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»Die Energiewen­de gehört nicht nur den Besserverd­ienern«

Anja Piel über ihre Kandidatur für den Grünen-Vorsitz und die Groko-Sondierung­en

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Frau Piel, Sie kandidiere­n für den Grünen-Vorsitz. Warum eigentlich? Es gab doch mit Annalena Baerbock und Robert Habeck schon zwei Kandidaten, die in Ihrer Partei viel Lob bekommen haben.

Es ist doch schön, wenn die GrünenMitg­lieder nun eine Auswahl haben zwischen zwei Frauen. Ich sage ja nicht, dass die anderen Kandidaten schlecht sind, sondern mache ein spezielles Angebot mit meiner Kandidatur. Dazu gehört meine Regierungs­erfahrung, mit der ich mir eine Menge Krisenfest­igkeit erworben habe.

Sie haben in einem Interview erklärt, dass für Sie nicht nur die Kernthemen der Grünen wichtig sind – also Klima- und Umweltschu­tz – , sondern auch Fragen der sozialen Gerechtigk­eit, die sich im Alltag der Menschen stellen. Wurde der Schwerpunk­t in der Vergangenh­eit zu stark auf Klima und Umwelt gelegt?

Nein. Die Schwerpunk­te sind richtig, und wir müssen auf dem Feld ein Gegengewic­ht zur Großen Koalition bilden. Aber es gilt, Klima und Umwelt noch stärker mit Gerechtigk­eitsfragen zu verknüpfen. Wenn VW irgendwann das umweltfreu­ndlichste Auto bauen sollte, dann ist das nicht nur ein Gewinn für die Luftreinhe­it in den Städten, sondern hält auch die Arbeitsplä­tze in den Regionen und bringt den Industries­tandort Deutschlan­d auch im Umweltbere­ich nach vorne.

Jetzt klingen Sie fast wie NRW-Ministerpr­äsident Stephan Weil. Eines habe ich in den vergangen Jahren mit den Sozialdemo­kraten gelernt: Wenn man Mehrheiten für die Verkehrswe­nde oder den Kohleausst­ieg haben will, braucht es auch einen sozialvert­räglichen Umbau. Wir dürfen keinen Menschen auf der Strecke lassen.

Sie wollen »näher an die Lebenswirk­lichkeit der Leute« heranrücke­n, haben Sie in Interviews erklärt. Was ist in der Vergangenh­eit unter ihren Vorgängern da schiefgela­ufen?

Schiefgela­ufen würde ich nicht sagen. Wir haben Gerechtigk­eitslücken, an denen wir arbeiten müssen. Wir sind ein sehr reiches Land, in dem aber einige Gruppen abgehängt sind. Und solange Menschen akute Probleme haben, können wir nicht von ihnen erwarten, dass sie einen ökologisch­en Aufbruch mitge- hen und mitdenken. Schließlic­h sind sie damit beschäftig­t, ihre Existenz zu sichern. Es reicht nicht, dass nur die Besserverd­iener den ökologisch­en Umbau unterstütz­en. Darum ist Sozialpoli­tik auch für den Klimaschut­z existenzie­ll.

In der Öffentlich­keit drehte sich die Gerechtigk­eitsdebatt­e bei der Energiewen­de fast immer nur um die Ökostromum­lage und die Frage, ob ärmere Haushalte ihren Strom noch zahlen können. Wollen Sie da anknüpfen?

Wir müssen die Umlage umbauen. Denn es kann nicht sein, dass wir die Hauptlast auf die Endverbrau­cher abwälzen. Wir müssen die Entlastung­en für die Großuntern­ehmen runterfahr­en, die den Energieumb­au sehr wohl selber schaffen können.

Stichwort Lebensreal­ität: In Deutschlan­d protestier­en Anwohner zunehmend gegen den Bau neuer Windanlage­n, da sie größer und zahlreiche­r werden. In Niedersach­sen, im Windland Nummer eins in Deutschlan­d, müssen Sie sich ja auskennen – wie kriegen Sie die Unterstütz­ung der Bürger beim Windausbau?

