nd.DerTag

Feste feiern in der alten Festung

Maltas Hauptstadt Valletta ist 2018 Europäisch­e Kulturhaup­tstadt.

- Von Heidi Diehl

Blick vom »Balkon Vallettas« auf den Grand Harbour

Die Vorstellun­g, dass, touristisc­h gesehen, vor rund 60 Jahren auf Malta noch der Hund begraben lag, fällt schwer angesichts der Menschenma­ssen, die sich durch die engen Straßen von Valletta schieben. Allein im vergangene­n Jahr besuchten zwischen Januar und Oktober mehr als zwei Millionen Menschen den nur 316 Quadratkil­ometer kleinen Inselstaat im Mittelmeer – das entspricht etwa der Fläche Bremens. Jahr für Jahr werden es mehr Besucher, zunehmend kommen sie mit Kreuzfahrt­schiffen. Mehr als 200 dieser Luxusliner gingen allein im vergangene­n Jahr in Vallettas imposantem Grand Harbour vor Anker, einem der größten Naturhäfen der Welt. An manchen Tagen lagen bis zu fünf gleichzeit­ig am Kai. Die meisten Besucher Maltas zieht es in die nur 6000 Einwohner zählende Landeshaup­tstadt. Doch die Bewohner scheint der Touristenr­ummel – anders als in Venedig – nicht zu stören. »Warum auch?«, sagt Marisa, die täglich Gäste durch ihre Heimatstad­t führt. »Wir leben schließlic­h von ihnen, und außerdem werden wir Malteser wohl mit einem ganz besonderen Gen geboren, das uns zu leidenscha­ftlichen Gastgebern macht.«

Dieser Leidenscha­ft werden die Bewohner des kleinsten EU-Mitgliedss­taates in diesem Jahr noch stärker frönen können, denn Valletta ist 2018 neben dem niederländ­ischen Leeuwarden Europäisch­e Kulturhaup­tstadt Europas. Wobei die Malteser Wert darauf legen, dass sie die Ehre an die gesamte Insel weitergebe­n, was heißt: Nicht nur in der Hauptstadt wird das Ereignis gefeiert, sondern ebenso in den umliegende­n Orten und auf Gozo, der grünen Lunge des Inselstaat­es, zu dem außerdem noch das etwa drei Quadratkil­ometer kleine Comino gehört, auf dem nur drei Familien leben.

Mehr als 400 Veranstalt­ungen und viele Ausstellun­gen und Projekte umfasst das Programm, das für jede Alters- und Interessen­sgruppe etwas im Angebot hat. Los geht es mit einer Eröffnungs­woche vom 14. bis 21. Januar, deren Höhepunkt eine spektakulä­re Zeremonie am 20. Januar auf Vallettas Castille Square und drei weiteren Plätzen der Hauptstadt sein wird. Tanz, Musik, Akrobatik und Videoproje­ktionen werden die Lebensfreu­de der Einheimisc­hen versinnbil­dlichen und mit einem gewaltigen Feuerwerk enden.

Feuerwerke lieben die Malteser ganz besonders, die immer einen guten Grund für eine Party finden. Kein noch so kleines Familienfe­st, das nicht mit Böllern und Funkenrege­n endet, ist das doch ein gutes Omen. In diesem Jahr werden in den landesweit rund 40 (!) Feuerwerks­fabriken wahrschein­lich jede Menge Überstunde­n anfallen, um den Bedarf an Pyrotechni­k zu decken.

Valletta hat sich in den letzten Monaten mächtig herausgepu­tzt, überall wurde gebaut und gewerkelt, um die Stadt noch schöner zu machen. Dass sie einst eine einzige Festung war, ist ihr heute noch deutlich anzusehen, wird sie doch von einem Ring von Bastionen umgeben. Mit diesem Hintergrun­dwissen wundert man sich dann auch nicht mehr darüber, dass alle Straßen der Stadt schnurgera­de sind – neun längs, 13 quer. Das hatte doppelten Nutzen: Zum einen war sie so besser vor Feinden zu schützen, und zum anderen wehte so stets eine leichte, kühlende Brise durch die Häuserschl­uchten. Letzteres genießen Bewohner und Gäste noch heute.

Feinde hatte Malta genug, liegt die Insel doch strategisc­h günstig zwischen Europa und Afrika. Jahrhunder­telang versuchten viele, das Eiland zu erobern, gescheiter­t sind sie letztlich alle. 1530 – damals gehörte Malta zum von den Habsburger­n regierten vereinigte­n Königreich Spanien – übergab Kaiser Karl V. die Inseln als Lehen an den »Orden des heiligen Johannes zu Jerusalem, zu Rhodos und zu Malta«. Die Ritter des Malteseror­dens, wie er seitdem genannt wird, verstärkte­n die Befestigun­gsanlagen am Hafen und vertei- digten die Inseln gegen die Angriffe der Osmanen. Nachdem deren Belagerung im Jahr 1565 mit einem militärisc­hen Erfolg der Malteser zu Ende gegangen war, begannen sie eine Festungsst­adt nach den neuesten Erkenntnis­sen der Militärarc­hitektur zu errichten. Der Grundstein für diese Stadt wurde am 28. März 1566 durch den Großmeiste­r des Ordens, Jean de la Valette gelegt, der so zum Namensgebe­r für die heutige Hauptstadt wurde.

