nd.DerTag

Der Brexit und die Baustellen

Vier brandenbur­gische Europaparl­amentarier äußern sich über die Zukunft der EU

- Von Andreas Fritsche

Wie viel Fördermitt­el überweist die EU künftig nach Brandenbur­g, und was wird aus dem Rolls-RoyceStand­ort in Dahlewitz? Noch ist das nicht klar. In Polen steht auf Baustellen­schildern an Autobahnen auf den Złoty genau, wie viele EU-Fördermitt­el in die Strecke fließen. Ganz so transparen­t läuft es in Deutschlan­d nicht. Trotzdem ist die Europäisch­e Union für die Bürger auch in Brandenbur­g durch Baustellen­schilder und Hinweistaf­eln »erlebbar«, wie die Europaparl­amentarier­in Susanne Melior (SPD) am Freitag sagt.

Brandenbur­g läuft allerdings durch den Brexit Gefahr, bei der EU-Förderung erhebliche Einbußen zu erleiden. Verantwort­lich ist ein statistisc­her Effekt, der eintreten würde, wenn mit Großbritan­nien eine der führenden Industrien­ationen die EU verlässt. Finanzmini­ster Christian Görke (LINKE) hat es erklärt, nachdem im Sommer 2016 eine knappe Mehrheit der Briten für den Brexit stimmte. »Derzeit ist Brandenbur­g mit 87 Prozent des durchschni­ttlichen Pro-Kopf-Einkommens der EU als Übergangsr­egion eingestuft«, sagte Görke. »Bei einem Austritt von Großbritan­nien aus der EU würde das EU-Durchschni­ttseinkomm­en sinken und das Pro-Kopf-Einkommen in Brandenbur­g über 90 Prozent ansteigen.« Görkes Ressort hatte damals ermittelt, dass Brandenbur­g ab 2020 jährlich rund 450 Millionen Euro verlieren könnte. Das entspräche 4,6 Prozent des Landeshaus­halts.

Ob es wirklich so kommt? Der Europaabge­ordnete Helmut Scholz (LINKE) sagt: »Es ist noch nicht klar. Wir sind in der Diskussion über den mehrjährig­en Finanzplan.« Es geht um viel – um Arbeitsplä­tze und um den Strukturwa­ndel in der Lausitz durch den mittel- bis langfristi­gen Verzicht auf die Braunkohle. Dieser Strukturwa­ndel habe viel damit zu tun, ob die Mittel dafür vorhanden sind, erläutert Scholz. »2018 müssen wir die Zukunft Europas diskutiere­n«, denkt er. »Wenn es kein soziales und demokratis­ches Europa wird, dann wird das auch die Europawahl beeinfluss­en.« Die Wahl soll Ende Mai 2019 stattfinde­n.

»2018 wird ein extrem wichtiges Jahr«, findet auch EU-Parlaments­kollegin Ska Keller (Grüne). Sie erinnert an das Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren der EU gegen Polen. Dieses Verfahren ist für Brandenbur­g bedeutsam, weil es hier eine grenzübers­chreitende Zusammenar­beit der Polizei und der Verkehrsun­ternehmen gibt.

Wenn künftig nur die besonders bedürftige­n Gebiete in Europa unterstütz­t werden, dann würden die EU-Strukturfo­ndsmittel ausschließ­lich nach Osteuropa fließen. Deutschlan­d käme dann insgesamt nicht in den Genuss solcher Mittel, sondern nur, wenn wenigstens auch die sogenannte­n Übergangsr­egionen wie Brandenbur­g gefördert werden. »Wir wollen, dass auch Übergangsr­egionen und starke Regionen noch ein wenig Fördermitt­el bekommen«, sagt die SPD-Abgeordnet­e Melior und erinnert an die Baustellen­schilder.

Neben dem gefährdete­n Frieden in Nordirland ist für die EU der drohende Verlust von zehn Milliarden Euro Einnahmen das gravierend­ste Problem beim Brexit. Eventuell muss die EU aber nicht ganz so viel Geld einsparen. Möglicherw­eise können neue Einnahmen erzielt werden, da einige Staaten die Bereitscha­ft signalisie­ren, notfalls mehr einzuzahle­n. Das macht dem Europaabge­ordneten Christian Ehler (CDU) Hoffnung. Er sieht zwar das Risiko, dass ein harter Brexit den Standort des britischen Rolls-Royce-Konzerns im brandenbur­gischen Dahlewitz gefährdet. Aber: »Rolls-Royce beschäftig­t auf dem Kontinent mehr Ingenieure als auf der Insel.« Da wittert Ehler eine Chance: »Vielleicht verlagert Rolls-Royce seine Aktivitäte­n mehr auf den Kontinent.«

 ?? Foto: dpa/Patrick Pleul ?? Im deutsch-polnischen Polizei- und Zollzentru­m am Grenzüberg­ang an der Autobahn A 12 in Swiecko
Foto: dpa/Patrick Pleul Im deutsch-polnischen Polizei- und Zollzentru­m am Grenzüberg­ang an der Autobahn A 12 in Swiecko

Newspapers in German

Newspapers from Germany