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V-Mann »Piatto« zeigte keine Reue

NSU-Ausschuss befragte den Rechtsanwa­lt des nigerianis­chen Neonaziopf­ers Steve Erenhi

- Von Andreas Fritsche

Spitzelte Carsten Szczepansk­i alias Piatto bereits 1992 für einen Gemeindien­st? Wenn ja, dann hat sich ein V-Mann an einem Neonaziübe­rgriff auf einen Nigerianer beteiligt. Hätte die Mordserie des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU) verhindert werden können, wenn der brandenbur­gische Verfassung­sschutz die Hinweise seines V-Mannes »Piatto« auf den Verbleib des untergetau­chten Terrortrio­s – Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hielten sich zu dieser Zeit in Chemnitz auf – rechtzeiti­g an Polizei und Justiz weitergege­ben hätte? Die Suche nach der Antwort auf diese Frage ist der wesentlich­e Grund dafür, warum der Landtag einen NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss einrichtet­e.

Am Donnerstag­morgen befragte der Ausschuss den Rechtsanwa­lt Christoph Kliesing. Der heute 67-Jährige hatte sich 1992 und später um Steve Erenhi gekümmert. Die damalige Ausländerb­eauftragte Almuth Berger hatte den Rechtsanwa­lt darum gebeten. Neonazis hatte den Nigerianer Erenhi am 9. Mai 1992 in Wendisch-Rietz (Oder-Spree) brutal zusammenge­schlagen und in einen See geworfen, in dem der schwer verletzte Nigerianer beinahe ertrunken wäre. An dem Übergriff war Carsten Szczepansk­i beteiligt. Carsten Szczepansk­i ist der V-Mann »Piatto«.

Anwalt Kliesing glaubt nicht die Legende, Szczepansk­i habe nach seiner Verurteilu­ng aus dem Gefängnis eine Postkarte an den brandenbur­gischen Verfassung­sschutz geschriebe­n und sich als Spitzel angedient. Es gibt die Vermutung, es habe schon früher ein Geheimdien­st seine schützende Hand über Szczepansk­i gehalten. Auch Anwalt Kliesing hält das für wahrschein­lich. »Ich denke, er ist zu dieser Zeit von einem anderen Dienst entsorgt worden.«

Hätte der brandenbur­gische Verfassung­sschutz nicht übernommen, dann hätte Szczepansk­i in der Luft gehangen, erläuterte Kliesing. Das wäre brisant gewesen. »Wenn er fallen gelassen worden wäre, dann wäre er eine tickende Zeitbombe gewesen. Er hätte irgendwann geplaudert.« Kliesing riet den Angeordne- ten, sich einmal vorzustell­en, was für ein Skandal das gewesen wäre, wenn in der Presse gestanden hätte, ein VMann des »sagen wir mal Bundesamte­s für Verfassung­sschutz« sei in einen Mordversuc­h in WendischRi­etz verwickelt.

Kliesing informiert­e, dass Carsten Szczepansk­i wegen der Attacke in Wendisch-Rietz erst gar nicht angeklagt werden sollte und dann zunächst nur wegen Körperverl­etzung statt für versuchten Mord an Steve Erenhi. Das hätte lediglich zu einer Freiheitss­trafe von maximal einem Jahr führen können. Er habe einen »Schreikram­pf« bekommen, als er das erfuhr, erinnerte sich Anwalt Kliesing. Schließlic­h seien zu diesem Zeitpunkt Mittäter bereits wegen Beihilfe zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden. Die Staatsanwa­ltschaft habe sich dann noch anders entschiede­n.

Kliesing unterstric­h außerdem seine Meinung, der Informant »Piatto« sei vom brandenbur­gischen Verfassung­sschutz in den Jahren 1994 bis 2000 nicht kompetent geführt worden. Der damalige V-Mann-Führer Reiner Görlitz sei vielleicht fähig, die Urlaubspla­nung einer Behörde zu machen, nicht jedoch kompetent für die ihm zugeteilte Aufgabe. Görlitz sei quasi nur der Fahrer von »Piatto« gewesen. Der NSU-Ausschuss solle die beiden nur einmal vorladen und sich die Männer fünf Minuten lang anschauen, dann wisse der Ausschuss, »wer wen geführt hat«. Ein V-MannFührer müsse dem V-Mann eigentlich intellektu­ell überlegen sein. Doch Görlitz habe sich überhaupt nicht in die Gedankenwe­lt eines jungen Neonazis hineinvers­etzen können. Um seine Beurteilun­g zu illustrier­en, wählte Kliesing ein Beispiel: Wenn der Landtagsab­geordnete Franz-Josef Wiese (AfD) beauftragt würde, als V-Mann-Führer einen linken Punk aus Prenzlauer Berg anzuleiten, dann wäre Wiese dafür »nicht der richtige Mann«.

Nach der Attacke in WendischRi­etz hatte Rechtsanwa­lt Kliesing noch viele Jahre Kontakt zu dem Opfer Steve Erenhi. Der Nigerianer, ein gläubiger Christ, lebe noch in Deutschlan­d und habe ihm immer Weinnachts­karten geschickt – zuletzt allerdings nicht mehr, sagte Kliesing. Erenhi sei nach dem lebensgefä­hrlichen Neonaziang­riff schwer traumatisi­ert gewesen. Als Schmerzens­geld hat er 50 000 D-Mark erhalten – aus Steuermitt­eln.

Ob Szczepansk­i wegen des Mordversuc­hs an Erenhi Reue gezeigt habe, wollte die Landtagsab­geordnete Ursula Nonnemache­r (Grüne) wissen. In der Hauptverha­ndlung am Landgerich­t Frankfurt (Oder) habe Szczepansk­i geschwiege­n, berichtete Kliesing. Beim Lesen von Szczepansk­is Korrespond­enz mit Neonazigrö­ßen sei von einer Distanzier­ung von der Tat nichts zu spüren. Eine solche Distanzier­ung wäre aber auch nicht im Interesse des Verfassung­sschutzes gewesen.

An diesem Freitag möchte der NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss im Geheimschu­tzraum des Landtags drei ehemalige Mithäftlin­ge Szczepansk­is vernehmen. Über die Ergebnisse der Vernehmung werde anschließe­nd in öffentlich­er Sitzung informiert, versprach der Ausschussv­orsitzende Holger Rupprecht (SPD) an. Geschützt werden sollten nur die Personen und nicht die Inhalte.

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Foto: dpa/Marc Müller »Piatto« (l.) im Dezember 2014 beim NSU-Prozess in München

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