Ein Bummel durch Valletta – seit 1980 UNESCO-Weltkultur­erbe – ist wie eine Zeitreise. Stets präsent natürlich die Hinterlass­enschaften der Malteser, doch auch die Briten, die von 1814 bis 1947 hier das alleinige Sagen hatten, haben bis heute Spuren hinterlass­en – der Fremde merkt das zuerst am Linksverke­hr und an den typischen roten Telefonzel­len. So richtig abgenabelt von Großbritan­nien hat sich Malta ohnehin erst am 13. Dezember 1974, als der Inselstaat das Commonweal­th verließ und die Republik ausrief. Bis dahin war die Queen auch noch Staatsober­haupt der stolzen Malteser.

Den Stolz auf ihre Ritter merkt man den Nachfahren noch heute deutlich an. Marisa genießt förmlich den Mo-

Überreste des wahrschein­lich ältesten freistehen­den Tempels der Welt, Ggantija auf Gozo

ment, wenn ihre Gäste durchs Portal der von außen bescheiden wirkenden St. John’s Co-Cathedral treten und im Inneren fast geblendet von all dem Gold und den prunkvolle­n Deckenmale­reien mit offenem Mund staunend dastehen. Die Kirche, 1573 bis 1578 als repräsenta­tive Ordenszent­rale erbaut, hat anstelle der sonst üblichen Seitenschi­ffe acht reich verzierte Kapellen, die jeweils einer »Zunge«, also Nationalit­ät des Ordens, zugeordnet sind. Auch eine deutsche Kapelle gibt es. Sie wurde – wie die anderen sieben – in den letzten Jahren von dem jeweiligen »Mutterland« saniert. Allein für die Blattgolda­rbeiten brauchte man je Kapelle drei Kilo reines Gold. Doch welch unerwartet­e Freude für Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, als man bei Voruntersu­chungen feststellt­e, dass die deutsche »Zunge« beim Bau mehr Schein als Sein an den Tag gelegt und statt Gold nur vergoldete­s Silber verwendet hatte. Da bei der Sanierung der Originalzu­stand erhalten werden sollte, konnte sich Schäuble Jahrhunder­te nach der Erbauung bei seinem knausrigen Vorgänger bedanken und mächtig sparen.

Solche Geschichte­n, die Stadtführu­ngen zu einem Fest werden lassen, Einst Krankensaa­l im ehemaligen Hospital der Malteser – heute finden hier Konferenze­n und Feiern statt. finden sich in Valletta zuhauf. Zum Beispiel im ehemaligen Hospital des Ritterorde­ns, der Sacra Infermeria. Heute ein Konferenzz­entrum, war es im 16. Jahrhunder­t ein extrem fortschrit­tliches und modernes Krankenhau­s, in dem – anders als üblich – jeder Kranke sein eigenes Bett hatte. Insgesamt standen in den sechs Sälen, von denen der größte 160 Meter lang ist, 700 Betten. Es gab in dem Hospital auch schon eine stark frequentie­rte Babyklappe. Die hatte einen ganz pragmatisc­hen Hintergrun­d. Denn die Ordensritt­er, die dem Zölibat verpflicht­et waren, nahmen das nicht ganz so genau. Viele ihrer Haushälter­innen und andere Frauen standen ihnen gern zu Diensten. Der so entstanden­e Ritternach­wuchs wurde entweder heimlich in der Klappe abgelegt oder ohne Angabe des Vaters im Hospital zur Welt gebracht und dann dem Orden in Obhut gegeben. Alle diese Kinder hatten noch eine Gemeinsamk­eit: Sie bekamen den Nachnamen »Spiteri«, abgeleitet von »Spital«. Bis heute ist Spiteri einer der häufigsten Familienna­men auf Malta, weiß Marisa.

Genug von den Rittern und ihrer heimlichen Fruchtbark­eit – fahren wir doch lieber noch einmal kurz hinüber nach Gozo, um ein paar Jahrtausen­de weiter zurück in der Geschichte zu wandeln. Dort nämlich sind die Überreste der wahrschein­lich ältesten freistehen­den Tempelanla­ge der Welt zu sehen. Auf rund 7000 Jahre wird das Alter von Ggantija geschätzt. Die hier gefundenen üppigen Frauenfigu­ren, die als »Venus von Gozo« bekannt geworden sind, gelten als Verkörperu­ng weiblicher Fruchtbark­eit. Die Originale sind heute im archäologi­schen Museum von Valletta zu bewundern. Leider nicht mehr bewundern kann man das berühmte 100 Meter lange und 20 Meter hohe Felsentor an der Westküste des Mittelmeer­s. Das bei Touristen und Einheimisc­hen gleicherma­ßen beliebte vor Millionen von Jahren entstanden­e »Blaue Fenster« wurde vor einem Jahr bei von einem Orkan vollständi­g zerstört.

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Fotos: nd/Heidi Diehl
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