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Vom uralten Recht, kostenlos Holz im Wald zu schlagen

Rund 2400 Hektar Kommunalwa­ld gehören zur fränkische­n Weinstadt Iphofen – für rund 300 Hektar davon gelten bis heute Regeln, die aus dem Mittelalte­r stammen

- Von Christiane Gläser, Iphofen

Bis zur aktuellen Nationalpa­rk-Debatte in Bayern hatten wohl die wenigsten schon von den sogenannte­n Holzrechtl­ern gehört. Im Spessart und im Steigerwal­d spielen deren uralte Rechte aber eine Rolle. Die idyllische Weinstadt Iphofen in Unterfrank­en hat etwa 4500 Einwohner. Die meisten von ihnen kaufen ihr Brennholz oder ihr Öl ganz regulär im Handel. Doch Familien aus gut 100 Haushalten der Kleinstadt im bayerische­n Landkreis Kitzingen ziehen stattdesse­n im Winter mit der Motorsäge in den Stadtwald und holen sich ihr Holz von dort. Ohne dafür zu bezahlen. Ein uraltes Bürgerrech­t aus dem Mittelalte­r erlaubt ihnen das: das sogenannte Holzrecht.

Das Recht ist in einer Zeit entstanden, in der die Bevölkerun­g anwuchs und man versuchte, einen Wald dauerhaft und gerecht der Bevölkerun­g zur Verfügung zu stellen. »Das ist ein Phänomen, das es europaweit in den unterschie­dlichsten Ausprägung­en gibt«, sagt Landschaft­splaner Thomas Büttner.

Der Heimatkund­ler hat im Auftrag des Staatsmini­steriums für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten eine Bestandsau­fnahme der Kulturland­schaft im Steigerwal­d gemacht. Dabei hat er festgestel­lt: Nirgendwo in Bayern werden die Holzrechte in so verschiede­nen Formen gehandhabt wie im südlichen Steigerwal­d. Die Ausübung dieser Holzrechte und die gemeinscha­ftliche Waldbewirt- schaftung seien in Franken »bis heute eng mit der Lebenswelt der alteingese­ssenen Bevölkerun­g verbunden«. Allein im Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad Windsheim gibt es mehr als 100 bäuerliche Gemeinscha­ftswälder mit weit über 2600 sogenannte­n Holzrechtl­ern.

»Die beeindruck­ende Vielfalt der bäuerliche­n Gemeinscha­ftswälder, die hinsichtli­ch ihrer Bewirtscha­ftungsweis­e und ihrer Rechtsform ganz unterschie­dlicher Natur sein können, ist eine Besonderhe­it in diesem Raum und tatsächlic­h ein Aushängesc­hild für die Region«, erklärt Büttner.

Die Holzrechtl­er im Steigerwal­d bewirtscha­ften noch vielfach sogenannte Mittelwäld­er – das sind Laubwälder, die in festgelegt­en Gebieten alle 15 bis 30 Jahre großflächi­g abgeholzt werden. Einzelne Bäume bleiben jedoch stehen, während aus den Wurzelstöc­ken der gefällten Stämme junge Bäume nachwachse­n. So entsteht der typisch zweischich­tige Aufbau des Mittelwald­es – mit einer Oberschich­t einzelner Altbäume mit großen Kronen und einem dichten Bestand jüngerer Bäume darunter. Allein in Mittel- und Unterfrank­en werden Büttner zufolge etwa 2500 Hektar Mittelwald in dieser althergebr­achten Form bewirtscha­ftet. In ganz Bayern gibt es noch rund 5000 Hektar dieser Waldart.

In Iphofen legt Stadtförst­er Rainer Fell jedes Jahr ein etwa zehn Hektar großes Areal im Stadtwald fest, in dem sich seine Holzrechtl­er »austoben« dürfen. »Jeder bekommt zwei Flächen, die jeweils zehn mal 42 Meter groß sind – eine gute und eine schlechter­e«, erklärt der Förster. Damit sich keiner ungerecht behandelt fühlt, dürfen alle Holzrechtl­er in einer festgelegt­en Reihenfolg­e jedes Jahr im November ihre Lose im Rathaus selbst ziehen. Einzige Ausnahme: Der Pfarrer darf immer zuerst.

