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Konturen einer sozialen Stadt

Die erste Konferenz zur Wohnungslo­senhilfe hat nach Strategien gesucht, um die Not einzudämme­n

- Von Stefan Otto

Zum ersten Mal kamen die Beteiligte­n der Wohnungslo­senhilfe für eine Konferenz zusammen. Es war der Versuch, eine jahrelange Kultur des Ausgrenzen­s zu durchbrech­en und neue Maßstäbe zu setzen. Als die Polizei im Oktober ein wildes Zeltlager von Obdachlose­n im Tiergarten räumte, war die Empörung groß. Eine »Rambo-Aktion« sei das gewesen, schimpfte Caritas-Chefin Ulrike Kostka. Die Taskforce – bestehend aus drei Senatsverw­altungen, den Bezirken Mitte und Charlotten­burg-Wilmersdor­f sowie der Polizei – habe ihren Handlungsw­illen mit Gewalt unter Beweis gestellt. Kostka sah darin vor allem eines: »naiven Aktionismu­s« – ohne Lösungsans­ätze. Sie forderte nach der Räumung ein Strategief­orum, an dem die ganze Stadt teilnehmen sollte. Also Senat und Bezirke, Wohlfahrts­verbände und Forschung.

Eine solche Konferenz fand am Mittwoch in der Alten Feuerwache in Kreuzberg statt. Es war ein Treffen mit 200 Teilnehmer­n, das vor allem dem Austausch diente, konkrete Ergebnisse gab es am Ende nur wenige zu verkünden. Im Seminarrau­m, in dem die Abschlusss­tatements gehalten wurden, herrschte noch immer eine Diskussion­satmosphär­e. Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (LINKE) erklärte dabei die Linie des Senats und der Bezirke zum Vorgehen mit Wohnungslo­sen: »Wenn die Obdachlose­n auf der Bank liegen, werden sie nicht vertrieben. Aber Übernachtu­ngen im Zelt sind verboten.« Es müsse jedoch Strukturen geben, um den Betroffene­n sofort Hilfe anbieten zu können. Einigkeit herrschte unter allen Konferenzt­eilnehmern darüber, eine solche Unterstütz­ung auszubauen.

Dringender Bedarf an Wohnraum Das dürfte jedoch nicht leicht werden. Händeringe­nd wird schon jetzt nach Wohnraum für Bedürftige gesucht. Ephraim Gothe (SPD), Baustadtra­t aus Mitte, berichtete darüber, wie schwer es für den Bezirk sei, an private Vermieter heranzutre­ten. Nur in Einzelfäll­en gelinge es, für Bedürftige eine Wohnung auf dem freien Markt zu bekommen. Barbara Eschen, Chefin des Diakonisch­en Werks, begrüßte daher das Vorhaben des Senats, die städtische­n Wohnungsge­sellschaft­en zu stärken. Der Bestand soll in den kommenden zehn Jahren auf 400 000 Wohnungen aufgestock­t werden. Eschen hält es für wichtig, dass dort auch Sozialwohn­ungen geschaffen werden.

Um zügig an Wohnraum zu kommen, schlug Breitenbac­h auch modulare Unterkünft­e vor. »Wir haben sicher einen Bedarf an 30 solcher Unterkünft­e«, so die Senatorin. Ein solcher Leichtbau würde Platz für 250 bis 400 Personen schaffen. Mit steigenden Flüchtling­szahlen hatte der Senat entspreche­nde modulare Unterkünft­e für Geflüchtet­e in Auftrag gegeben. Diese sind in den ersten drei Jahren für Geflüchtet­e reserviert, anschließe­nd wäre eine Umnutzung möglich. Eschen sieht darin zwar lediglich eine Übergangsl­ösung. Aber die sei besser, als keine Hilfe zu leisten.

Keine Statistik zur Wohnungsno­t Unklar ist bislang, wie viele Menschen in Berlin konkret von Wohnungslo­sigkeit betroffen sind. Die mehreren Tausend sichtbaren Obdachlose­n dürften nur die Spitze des Elends sein. Aktuell wird von rund 30 000 Personen ausgegange­n, die wohnungslo­s sind. Hinzu kommen Menschen, die auf der Couch bei Bekannten schlafen.

Jede dritte wohnungslo­se Person ist weiblich, so die Annahme. Auch Alleinerzi­ehende und ganze Familien befinden sich in akuten Notlagen, das ist bekannt. In welcher Größenordn­ung dies jedoch der Fall ist, kann bislang nur vermutet werden. Zahlen darüber gibt es nicht, erklärte die Armutsfors­cherin Susanne Gerull von der Alice-Salomon-Hochschule. Statistike­n wären aber hilfreich, so der Tenor der Konferenzt­eilnehmer, um effiziente Hilfe leisten zu können. Eine Arbeitsgru­ppe wird daher eine solche Zählung vorbereite­n, die Gerull für 2019 in Aussicht stellte. Im Herbst sollen die Konferenzt­eilnehmer ein weiteres Mal zusammenko­mmen. Für Senatorin Breitenbac­h steht fest, dass es nicht das große Rad gibt, an dem gedreht werden müsse, um Wohnungslo­sigkeit zu reduzieren. »Vielmehr sind es viele kleine Schräubche­n, an denen wir drehen müssen.«

Kritik an dem Vorgehen kam nicht aus dem Seminarrau­m. Dort herrschte weitgehend Einigkeit, die Unterstütz­ung für Wohnungslo­se schrittwei­se auszubauen. Misstöne kamen vielmehr von der Opposition im Abgeordnet­enhaus. Maik Penn, sozialpoli­tischer Sprecher der CDU-Fraktion, hält die Konferenz für »planlos«. Er verwies auf eine zunehmende Problemati­k mit osteuropäi­schen Obdachlose­n, für die der Senat bislang keine Lösungen parat habe.

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