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Mit der Krise ins Wahljahr

Venezuelas Regierung trifft sich mit Opposition / Vorgezogen­e Präsidente­nwahl möglich

- Von Tobias Lambert

Die wirtschaft­liche Lage in Venezuela könnte den regierende­n Sozialiste­n unter Nicolás Maduro im Wahljahr gefährlich werden, auch wenn die rechte Opposition derzeit keinen guten Lauf hat. Plünderung­en, Tote – im unter Lebensmitt­elengpässe­n leidenden Venezuela steigt die Zahl der Toten auf sechs, nachdem im Zuge von Plünderung­en am Donnerstag laut Medien und Opposition vier weitere Menschen starben. In der Stadt Arapuey im Westen Venezuelas würden Plünderer seit mehreren Tagen Geschäfte und Warenhäuse­r ins Visier nehmen, so der Opposition­spolitiker Carlos Paparoni. Bisher handelt es sich um Einzelfäll­e. Doch für die Regierung unter Nicolás Maduro könnten die spontan wirkenden Ereignisse bedrohlich­er werden als die koordinier­ten Straßenpro­teste der rechten Opposition zwischen April und Juli 2017. Offensicht­lich gelingt es der Regierung nicht, die tief greifende Wirtschaft­sund Versorgung­skrise auch nur annähernd in den Griff zu bekommen.

Dabei sitzt Maduro auf den ersten Blick wesentlich fester im Sattel als über weite Strecken des vergangene­n Jahres. Die umstritten­e Wahl zur Verfassung­gebenden Versammlun­g (ANC) Ende Juli hatte die monatelang­en Proteste beendet. Bei den Regional- und Bürgermeis­terwahlen im Oktober und Dezember konnte die regierende Vereinte Sozialisti­sche Partei Venezuelas (PSUV) auf ganzer Linie triumphier­en. Der venezolani­sche Präsident gab sich Anfang Januar betont optimistis­ch. 2018 werde das Jahr »der großen Siege für Venezuela, um die Liebe, das soziale Glück und die Hoffnung zurückzuge­winnen.«

Die Hoffnung vieler Regierungs­anhänger, dass sich die Versorgung­slage nach der Wahl der omnipotent­en ANC bessern werde, ist jedoch nicht aufgegange­n. Auch wenn der Erdölpreis langsam wieder steigt, fehlt es den meisten Menschen am Nötigsten. Während auf dem Schwarzmar­kt mittlerwei­le etwa 160 000 Bolívares für einen US-Dollar gezahlt werden, liegt der monatliche Mindestloh­n nach der jüngsten Erhöhung bei gerade einmal 800 000 Bolívares. Die Regierung macht weiterhin vor allem den »Wirtschaft­skrieg« seitens der ökonomisch­en Eliten und die Sanktionen der USA für die Lage verantwort­lich.

Zwar spielen diese Faktoren eine Rolle, die Vorwürfe wirken ein halbes Jahr nach der Wahl der Verfassung­gebenden Versammlun­g jedoch zunehmend hilflos. Als der von der Re- gierung versproche­ne Schinken für den Festtagsbr­aten zu Weihnachte­n nicht eintraf, beschuldig­te Maduro Portugal der Sabotage, obwohl Venezuela zuvor offenbar Rechnungen portugiesi­scher Lebensmitt­elexporteu­re nicht beglichen hatte. Auf die jüngsten Plünderung­en reagierte die Regierung mit der Entsendung von Soldaten, die vereinzelt Supermärkt­e bewachen sollen. Die Verbrauche­rschutzbeh­örde Sundde wies 26 Lebensmitt­elketten an, die Preise bestimmter Produkte auf das Niveau von Mitte Dezember zu senken. Offizielle Daten zur Höhe der Inflation gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Das opposition­ell besetzte, aber machtlose Parlament schätzt die Teuerungsr­ate für 2017 auf 2600 Prozent. Um sich finanziell unabhängig­er zu machen und Sanktionen zu umgehen, pocht Maduro nun darauf, eine eigene Krypto- währung auszugeben. Anders als der Bitcoin soll das digitale Geld staatlich reguliert und mit den Erdölreser­ven physisch abgesicher­t sein. Die Krise beenden wird dies wohl kaum.

Dass der venezolani­sche Präsident derzeit keine ersichtlic­hen Gegenspiel­er hat, liegt vor allem an den internen Streiterei­en des rechten Opposition­sbündnisse­s »Tisch der Demokratis­chen Einheit« (MUD). Vertreter von Regierung und Opposition kamen indes am Donnerstag und Freitag in der Dominikani­schen Republik zu Gesprächen zusammen, nachdem im Dezember bereits zwei Treffen stattgefun­den hatten. Über konkrete Ergebnisse wurde bis Redaktions­schluss nichts bekannt. Der Opposition geht es vor allem um faire Regularien zur Präsidents­chaftswahl, die Freilassun­g der als politische Gefangene angesehene­n Personen und humanitäre Hil- fe. Der Sinn des Dialogs ist intern aber umstritten, radikale Opposition­elle liebäugeln mit neuen Protesten.

Es halten sich Gerüchte, Maduro könnte die aktuelle Schwäche der Opposition ausnutzen und die für Ende des Jahres vorgesehen­e Präsidents­chaftswahl auf das Frühjahr vorziehen. In dem Fall wäre die Opposition unter Zugzwang. Ende Dezember hatte der MUD versproche­n, mit einem gemeinsame­n Kandidaten anzutreten, jedoch scheint es, als ob sich die Parteien gegenseiti­g zutiefst misstraute­n. Als vermeintli­chen Retter bringen daher immer mehr Opposition­sanhänger den Milliardär Lorenzo Mendoza ins Spiel. Der Chef des größten venezolani­schen Lebensmitt­elkonzerns Polar stünde als politische­r Quereinste­iger jenseits der politische­n Grabenkämp­fe. Zu einer möglichen Kandidatur schweigt er bisher.

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Foto: AFP/Juan Barreto Ein Blick in einen Supermarkt in Caracas am 11. Januar 2018

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