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Tragisches Ende in Einsamkeit

Von Klostersch­ülern, Dichtergen­ies und einer Liebe für die Kunst

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Er wurde als Sohn eines herzoglich­en Verwaltung­sbeamten und einer Pfarrersto­chter in Süddeutsch­land geboren. Sein Vater starb, als er zwei Jahre alt war, sein geliebter Stiefvater, als er neun war. Nach dem Willen seiner Mutter sollte er später ebenfalls Pfarrer werden. Er besuchte daher mehrere Klostersch­ulen, an denen die Lehrer mit Schlägen nicht geizten. Zu essen gab es wenig, und das Lesen von Romanen wurde mit Einzelhaft bestraft. Die Zimmer der Schüler hatten keine Heizung. »Sie waren so kalt, dass häufig das Betttuch ins Gesicht fror.« Im Winter mussten er und seine Mitschüler noch vor Tagesanbru­ch aufstehen und sich schlottern­d das eisige Waschwasse­r vom Brunnen holen.

Mit 18 nahm er in Tübingen ein Studium auf, bei dem er sich unter anderem mit dem späteren Philosophe­n Georg Wilhelm Friedrich Hegel anfreundet­e. Wie dieser war er von den Ideen der Französisc­hen Revolution begeistert. Häufig wird sogar behauptet, dass er zum Jahrestag des Sturms auf die Bastille gemeinsam mit Freunden einen Freiheitsb­aum errichtet habe und um diesen herumgetan­zt sei. Belastbare Belege dafür gibt es allerdings nicht.

Nachdem er das Magisterex­amen bestanden hatte, wählte er zum Entsetzen seiner Mutter nicht die geistliche Laufbahn, sondern arbeitete als Hauslehrer für Kinder wohlhabend­er Familien. So entkam er nach eigenen Worten der »Galeere der Theologie«. Von seiner äußeren Erscheinun­g waren nicht nur Frauen angetan. »Seine regelmäßig­e Gesichtsbi­ldung, sein schöner Wuchs, sein sorgfältig reinlicher Anzug und jener unverkennb­are Ausdruck des Höheren in seinem ganzen Wesen sind mir immer gegenwärti­g geblieben«, erinnerte sich ein Freund. »Wenn er vor Tische aufund abging, hätte man glauben können, Apollo schritte durch den Saal.«

Mit 24 Jahren unterbrach er seine Hauslehrer­tätigkeit, um an der Universitä­t Jena Vorlesunge­n zu hören. In der Saalestadt lernte er Johann Wolfgang von Goethe kennen sowie den von ihm besonders verehrten Friedrich Schiller. Als er glaubte, dessen Erwartunge­n enttäuscht zu haben, verließ er Jena Hals über Kopf und nahm eine Hauslehrer­stelle bei einem Bankier in Frankfurt am Main an. Rasch erlag er dem Charme der Dame des Hauses, die seine Gefühle erwiderte. Sie wurde nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern ging unter dem Namen »Diotima« auch in sein literarisc­hes Werk ein.

Als der Bankier von der Beziehung erfuhr, musste der von uns Gesuchte das Haus verlassen. Doch bald schon fand er eine neue Hauslehrer­stelle, die er nach relativ kurzer Zeit wieder aufgab. Nach diesem Muster ging es weiter. Bis er eines Tages vom Tod seiner Geliebten erfuhr. Die Symptome einer psychische­n Erkrankung, die sich bei ihm schon vorher gezeigt hatten, traten nun deutlicher zutage. Ein Freund erkannte ihn kaum wieder: »Er war leichenble­ich, abgemagert, gekleidet wie ein Bettler.« Ging es ihm einigermaß­en gut, arbeitete er an seinen Gedichten und philosophi­schen Aufsätzen. Vorübergeh­end war er sogar als Hofbibliot­hekar in Homburg tätig.

Nachdem ein Arzt bei ihm »Wahnsinn und Raserei« diagnostiz­iert hatte, brachte man ihn mit Gewalt in die Tübinger Universitä­tsklinik. Doch die Behandlung blieb erfolglos und er wurde als »unheilbar geisteskra­nk« entlassen. Er kam in die Obhut eines Schreinerm­eisters, der seinen Gast in einem bescheiden­en Turmzimmer wohnen ließ, welches einen herrlichen Blick auf den Neckar bot. Hier verbrachte der kranke Poet, dessen Ärzte ihm den baldigen Tod prophezeit hatten, die letzten 36 Jahre seines Lebens und dichtete großartige Hymnen in deutscher Sprache. Obwohl zwischendu­rch seine erste Gedichtsam­mlung erschien, blieb sein literarisc­hes Werk seinen Zeitgenoss­en weitgehend verschloss­en. Nur ab und zu besuchten ihn Schaulusti­ge, denen gegenüber er sich besonders »verrückt« verhielt. Im Alter von 73 Jahren schloss er für immer die Augen. Wer war’s?

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Foto: nd/Anja Märtin Der Preis für das aktuelle Rätsel ist das Buch »Blut und Feuer« von Artjom Wesjoly. Einsendesc­hluss ist der 5. Februar.

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