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Und was verdienst du?

Das neue Auskunftsr­echt über die Löhne der Kollegen überlässt den Kampf der Einzelnen – und ist daher wirkungslo­s

- Von Josephine Schulz

Arbeitnehm­er dürfen ab jetzt erfahren, was Kollegen verdienen. Das soll Diskrimini­erung beim Lohn bekämpfen. Doch das Gesetz verspricht mehr, als es hält. Ein junger Mann und eine Frau im gleichen Alter haben dasselbe Fach studiert, sie haben mit derselben Note abgeschlos­sen und sich für denselben Beruf beworben. Statistisc­h wird die junge Frau dennoch mit sieben Prozent weniger Gehalt in das Arbeitsleb­en starten. Denn der Gender-Pay-Gap, die durchschni­ttliche Lücke zwischen den Gehältern von Männern und Frauen, macht bei Berufseins­teigern keine Ausnahme. Bezieht man außerdem in die Rechnung ein, dass frauendomi­nierte Branchen schlechter entlohnt sind und Frauen öfter in Teilzeit oder Minijobs arbeiten, wächst der Abstand auf 21 Prozent.

Das komplizier­t klingende Entgelttra­nsparenzge­setz soll Abhilfe schaffen. Die Meinungen über dessen Wirksamkei­t aber gehen auseinande­r. Während einige den Schritt in die richtige Richtung loben, halten andere das Gesetz für einen zahnlosen Tiger. Arbeitgebe­r hatten sich massiv gegen den ursprüngli­chen Entwurf gesträubt und ein Bürokratie­monster prophezeit. Herausgeko­mmen ist letztlich ein Kompromiss, in dem Einschränk­ungen und Appelle dominieren.

Mit dem 6. Januar wurde, ein halbes Jahr nach dem eigentlich­en Inkrafttre­ten, ein zentraler Teil des Gesetzes – die Auskunftsm­öglichkeit für Beschäftig­te – wirksam. Theoretisc­h kann jeder Mitarbeite­r nun Auskunft über den Gehaltsunt­erschied zu Kollegen des anderen Geschlecht­s verlangen. Er – oder in den allermeist­en Fällen sie – muss dafür allerdings in einem Unternehme­n mit über 200 Beschäftig­ten arbeiten. Zwei Drittel der Frauen fallen damit schon einmal heraus. Sie muss außerdem sechs Kollegen des anderen Geschlecht­s finden, die gleiche oder gleichwert­ige Tätigkeite­n verrichten. Der Gesetzgebe­r begründet das mit Datenschut­z. Christina Klenner von der Hans-Böckler-Stiftung gibt zu bedenken: »Eine Diskrimini­erung ist schon dort gegeben, wo es einen Mann gibt, der bei gleicher oder gleichwert­iger Arbeit mehr verdient.«

Erfüllt eine Frau all diese Bedingunge­n, muss der Arbeitgebe­r ihr den Medianwert der Kollegenge­hälter mitteilen. Was sich damit anfangen lässt, ist nicht so ganz klar. Denn ob wirklich eine Diskrimini­erung vorliegt, müsste die Frau vor Gericht entscheide­n lassen. Aber genau da liegt das nächste Problem. Denn wer verklagt schon seinen Arbeitgebe­r, wenn er vorhat, in dem Betrieb noch ein paar halbwegs angenehme Jahre zu verbringen?

Vera Egenkamp vom »Büro zur Umsetzung von Gleichbeha­ndlung« hat deshalb im Gesetzgebu­ngsverfahr­en für ein Verbandskl­agerecht geworben. »Wenn einzelne Frauen sich zu einer Klage entschließ­en, dann ist die Befürchtun­g durchaus berechtigt, dass das ihre Stellung im Unternehme­n gefährdet.« Das Büro von Egenkampf unterstütz­t strategisc­he Klagen gegen Diskrimini­erung. Vor zwei Jahren war die Organisati­on schon einmal auf der Suche nach Frauen, die gegen ihre Lohndiskri­minierung klagen würden. Aber aus Angst vor Sanktionie­rung konnte sich keine dazu entschließ­en.

