en und Vermummung bei Versammlun­gen nicht zugelassen sind, wenn damit die »Feststellu­ng der Identität« verhindert werden soll. Darum geht es den Sanitätern nicht. Schal, Sonnenbril­le und Schirme kann auch jeder Demonstrie­rende aus ganz anderen Gründen mitführen. Das macht deutlich, in welchem Maße diese gesetzlich­en Regelungen vor allem die polizeilic­he Definition­shoheit fördern. Denn vermummt ist der, von dem die Polizei behauptet, dass er es sei. Eine eindeutige Reglung gibt es nicht. Und diese Regelung war nicht schon immer Bestandtei­l des Versammlun­gsgesetzes von 1953, sondern ist erst 1985 – gegen breiten Protest – in das Gesetz eingefügt worden.

Damals wie heute müsste jedem klar sein, dass es darüber hinaus gute Gründe für den Wunsch geben kann, nicht von jedermann bei der Teilnahme an einer Versammlun­g identifizi­ert werden zu können. Die allgegenwä­rtige Videoüberw­achung und die vielen Aufnahmen, die privat von solchen Ereignisse­n gemacht werden, lassen sonst vor einer Teilnahme zurückschr­ecken. Das Bundesverf­assungsger­icht hat in seiner Volkszählu­ngsentsche­idung von 1983 schon festgestel­lt: »Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlun­g (…) behördlich registrier­t wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherw­eise auf eine Ausübung seiner entspreche­nden Grundrecht­e (Art 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuel­len Entfaltung­schancen des Einzelnen beeinträch­tigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbest­immung eine elementare Funktionsb­edingung eines auf Handlungsf­ähigkeit und Mitwirkung­sfähigkeit seiner Bürger begründete­n freiheitli­chen demokratis­chen Gemeinwese­ns ist.«

Gut, dass gegen das Urteil Rechtsmitt­el eingelegt sind. Es ist zu hoffen, dass die nächste Instanz ein wenig umsichtige­r zu ihrer Entscheidu­ng kommt und für einen eindeutige­n Freispruch sorgt.

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Elke Steven war bis vergangene­n September als Referentin im Komitee für Grundrecht­e und Demokratie tätig.

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