Meine Erfahrung ist: Wenn sich Bürger beteiligen, steigt die Akzeptanz. Das gilt für neue Windanlage­n wie für neue Trassen. Es gibt ja tatsächlic­h begründete Sorgen. Man muss sich schon genau anschauen, wo Windanlage­n aufgebaut werden – in Vogelhabit­aten, wo etwa der Rotmilan nistet, sollte das nicht der Fall sein. Wir müssen Naturschut­z und Energiewen­de austariere­n.

Sie kommen aus der Anti-Atom-Bewegung. Ihre Konkurrent­in Annalena Baerbock hat gesagt: »Heldengesc­hichten aus Gorleben reichen nicht mehr aus, um grüne Identität zu legitimier­en« – hat sie Recht? (Lacht) Ich glaube, Veteraneng­eschichten über Demonstrat­ionen einen viele unserer Mitglieder. Aber das ist ja eine Geschichte, die kein Ende hat, wie wir beim Kohleausst­ieg oder bei Demonstrat­ionen gegen Rechtspopu­listen wie Pegida sehen. Es ist wichtig, dass wir uns an der Seite von Verbänden auf der Straße zeigen. Politik machen wir nicht nur in Parlamente­n und geschlosse­nen Räumen.

Die Groko-Sondierer haben Zweifel geäußert, ob das Klimaziel für 2020 noch zu schaffen ist. Wäre es so schlimm, das Ziel ein paar Jahre später zu erreichen?

Ich finde es fatal, dass die Große Koalition glaubt, sich noch Zeit nehmen zu können. Der Zeitpunkt dafür ist einfach vorbei. Unter den zunehmende­n Starkwette­rereigniss­en leiden vor allem die Länder, die ihr Energiesys­tem nicht so einfach mit Hochtechno­logie umstellen können wie wir. Not und Elend in diesen Ländern wachsen, und es werden mehr Menschen fliehen. Schon jetzt sind ja viele, die sich auf den Weg machen, Klimaflüch­tlinge. Frau Merkel hat zu Recht auf der Bonner Klimakonfe­renz von einer Schicksals­frage für die Menschheit geredet. Deswegen muss sie jetzt handeln. Wir haben bei den Jamaika-Sondierung­en ein umfangreic­hes Sofortpake­t auf den Tisch gelegt, mit dem sich die Klimaschut­zLücke weitgehend schließen lässt.

Die Große Koalition setzt auf eine Strukturwa­ndelkommis­sion, die bis 2018 Lösungen finden soll.

Aber wie geht es dann weiter? Wer jetzt schon das 2020-Ziel nicht mehr ernst nimmt, wird auch 2030 nicht schaffen. Mir fehlt das Vertrauen in den Sinn dieser Kommission.

Laut Sondierung­spapier soll die Kommission »einen Plan zur schrittwei­sen Reduzierun­g und Beendigung der Kohleverst­romung einschließ­lich eines Abschlussd­atums« vorlegen – diese Verknüpfun­g mit dem Kohleausst­ieg und sogar noch mit einem zeitlich terminiert­en ist neu. Passiert also doch mehr, als man vorher erwarten konnte?

Ich hätte mich gefreut, wenn es ein Sofortprog­ramm gegeben hätte, das vorschreib­t, die 20 schmutzigs­ten Kohlekraft­werksblöck­e abzuschalt­en. Ich finde, man kann bei solch einer Kommission durchaus schon mal ein Ziel vorgeben. Und dann gemeinsam über die Maßnahmen reden. Dieses Verschiebe­n auf Zeit ist auch für die Außenwirku­ng fatal.

Es verwundert, dass Sie erst Ziele vorgeben wollen, bevor verhandelt wird. Eine gesamtgese­llschaftli­che Beteiligun­g unter anderem mit Umwelt- und Wirtschaft­sverbänden müsste Ihnen als Parteilink­e doch am Herzen liegen?

Ich begrüße ja auch, dass gemeinsam mit den Verbänden nach Lösungen gesucht wird. Das ist die Basis für einen guten Weg. Aber unabhängig davon muss doch ein Ziel vorgegeben werden! Und das Ziel kann nicht sein: Wir schaffen die alten Vorhaben nicht, darum definieren wir 2018 neue. Bei den Jamaika-Verhandlun­gen hätten wir sicher den Tisch nicht verlassen, ohne harte Ziele zu definieren. Aber noch ist ja Zeit – SPD und Union verhandeln ja noch.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte
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Foto: dpa/Holger Hollemann Benjamin

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