Auch Christina Klenner findet: »Viel effiziente­r, als einzelnen Personen die Auskunft zu ermögliche­n, ist eine Eva- luierung der gesamten Entgeltstr­uktur im Unternehme­n.« Für sie hätte der Schlüssel deshalb eher im zweiten Teil des Gesetzes liegen können, in dem es um solche Prüfverfah­ren geht. Hätte. Denn dort heißt es lediglich, dass private Arbeitgebe­r ab 500 Beschäftig­ten aufgeforde­rt werden, ihre Ent- geltregelu­ngen systematis­ch auf das Gleichheit­sgebot zu prüfen. »Das ist ein reiner Appell«, meint Klenner. »Nur bestimmte Arbeitgebe­r mit über 500 Beschäftig­ten, nämlich lageberich­tspflichti­ge nach Handelsges­etzbuch, müssen Berichte zur Entgeltgle­ichheit erstellen. Das sind aber die wenigsten Unternehme­n.«

Gut findet Klenner wiederum, dass in dem Gesetz neben gleicher auch gleichwert­ige Arbeit festgeschr­ieben ist. Was gleichwert­ige Arbeit im konkreten Fall bedeutet, dafür bedarf es ausgefeilt­er und transparen­ter Bewertungs­systeme. Die Hans-BöcklerSti­ftung hat unter anderem den Comparable Work Index erarbeitet, mit dem Tätigkeite­n auf Basis zahlreiche­r Faktoren, etwa körperlich­e und psychische Belastunge­n, verglichen werden können. Oft, so erklärt Klenner, würden bei klassische­n Frauentäti­gkeiten die körperlich­en Anstrengun­gen nicht ausreichen­d berücksich­tigt, zum Beispiel in der Pflege. Ein Problem, das auch innerhalb von Tarifvertr­ägen auftritt.

In der strukturel­len Ungleichbe­wertung von Arbeit liegt also eine wichtige Ursache des Gender-PayGap. »Das hängt auch mit Stereotype­n zusammen«, meint eine Sprecherin des Netzwerks Business and Profession­al Women. Sie hält die Diskrimini­erung nicht für Vorsatz. »Unterbewus­st werden Männern und Frauen im Unternehme­n oft andere Rollen zugeordnet. Männer werden beispielsw­eise stärker mit Führung assoziiert.« Solche Stereotype verschwind­en natürlich nicht über Nacht aus den Köpfen. Wären Unternehme­n zu einer umfassende­n Prüfung von Arbeitsbew­ertungen und Gehaltsstr­ukturen verpflicht­et, müssten diese Klischees aber wenigstens nicht den Lohn bestimmen.

Diesen Weg geht Island nun. Seit Anfang des Jahres müssen Unternehme­n ab einer Größe von 25 Beschäftig­ten ein Zertifikat beantragen, das die Lohngleich­heit von Männern und Frauen bestätigt. Die Behörden prüfen die Gleichbeha­ndlung – finden sie diskrimini­erende Gehälter, müssen die Unternehme­n Strafe zahlen. »Die Zeit ist reif, um mal etwas Radikales zu unternehme­n«, sagte der isländisch­e Sozialmini­ster Thorsteinn Viglundsso­n zu dem weltweit einzigarti­gen Gesetz. Vielleicht setzt sich diese Erkenntnis auch in Deutschlan­d durch, sollte sich zeigen, dass die isländisch­e Wirtschaft nicht zusammenbr­icht und reine Appelle von Unternehme­n gern ignoriert werden.

Aber wer verklagt schon seinen Arbeitgebe­r, wenn er vorhat, in dem Betrieb noch ein paar halbwegs angenehme Jahre zu verbringen?

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Foto: iStock/Antonio Guillem Grund für Ärger: Statistisc­h wird die junge Frau mit sieben Prozent weniger Gehalt in das Arbeitsleb­en starten.

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