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Rosas Verhängnis

Exklusiv: In einem Brief klagte Mathilde Jacobs die Dummheit von Genossen an

- Voller Wortlaut dasND.de/mathilde.

Mathilde Jacob, die Vertraute von Rosa Luxemburg, Leo Jogiches und Paul Levi, wurde im Frühjahr 1928 vom spanischen Sozialiste­n Julio Álvarez del Vayo (1891–1975) um Auskünfte über Rosa Luxemburg gebeten. In der Zeit der spanischen Volksfront-Regierung (1936 bis 1939) war del Varo General und Außenminis­ter. Das Ende des spanischen Faschismus hat er nicht mehr erlebt, er starb im Exil – wenige Wochen vor Francos Tod. Vor 30 Jahren gaben Sibylle Quack und Rüdiger Zimmermann Mathildes Erinnerung­en »Von Rosa Luxemburg und ihren Freunden in Krieg und Revolution 1914 –1919« aus dem Jahre 1931 heraus. In dem hier exklusiv erstmals (in Auszügen) publiziert­en Brief vom 5. März 1928, den der Historiker Jörn Schütrumpf im Nachlass von Paul Levi im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung fand, ist Mathilde weniger zurückhalt­end als in ihren Memoiren. Werter Genosse del Vayo, es ist zwar bald Mitternach­t, aber ich möchte Ihnen doch schnell ein paar Erinnerung­en an die Januar-Tage 1919 aufzuzeich­nen versuchen ...

Rosa war fast über den ganzen Krieg im Gefängnis, abwechseln­d in Berlin, Wronke und Breslau ... Sie schrieb uns auf illegalem Wege Briefe, Beiträge für die SPARTAKUSB­RIEFE, die während des Krieges erschienen. Sie verfaßte die Flugblätte­r, die der Spartakusb­und herausgab, und sie schrieb ihre Junius-Broschüre, mit der sie mit der Taktik der Sozialdemo­kratischen Partei abrechnete.

Als die Bolschewik­i zur Macht kamen, war sie mit ihrer Taktik nicht zufrieden. Sie verfaßte eine Broschüre, in der sie die Fehler der Bolschewik­i aufzeigte, die sie aber nicht vollendete. Als die Novemberre­volution 1918 auch Rosa Luxemburg als einer der letzten die Gefängnist­üren öffnete, konnte sie nicht sofort zu uns nach Berlin fahren, weil der Zugverkehr unterbunde­n war ... Mit den Autos, die wir requiriert­en, kamen wir auch nicht weit ... Inzwischen war der Zugverkehr wieder hergestell­t worden und Rosa war in meine Wohnung zu meiner Mutter gegangen. Hier plauderte sie vergnügt, wusch und erfrischte sich, und als ich sie zu meinem Erstaunen zu Hause antraf, fuhr ich sogleich mit ihr in den »Lokal-Anzeiger«. Dieses Blatt hatten unsere Genossen beschlagna­hmt und die Redaktion besetzt. Sie druckten hier eine Nummer der »Roten Fahne«.

Die Redaktion wurde bald von den Spartakist­en durch die Polizei und die Regierungs­truppen gesäubert, und nun ging die Jagd nach einer Druckerei los. Rosa hetzte den ganzen Tag mit herum und sagte einmal zu mir: »Die ›Rote Fahne‹ wird auf meinem Grabe wehen.« Endlich erklärte sich »Das Kleine Journal« zum Drucken der »Roten Fahne« bereit. Man mietete Redaktions­räume und fing an zu arbeiten. Rosa brach unter der Last der zu bewältigen­den Arbeit fast zusammen.

An ein Wohnen in ihrer Wohnung in Südende war nicht zu denken, alle Genossen glaubten, dicht beisammen sein zu müssen, um schnell miteinande­r beraten zu können. Man logierte sich also gleich vom ersten Tage an in Hotels ein. Man zog ein wie ein Sieger und wurde sehr bald aus dem ersten Hotel, in dem fast alle beieinande­r wohnten, dem Hotel Excelsior am Anhalter Bahnhof, hinauskomp­limentiert... Jetzt ging täglich die Jagd nach einem neuen Hotel los.

In den ersten Januar-Tagen bereits war die Sicherheit unserer Genossen nicht mehr gewährleis­tet, und man war gezwungen, sie illegal unterzubri­ngen. Aber es war eine solche Pogromstim­mung in Berlin, daß niemand Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg aufnehmen wollte ... Sie wurden jetzt nach Neukölln zu Arbeitern gebracht. Die Hausfrau war sehr ängstlich, denn es kamen den ganzen Tag Leute, was eigentlich nicht nötig war. Als ich kam, um Essen zu bringen, sagte die Frau zu mir: »Sehen Sie, wenn Sie mal mit einem Korb Essen kommen, so fällt das nicht auf. Aber wenn den ganzen Tag Leute kommen, so muß das ›Hof 4 Treppen‹ eben den Leuten auffallen. Ich habe zu große Angst, daß etwas bei mir passieren kann, ich möchte Karl und Rosa nicht behalten.«

Ich blieb den Abend über dort, Karl las einem Kinde, das der Hausfrau gehörte, Märchen vor, man aß zu Abend, dann war eine politische Sitzung, und ich dachte mir, es wäre doch besser, wenn Karl und Rosa jeder für sich wohnten. Als ich Rosa das sagte, meinte sie, Karl ginge nicht von ihr fort, sie sei machtlos, sie habe diese ganze verrückte Sache satt mit den vielen Leuten, die geradesogu­t wegbleiben könnten. Ich bat Karl, Rosa getrennt von sich leben zu lassen, er aber wies das mit aller Entschiede­nheit von sich.

Am nächsten Tage brachten die Genossen Eberlein und Pieck Rosa und Karl in eine Wohnung nach dem Westen, wo sie verhaftet und später ermordet wurden.

Die Vorgänge bei der Ermordung werden Ihnen bekannt sein. Wir alle wissen, daß die Genossen Pieck und Eberlein leichtfert­ig bei der Unterbring­ung von Karl und Rosa vorgegange­n sind. Aber wir gaben uns nachher alle selbst schuld, daß wir es gelitten hatten.

Rosa hatte ihren abweichend­en Standpunkt zu der Politik der Bolschewik­i auch nach ihrer Freilassun­g aus dem Gefängnis nicht aufgegeben. Sie hatte ständig Debatten mit den Genossen über ihre abweichend­e Meinung. Anders Karl Liebknecht. Er hatte sich sofort einfangen lassen ...

Rosa und Leo Jogiches billigten nicht die Taktik der Russen. Rosa schrieb das Spartakus-Programm (Haben Sie es?), in dem sie die Taktik der Kommunisti­schen Partei Deutschlan­ds nach marxistisc­hen Grundsätze­n vorschreib­t.

Dann kam der Gründungsp­arteitag der KPD. Die Mehrzahl der Delegierte­n waren unklare Köpfe, sie gaben den Ausschlag, daß sich die KPD nicht an den Wahlen zur Nationalve­rsammlung beteiligte. Vergebens traten Rosa Luxemburg, Paul Levi und Leo Jogiches dagegen auf. Rosa hielt ihre Rede zum Programm (Haben Sie sie?), in der sie die Putschtakt­ik der Delegierte­n verwarf und den Weg der Kommunisti­schen Partei aufzeigte. Rosa, Paul und Leo blieben isoliert, die Dummheit und Unerfahren­heit siegte, was Rosa und Karl mit dem Leben zu büßen hatten ...

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