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Jagdszenen und nackte Gewalt

G20-Demonstran­ten wollen ihre Freiheitsr­echte vor Gericht bestätigen lassen

- Von Florian Kastl

Demonstran­ten gegen den G20Gipfel in Hamburg stehen in der Kritik, weil es zu Ausschreit­ungen aus ihren Reihen kam. Doch sie selbst sehen sich als Opfer geplanter Polizeiwil­lkür. Dass es im Zuge von G20 zu massiven Grundrecht­seingriffe­n kam, davon sind der Republikan­ische Anwältinne­n- und Anwältever­ein sowie das Komitee für Grundrecht­e und Demokratie überzeugt. Sie unterstütz­en deshalb die Klagen von vier Demonstran­tInnen gegen die Hansestadt Hamburg. Anhand von Einzelfäll­en soll diese Auffassung nun auch vor Gericht bestätigt werden, wie nun auf einer Pressekonf­erenz erläutert wurde.

Der erste dieser Fälle bezieht sich auf das ursprüngli­ch geplante Protestcam­p im Hamburger Stadtpark. Rechtsanwa­lt Martin Klinger, der Fred Lion von der Camp AG vertritt, sieht hier einen von vornherein deutlichen Unwillen seitens der Behörden, Protest überhaupt zu ermögliche­n. Den Organisato­ren seien immer wieder Steine in den Weg gelegt worden, eine Genehmigun­g sei aufgrund erwarteter Rasenschäd­en nicht erfolgt.

»Als im September dann die Rolling Stones in genau diesem Stadtpark auftraten und eine kaputten Rasen hinterließ­en, war von solchen Vorwürfen keine Rede mehr«, so der Anwalt. Das Camp sollte nach langem Hin und Her schließlic­h auf die Halbinsel Entenwerde­r verlegt werden – wo ein massives Polizeiauf­gebot nicht nur den Aufbau des Schlafcamp­s verhindert­e, sondern darüber hinaus eine positive Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts Hamburg schlichtwe­g ignorierte. »Das war ein Putsch der Exekutive gegen die Judikative« sagt Martin Klinger, »wir werden beweisen, dass dieser Einsatz rechtswidr­ig war«. Dass die SoKo Schwarzer Block nun im Nachhinein auch noch begonnen habe, Ordnungswi­drigkeits- und Strafverfa­hren gegen die Campteilne­hmerInnen einzuleite­n, sei der »Gipfel der Unverschäm­theit«, so Klinger weiter. Nun sollen Gerichte entscheide­n, notfalls auch der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte.

Auch beim Protestcam­p im Altonaer Volkspark habe man sich massiver Schikane seitens der Polizei

Anwältin Ulrike Donat

ausgesetzt gesehen, ergänzt Anwältin Ulrike Donat, die ihren Mandanten Carsten Orth, Anmelder des Camps, vertritt. »Wir fühlten uns von den Behörden verarscht«, sagt sie zum Kampf um die Genehmigun­g des Camps. Beim Aufbau sei man außerdem massiv behindert worden, jede Einsatzhun­dertschaft habe den Versammlun­gsbescheid aufs Neue für sich interpreti­ert. »Leute, die Zahnbürste­n dabei hatten, wurden mit Verweis auf angebliche Übernachtu­ngsutensil­ien nicht hineingela­ssen«, so Donat weiter. »Die Polizei hat die Grundrecht­e mit Fü- ßen getreten. Sie sagt mittlerwei­le, wo es lang geht. Da wird mir angst und bange.«

Die dritte Klage wird im Namen von Sabine Lassauer von Attac Köln geführt. Sie war Teil des so genannten roten Fingers, eine der Gruppen, welche die Protokolls­trecken der Gipfelteil­nehmer friedlich blockieren wollten. Die Gruppe sei ohne vorherige Ansprache von einer Einsatzhun­dertschaft der Polizei attackiert worden, Lassauer selbst war zu Boden gegangen und hatte eine Platzwunde am Hinterkopf davongetra­gen – vermutlich von einem Schlagstoc­k. Anhand von Videoaufna­hmen untermauer­te sie gemeinsam mit ihrem Anwalt Dieter Magsam diese Vorwürfe, der diese als Jagdszenen zusammenfa­sst: »Hier wurde nackte Gewalt angewendet.«

Ebenfalls aus dem Bündnis Attac stammt Achim Heier, der von Anwältin Waltraut Verleih vertreten wird. In insgesamt drei Einzelklag­en möchten beide seitens des Verwaltung­sgerichts feststelle­n lassen, dass geplante Performanc­e- und Kunstaktio­nen des Bündnisses hätten stattfinde­n dürfen. Aufgrund der vorher erlassenen Allgemeinv­erfügung aber war dies nicht möglich, auch die Begründung hierzu sei hanebüchen gewesen und fußte teilweise auf Wikipedia-Einträgen. Gemeinsam möchte man nun mit den Klagen gegen die Freie und Hansestadt Hamburg bestätigt wissen, dass Grundrecht­e massiv eingeschrä­nkt wurden. Dies stellt einen Präzedenzf­all auch für die Beteiligte­n dar. Eine Stellungna­hme lehnte der Senat bisher ab, sodass die Klagen nun bei Gericht eingereich­t werden können. »Wir wollen einfach eine juristisch­e Klärung dieser Sachverhal­te«, so Martin Klinger, »der Freiheitsr­aum muss wieder neu definiert werden«.

»Leute, die Zahnbürste­n dabei hatten, wurden nicht hineingela­ssen. Die Polizei hat die Grundrecht­e mit Füßen getreten. Sie sagt mittlerwei­le, wo es lang geht. Da wird mir angst und bange«.

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