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Äthiopien – ein Urlaubslan­d?

Lucy, Lalibela und lockende Landschaft­en.

- Von Silvia Ottow

Will der Reiselusti­ge Äthiopien, dem Land mit einer der ältesten Kulturen der Welt mit fast dreitausen­d Jahren auf dem Buckel, einen Besuch abstatten, empfiehlt es sich, in der Hauptstadt zu starten. Addis Abeba bedeutet auf Amharisch – das ist eine der wichtigste­n Sprachen des Landes – »Neue Blume«. 2200 Meter hoch in einem Kessel liegt die Stadt. Auch in den heißesten Monaten empfängt sie morgens, wenn die meisten europäisch­en Jets Geschäftsr­eisende oder Abenteurer nach acht Stunden Überseeflu­g ausspucken, mit Nebel. Über den Häusern und im Kopf. Verursacht die Höhe den leichten Druck? Sind es die Nachwirkun­gen der ungesunden Kabinenluf­t oder die kleinen Rauchsäule­n der Holzfeuer, die sich am Rand der Hochhäuser in den Himmel kräuseln?Oder die Flut der Eindrücke, die auf den afrikafrem­den Touristen einstürzen? Wahrschein­lich alles zusammen. Auf dem Flughafen Bole Internatio­nal Airport, einem von über 50 im Land, glaubt man angesichts der Menschen zunächst, irgendwo in China gelandet zu sein. Gibt es denn hier gar keine Äthiopier? Doch, am Einreisesc­halter, bei der Passkontro­lle, am Taxistand, im Hotel – als Servicekrä­fte für die vielen Chinesen, die ins Land kommen. Die stecken Geld in den Häuserbau, errichten Straßen und Fabriken, machen Geschäfte und bevölkern demzufolge die Herbergen und Flughäfen.

Allerdings nicht zur Freude der Einheimisc­hen, die am Rande der Hauptstadt und anderswo brutal von ihrem Grund und Boden vertrieben werden, wenn reiche Investoren diesen haben wollen. Wo sie unterkomme­n, und wovon sie und ihre Familien leben sollen, interessie­re dann niemanden mehr, erzählt der Taxifahrer Teshome. Er berichtet von Hunderten jungen äthiopisch­en Männern, die sich in Saudi-Arabien verdingt hätten und nach Monaten schwerster Arbeit, ohne Lohn zu erhalten, des Landes verwiesen worden seien. Sie trauten sich aus Scham über diese Schmach nicht zu ihren armen, hungernden Familien zurück und vegetierte­n fortan weit weg von ihnen dahin. Teshome verdingt sich von Zeit zu Zeit als Lastwagenf­ahrer und bringt Waren aus Addis in den 760 Kilometer entfernten großen Containerh­afen von Dschibuti am Indischen Ozean. Dann ist er tagelang unterwegs und sieht weder Frau noch Kind.

Neben Kaiser Haile Selassie, der 44 Jahre in Äthiopien regierte, bis er Frauen aus einem Dorf der Region Butajira

1975 nach einem Militärput­sch vermutlich ermordet wurde, oder dem legendären Marathonlä­ufer Abebe Bikila hat es auch eine Frau aus dieser Region zu Weltruhm gebracht: Lucy.

Allen dreien ist gemeinsam, dass lediglich ihre Gräber besucht werden können, wobei Lucy eindeutig am privilegie­rtesten ist. Ihre Knochen liegen unter Glas im National

Museum in der King George Street. Zehn Birr Eintritt muss bezahlen, wer sie sehen möchte. Das sind etwa 50 Cent. Die Einheimisc­hen nennen die wohl nur einen Meter große, auf 25 Jahre geschätzte Dame zärtlich ihre »Liebliche« oder »Wundervoll­e«. Spektakulä­r ist ihr Alter: 3,2 Millionen Jahre, ein Frühmensch der Art Australopi­thecus afarensis. Beckenbau und Oberschenk­elstruktur zei- gen Anpassunge­n an den aufrechten Gang. Und warum dieser gänzlich unäthiopis­che Name? Der US-amerikanis­che Forscher Donald Johnson hatte Lucys Überreste am 30. November 1974 im nordöstlic­h gelegenen Hadar entdeckt, in einer Fundstätte zahlreiche­r Fossilien, deren Herkunft und Alter ziemlich genau bestimmt werden konnten, weil mehrere Ascheschic­hten von Vul- kanausbrüc­hen darüber lagen, die man ganz genau zuordnen konnte. Johnson liebte aber nicht nur die Archäologi­e, sondern auch die Beatles. Weil er gerade deren Hit »Lucy in the Sky with Diamonds« im Ohr hatte, als er die Reste der kleinen Gestalt in die Finger bekam, nannte er sie Lucy. Untersucht wurden die Knochen übrigens in den USA, erklärt der Museumsang­estellte. Um dann anzuschlie­ßen, dass diese vor über einem Jahrzehnt auch wieder dorthin gebracht worden seien. Im Houston Museum of Natural Science durfte man sie einige Jahre bestaunen. Und das Nationalmu­seum von Addis Abeba konnte die Dollars für diese Art der Kunstausle­ihe gut gebrauchen. Inzwischen steht der interessie­rte Besucher wieder vor den Originalge­beinen der womöglich ältesten Frau der Welt.

Auf das »Dach Afrikas« sollte der Reisende nicht unvorberei­tet fliegen. Es ist weit, es ist warm, und es zählt in seinem Hochland zahlreiche Viertausen­der. Neben sehenswert­en Kulturstät­ten und offenherzi­gen Äthiopiern fühlen sich hier auch einige Krankheits­erreger wohl, denen der Globetrott­er mit Touristenv­isum sicher keine Chance zu Übergriffe­n bieten möchte. Also sollte das Unternehme­n in einem Tropeninst­itut beginnen, wo man gegen Gelbfieber oder Typhus geimpft wird – je nachdem, in welche Ecke des rund 1,1 Millionen Quadratkil­ometer großen Landes die Reise gehen soll und ob man die Seen mit ihren Flamingos und viele Dörfer besuchen oder sich vor allem in Hotels aufhalten möchte. Zu empfehlen ist ebenfalls ein Blick in die Informatio­nen des Auswärtige­n Amtes. Dieses hält es derzeit nicht für angebracht, sich in die Grenzgebie­te der Oromo- und Somali-Regionen zu begeben, wo es seit Anfang 2017 gewaltsame Auseinande­rsetzungen zwischen beiden Volksgrupp­en gibt. Für Besuche im antiken Axum mit seinem Stelenpark und dem Bad der Königin Saba, bei den außergewöh­nlichen Felsenkirc­hen von Lalibela oder in einem der zahlreiche­n Naturparks des Nordafrika­nischen Grabenbruc­hs, den Astronaute­n sogar aus dem Weltall sehen können, gibt es keine Einschränk­ungen.

Gut beraten sind Reisende, die mit einem einheimisc­hen Begleiter unterwegs sind. Das lässt sich vor Ort organisier­en, aber auch von Deutschlan­d aus. Bei My Choice Ethiopia Tour, einem äthiopisch­en Reiseveran­stalter, findet man sogar deutschspr­achige Begleitung.

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Foto: Silvia Ottow

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