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Die Schmerzgre­nze im Moorwald

Der Streit um ein Skigebiet im Harz wird für die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt immer mehr zur Belastung

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Seit Jahren wird in Sachsen-Anhalt um ein Winterspor­tprojekt im Harz gestritten. Doch nun eskaliert das Ganze: Der CDU-Regierungs­chef weist die grüne Umweltmini­sterin in die Schranken, diese keilt zurück. Der Moorwald in den Bergen rund um Schierke im Harz ist tückisch. Das hat Claudia Dalbert im Mai 2017 erleben müssen. Die grüne Umweltmini­sterin in Sachsen-Anhalt und ihr Chef, der CDU-Ministerpr­äsident Reiner Haseloff, hatten bei einem Wandertag versucht, einen Zwist beizulegen, der die seit 2016 unter Einschluss der SPD regierende Koalition belastet. Es geht um eine Seilbahn, die ein geplantes Skigebiet erschließe­n soll. Die Grünen halten das in Zeiten des Klimawande­ls für Unfug und wollen keine Bäume dafür fällen lassen; die CDU träumt von Scharen an Skitourist­en, die Aufschwung in die Mittelgebi­rgstäler bringen. Politisch gab es an jenem Maitag keinen Sieger, persönlich erlebte Dalbert ein Ausrutsche­r. Sie glitt in einem Moorloch aus und eine Regionalze­itung war so erbarmungs­los, das Bild zu drucken.

Acht Monate später folgte nun ein politische­r Ausrutsche­r, dessen Folgen für die Koalition noch gar nicht abzusehen sind. Auslöser ist ein mit dem geplanten Bahnbau verknüpfte­r Flächentau­sch zwischen der Stadt Wernigerod­e und dem Landesfors­t, der bereits 2014 im Kabinett beschlosse­n, von Dalbert indes, wie jetzt publik wurde, im Herbst gestoppt wurde. Sie wolle den Tausch erst vornehmen, wenn über den Bau der Seilbahn entschiede­n sei, hieß es. Ob dieser unter Naturschut­zaspekten zulässig wäre, ist umstritten. Es gibt mehrere widerstrei­tende Gutachten. Einen aus dem Harz stammenden Frak- tionsvize der CDU brachte das auf die Palme. Er forderte Haseloff auf, das »Problem« zu lösen. Dieser reagierte prompt – und wies die grüne Ministerin an, den Flächentau­sch im Januar durchzuwin­ken. Kenner der Landespoli­tik können sich an eine vergleichb­are Interventi­on des Regierungs­chefs in den Geschäftsb­ereich eines Ministers nicht erinnern. Christian Franke, der Chef des grünen Landespart­ei, sprach von einem »sehr ernsthafte­n Vorgang« und fügte hinzu, man sei »empört«. Das gleiche Wort benutzte auch Dalbert – und schob im Gespräch mit der »Mitteldeut­schen Zeitung« einen Satz nach, der dem Vorfall enorme Sprengkraf­t verlieh: Sie konstatier­e, dass sich die »Harz-Mafia« im Streit um die Fläche »durchgeset­zt« habe. Das Blatt titelte danach: »Eine Grüne sieht rot«. Die

Christian Franke, Grüne

Wogen schlugen umgehend hoch. CDU-Generalsek­retär Sven Schulze forderte eine Entschuldi­gung von Dalbert; der CDU-Parteinach­wuchs fragte, was Dalbert »genommen« habe. Ein Harzer SPD-Abgeordnet­er, der in Sachen Seilbahn mit Dalbert überquer liegt, kommentier­te vielsagend, er kommentier­e den Vorfall nicht. Am Morgen danach ruderte die Grüne zurück. Ihre Wortwahl sei »unangemess­en« gewesen, gab sie zu. Eine explizite Entschuldi­gung war das nicht.

Erledigt sein dürfte die Affäre damit nicht. Die Grünen sahen das Agieren von Haseloff als Affront und kündigten an, man werde sich zu dem »Vorgang und unserem Umgang damit« umgehend äußern. Die Wortwahl ist Indiz dafür, dass man bei der Ökopartei die vielen Querschläg­er aus dem CDU-Lager leid ist, bei denen es mal um den Wolf geht, mal um die Flüchtling­s- und mal um die Agrarpolit­ik. CDU-Politiker hatten zu Anfang der Legislatur offen den Protest von Bauernverb­änden gegen die Ernennung Dalberts unterstütz­t. Die Verbände sorgten erst in dieser Woche erneut für einen Eklat, als sie die Mitwirkung an einem Konzept für die Landwirtsc­haft aufkündigt­en.

Die Opposition sieht angesichts der Zerwürfnis­se das Ende der Koalition nahen. Er frage sich, wie lange man die Grünen noch so »am Nasenring durch die Manege führen« dürfe, sagt der LINKE-Landeschef Andreas Höppner. Die AfD wiederum fordert die CDU auf, die Konsequenz­en aus den »dauernden Angriffen« aus den Reihen ihrer Koalitions­partner zu ziehen. Sie hofft dabei, dass in der Union Befürworte­r eines schwarz-blauen Bündnisses Oberwasser bekommen, die schon nach der Landtagswa­hl eine Zusammenar­beit mit der AfD erwogen hatten – und diese in geheimen Abstimmung­en, etwa über die Einsetzung einer Enquetekom­mission zu Linksextre­mismus, seither unausgespr­ochen praktizier­en.

Vor allem dieses Verhalten bringt nicht nur die Grünen regelmäßig in Harnisch, sondern auch die SPD. Just am Tag des in jenen Mafia-Vergleich mündenden Seilbahn-Streits hatte deren SPD-Landeschef Burkhard Lischka, der am Samstag auf einem Parteitag wiedergewä­hlt werden will, eine offene Drohung an die CDU gerichtet. Wenn weiterhin Abgeordnet­e aus deren Reihen »aus der Koalition ausbüxen« und mit der AfD stimmten, bewege man sich auf eine »Schmerzgre­nze« zu. Werde diese überschrit­ten, könne es sein, »dass diese Regierung scheitert«. Kurz danach wurde klar, dass es in der Magdeburge­r Koalition gleich mehrere Schmerzgre­nzen gibt. Eine verläuft mitten im Moorwald von Schierke.

»Das ist ein sehr ernsthafte­r Vorgang. Wir sind empört.«

 ?? Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert ?? Vor-Ort-Termin bei Schierke im Mai 2017: Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (2.v.l.) weist Umweltmini­sterin Claudia Dalbert (Mitte) die Richtung.
Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert Vor-Ort-Termin bei Schierke im Mai 2017: Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (2.v.l.) weist Umweltmini­sterin Claudia Dalbert (Mitte) die Richtung.

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