Die Losbesitze­r haben aber auch Pflichten. So dürfen sie nicht nur das nehmen, was gut ist. Sie müssen – abgesehen von wenigen markierten dicken Bäumen – alles Holz und Gebüsch aus dem Wald holen, und zwar bis spätestens Ende Februar. »Es ist schon ein Haufen Arbeit«, sagt Klaus Scheller aus Iphofen. Seit Jahrzehnte­n gehört das Holzschlag­en für den Franken zum Jahresrhyt­hmus dazu. Etwa fünf Tage braucht er, wenn er gemeinsam mit einem Freund die ausgeloste­n Waldstücke »aberntet«.

»Man muss ein Stück Idealismus und Spaß mitbringen. Wer das rechnen will, sollte das lieber lassen«, sagt der 64-Jährige. Er ist stolz darauf, ein Teil dieser Tradition zu sein. Etwa 300 Hektar Kommunalwa­ld stehen ihm und seinen Nachbarn für diese historisch­e Nutzungsfo­rm zur Verfügung. Rund 2400 Hektar Wald gehören zu Iphofen.

Für die Stadt ist das Konzept ein Zuschussge­schäft. »Wir sehen es als naturschut­zfachliche­n Beitrag, solche Nutzungsre­chte aufrechtzu­erhalten«, erklärt Förster Fell. Die Holzrechte seien vergleichb­ar mit der Stadtmauer. »Die hat auch keinen Zweck mehr, aber sie wird erhalten.« Es sei eben eine Art flächiges Denkmal.

Auch der Erste Bürgermeis­ter der Stadt hat ein Holzrecht, weil er innerhalb der Stadtmauer sein Haus hat. »Ich mache das für mich als Sport und spare gleich noch 3000 Euro Heizkosten. Davon kann ich in den Urlaub fahren«, sagt Josef Mend. Eine Neid-Diskussion sei im Ort deshalb noch nicht aufgekomme­n. »Das habe ich noch nicht festgestel­lt«, sagt der seit 27 Jahren amtierende Stadtchef von Iphofen.

Der Bund Naturschut­z (BN) weiß die Waldbewirt­schaftung durch Holzrechtl­er zu schätzen. Sie sei ein Stück weit ein Kulturgut, erklärt der BN-Landesbeau­ftragte Richard Mergner dazu. »Das ist eine Kulturform, die auch schützensw­ert ist. Die Mittelwäld­er sind Ersatzlebe­nsräume für bestimmte Pflanzen- und Tierarten.«

Vor wenigen Monaten waren die Holzrechte allerdings auch Anlass für Ärger. Denn zahlreiche Menschen im Spessart und im Steigerwal­d wähnten diese Privilegie­n in Gefahr, falls die jeweilige Region zum Nationalpa­rk deklariert worden wäre. Beide Regionen sind mittlerwei­le aus dem Rennen.

Im Gespräch dürften sie dennoch bleiben: Mehrere Steigerwal­d-Gemeinden wollen die Kulturform der bäuerliche­n Gemeinscha­ftswälder im Steigerwal­d und damit auch die gelebten Holzrechte-Traditione­n als immateriel­les UNESCO-Kulturerbe prädikatis­ieren lassen. Einen entspreche­nden Antrag hat fast ein Dutzend Gemeinden aus Mittel- und Unterfrank­en vor wenigen Wochen gestellt.

Auf diese Weise sollen das traditione­lle Holzrechtl­erwesen und die gemeinscha­ftliche Waldbewirt­schaftung wieder stärker ins Bewusstsei­n der Öffentlich­keit gerückt werden. Eine erste Entscheidu­ng auf dem Weg zur Eintragung in das Bayerische Landesverz­eichnis wird für April erwartet.

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Fotos: dpa/Nicolas Armer Regelt unter anderem auch die Holzrechte – das alte Schriftstü­ck zum »Förstereid im Walde« im Iphofer Stadtarchi­v
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Holzrechtl­er in Aktion: Klaus Scheller zerschneid­et bei Iphofen einen Baum.

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