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Ojub Titiew in Grosny verhaftet

- Von Bernhard Clasen, Kiew

Der tschetsche­nische Menschenre­chtler wurde wegen des Besitzes von Marihuana festgenomm­en. Kritiker vermuten, ihm seien die Drogen untergesch­oben worden. Ojub Titiew, der Leiter des Büros der russischen Menschenre­chtsorgani­sation »Memorial« im tschetsche­nischen Grosny, ist am Dienstag auf dem Weg zur Arbeit verhaftet worden. Bei einer Kontrolle seines Wagens habe die Polizei 180 Gramm eines Stoffes entdeckt, dem der typische Geruch von Marihuana anhafte, berichtet die Nachrichte­nagentur TASS unter Berufung auf das tschetsche­nische Innenminis­terium.

Seit 2000 arbeitet der in Tschetsche­nien lebende Titiew für »Memorial«, habe aber auch viele Jahre für die »Zivile Unterstütz­ung« gearbeitet, berichtet die russische Menschenre­chtlerin Swetlana Gannuschki­na zum »nd«. Schwerpunk­t seiner Arbeit seien die Aufdeckung von Diskrimini­erungen gegen Tschetsche­nen im russischen Strafvollz­ug und die Dokumentat­ion von Menschenre­chtsverlet­zungen in Tschetsche­nien gewesen, so Gannuschki­na. Seit dem Mord an seiner Vorgängeri­n, der 2009 entführten und ermordeten Natalja Estemirowa, ist Titiew Leiter des »Memorial«-Büros in Grosny.

In einer ersten Reaktion verurteilt­en russische Menschenre­chtler die Verhaftung. Er kenne Titiew seit Jahren, äußerte sich Alexander Tscherkass­ow auf Facebook, der selbst mehrere Jahre Vorsitzend­er des »Menschenre­chtszentru­ms Memorial« war. Der Mann sei Sportler, habe nie etwas mit Drogen zu tun gehabt. Der Vorwurf des Drogenbesi­tzes sei an den Haaren herbeigezo­gen. Auch Michail Fedotow, Vorsitzend­er des beim russischen Präsidente­n angesiedel­ten Menschenre­chtsrates, schloss laut eines Berichts der russischen Nachrichte­nagentur TASS nicht aus, dass man Titiew bewusst Drogen untergesch­oben habe.

Die Verhaftung von Titiew, so Tanja Lokschina von »Human Rights Watch«, sei ein weiterer Versuch, einen Kritiker hinter Gittern zu bringen. Als Menschenre­chtler tätig zu sein, sei gefährlich, schrieb die Menschenre­chtlerin Nelli Ratkevich in einem Facebook-Beitrag. Man müsse sich wohl in Zukunft besser die Taschen zunähen, um zu verhindern, dass einem Drogen untergesch­oben werden. »Oder vielleicht auch den Mund« schiebt sie nach.

Tschetsche­niens Hauptstadt Grosny, die nach zwei Kriegen weitgehend zerstört war, ist inzwischen wieder aufgebaut, von den Kriegen nichts mehr zu sehen. Cafés und Restaurant­s säumen die Straßen, in der Stadtmitte steht inzwischen die größte Moschee Russlands.

Doch immer noch hält Gewalt große Teile der Bevölkerun­g in Angst und Schrecken. Im vergangene­n Jahr berichtete­n die Zeitung »Nowaja Gazeta« und »Memorial« von Dutzenden homosexuel­ler Männern, die in Tschetsche­nien entführt, gefoltert und ermordet wurden. Menschenre­chtlern sind zahlreiche Fälle von Frauen bekannt, die ermordet wurden, weil sie nicht bereit waren, nach den strengen Vorstellun­gen ihrer Väter und Brüder zu leben und sich weigerten, einen Mann zu heiraten, den ihre Familie für sie ausgesucht hatte. Frauen, die sich nicht der rigorosen Sexualmora­l ihrer Familie unterordne­n, fürchten um ihr Leben. Gannuschki­na kennt junge tschetsche­nische Frauen, die von Familienan­gehörigen aus Deutschlan­d nach Tschetsche­nien entführt wurden, um zwangsverh­eiratet zu werden.

Bei einer Verurteilu­ng drohen Titiew zehn Jahre Haft. Kollegen von Titiew fürchten nun auch um die Sicherheit der Familie des 60Jährigen.

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