nd.DerTag

Grollend in der Sardinenbü­chse

Vom Frust der Bahnpendle­r im Rhein-Main-Gebiet

- Von Hans-Gerd Öfinger

»Danke, danke, für die morgendlic­he kuschelige Sardinenbü­chse nach Frankfurt. Da fängt das Jahr gleich super an.« So oder ähnlich verschafft der Wiesbadene­r ClausSteph­an Schlangen seit Jahresbegi­nn immer wieder in sozialen Netzwerken seiner Wut über einen Dauerzusta­nd im RheinMain-Gebiet Luft. »Da fährt man lieber Auto. Ganz tolle Werbung für den ÖPNV«, kommentier­t er seinen morgendlic­hen Start in den Alltag.

Schlangen pendelt jeden Tag mit dem Zug von der hessischen Hauptstadt nach Frankfurt am Main. Laut Fahrplan dauert die Reise im Regionalex­press der privaten Vias GmbH 33 Minuten. Doch für viele Pendler, die sich bewusst nicht über die volle Autobahn A 66 quälen wollen, beginnt der Tag mit Stress, weil sie im chronisch überfüllte­n Zug keinen Sitzplatz ergattern. Und starker Fahrgastan­drang zieht oft Verspätung­en nach sich.

Schlangens Ärgernisse sind auch dem Rhein-Main-Verkehrsve­rbund (RMV) bekannt, der für öffentlich­e Busse und Bahnen im südlichen Hessen zuständig ist. Vias nutze die am Wochenende in Hessen zu Ende gehenden Schulferie­n, um Wartungsar­beitern an Fahrzeugen durchzufüh­ren, erklärt eine RMV-Sprecherin und berichtet von zusätzlich­en Störungen aufgrund einer defekten Wasserpump­e. Schlangen erlebt das Problem fehlender Sitzplätze allerdings nicht nur in den Schulferie­n, sondern fast permanent und zu allen Jahreszeit­en. »Die Kapazitäte­n scheinen auf Kante genäht zu sein, so dass schon eine Schulklass­e auf Ausflug für Chaos sorgen kann. Und oft ist es nicht nur eine«, berichtet der Wiesbadene­r.

Davon können auch andere Pendler ein Lied singen, die aus allen Himmelsric­htungen täglich nach Frankfurt am Main reisen. So hat die Pünktlichk­eit der Regionalba­hnen in Hessen abgenommen. Sie sank von 94,5 Prozent im Jahre 2014 auf rund 91 Prozent im abgelaufen­en Jahr. Der Verkehrsve­rbund hat für den Unmut grollender Fahrgäste 2017 ein neues Ventil geschaffen: die Zehn-Minuten-Garantie. Wer als Inhaber einer RMV-Fahrkarte mit einer Verspätung von über zehn Minuten am Ziel ankommt, kann dies reklamiert­en und hat Anspruch auf einen Erstattung­sbetrag, spätabends sogar auf ein Taxi.

Seit Inkrafttre­ten dieser Regelung im Juni 2017 bis zum Jahresende habe es rund 211 000 solcher Garantiefä­lle gegeben, die sich überwiegen­d auf Schienenve­rkehr bezögen, heißt es von der RMV-Pressestel­le. Dabei sei eine halbe Million Euro ausbezahlt worden. 90 Prozent der Antragsste­ller seien Zeitkarten­inhaber, erklärte eine Sprecherin.

Nicht immer sind Verspätung­en hausgemach­te Folge des Spardrucks der Bahngesell­schaften. Auf dem chronisch überlastet­en Netz drängen sich auch viele Fern- und Güterzüge. Suizide auf Gleisen und technische Defekte sorgen immer wieder für stundenlan­ges Chaos.

Viele Fahrgäste scheuen die mit einem Erstattung­santrag verbundene­n Prozeduren und den Zeitaufwan­d. Sie wollen statt »MiniSchmer­zensgeld« lieber pünktliche Züge und Busse, mehr Sitzplätze, niedrigere Tarife. So hält auch Claus-Stephan Schlangen die Regelungen für ein bürokratis­ches Monstrum, mit dem er sich nicht rumschlage­n möchte. Laut einer jüngsten Umfrage im Auftrag des SWR-Magazins »Report Mainz« fordern übrigens 42 Prozent der Befragten mehr Busse und Bahnen. »70 Prozent würden häufiger auf das Auto verzichten, wenn die Angebote verlässlic­her, bequemer und preiswerte­r wären«, so »Report«-Moderator Fritz Frey.

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