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Italien vor der Wahl

Wenige Wochen vor dem Urnengang herrschen Frust und Skepsis.

- Von Anna Maldini, Rom

Am 4. März wird in Italien gewählt. In den Umfragen liegt derzeit die populistis­che FünfSterne-Bewegung vorne. Die Regierungs­bildung dürfte komplizier­t werden, befürchten Experten. Und dann wartet da noch ein alter Bekannter, der aber selbst nicht gewählt werden darf ...

Die Krise sei vorbei, Italien gehe es so gut wie lange nicht mehr, verkünden Vertreter der Regierungs­parteien. Ein genauerer Blick offenbart: Ganz so einfach ist es nicht.

In knapp drei Monaten – am 4. März – wird in Italien gewählt. Staatspräs­ident Sergio Mattarella hat mit Zustimmung aller Parteien das Parlament wenige Wochen vor dem eigentlich­en Termin aufgelöst, weil die verbleiben­de Zeit sowieso nicht ausgereich­t hätte, um wichtige neue Projekte in Angriff zu nehmen.

»Die Krise ist vorbei, Italien geht es so gut wie lange nicht mehr.« Diesen Satz beten Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni und die Vertreter der Regierungs­parteien, allen voran der Vorsitzend­e der Demokratis­chen Partei, Matteo Renzi, wie eine Art Mantra herunter. Allerdings sehen das viele Italiener offenbar ganz anders. »Das Land ist verunsiche­rt und traurig und hat seine Lebenslust weitgehend verloren«, urteilte vor wenigen Monaten ein Sozialfors­chungsinst­itut, das regelmäßig die allgemeine Gefühlslag­e im Mittelmeer­land untersucht.

Wovor haben die Italiener Angst? An erster Stelle stehen mit weitem Abstand die Wirtschaft­slage und die Arbeitslos­igkeit. Es folgen Korruption und Niedergang der politische­n Kultur; dann gleichauf Kriminalit­ät und Migranten und weit abgeschlag­en der internatio­nale Terrorismu­s. Auf internatio­naler Ebene fürchtet man den amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump weit mehr als Sy- riens Führer Assad oder den Koreaner Kim Jong-Un.

Beginnen wir mit der Arbeitslos­igkeit. Laut dem nationalen statistisc­hen Amt ISTAT liegt die heute bei etwa 11,5 Prozent und sinkt damit gegenüber den vergangene­n Jahren. Die Jugendarbe­itslosigke­it sinkt ebenfalls, liegt aber weiterhin bei 40 Prozent. Es steigt hingegen die Anzahl der Jugendlich­en, die weder Arbeit haben noch welche suchen und auch keine Ausbildung machen. Gleichzeit­ig steigt aber auch die Zahl der Beschäftig­ten. Dieser scheinbare Widerspruc­h hängt mit der Reform des Arbeitsmar­kts zusammen, eine der ersten »großen Reformen«, die der damalige Ministerpr­äsident Matteo Renzi 2014 mit großem Tamtam angekündig­t hatte. Ganz kurz zusammenge­fasst sieht diese eine radikale Beschneidu­ng des Kündigungs­schutzes vor und gleichzeit­ig kurzfristi­ge Steuerverg­ünstigunge­n für Betriebe, die neue Arbeitnehm­er fest einstellen. Nach drei Jahren laufen diese jetzt wieder aus und aus den Vollzeitbe­schäftigte­n wird – im besten Fall – wieder Prekariat. Da man aber nur wenige Wochen im Jahr gearbeitet haben muss, um in den Statistike­n als »beschäftig­t« zu gelten, ist der scheinbare Widerspruc­h leicht erklärt.

Dazu kommen die sozial verheerend­en Auswirkung­en der berüchtigt­en Rentenrefo­rm, die 2011 mit Zustimmung aller großen Parteien von der »technische­n Regierung« des ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti beschlosse­n wurde, auch um den drohenden Bankrott des Landes zu verhindern. Die damalige Sozialmini­ste- rin Elsa Fornero, die dem Gesetz ihren Namen gegeben hat, ist immer noch einer der meistgehas­sten Menschen in Italien. Durch diese Reform wurde das Rentenalte­r von einem Tag auf den anderen um mindestens drei Jahre hochgesetz­t. Hinzu kommt, dass etwa 500 000 Menschen (möglicherw­eise liegt die Zahl sehr viel höher) aufgrund des komplexen Mechanismu­s des Gesetzes plötzlich weder eine bezahlte Arbeit noch Anrecht auf die Rente hatten. In erster Linie sind das Arbeitnehm­er, die mit ihrem Arbeitgebe­r bereits ein Abkommen für einen sogenannte­n »weichen Ausstieg« aus dem Berufslebe­n beschlosse­n hatten, das dann aber hinfällig geworden ist.

Vielleicht ist die Anzahl der Betroffene­n nicht besonders hoch, für die Italiener aber bedeutete dies eine Art sozialen Schock, so als seien alle Gewissheit­en plötzlich ausgelösch­t, egal ob man selbst betroffen ist oder nicht. Allgemein ist das Rentennive­au im Mittelmeer­land besonders niedrig: Etwa die Hälfte aller Rentner erhält unter 500 Euro pro Monat. Eine weitere benachteil­igte Gruppe ist die der Frauen – nur 47 Prozent der italienisc­hen Frauen haben einen bezahlten Arbeitspla­tz (in Deutschlan­d sind es über 70 Prozent). Dafür ist die Anzahl der Frauen, die schwarz arbeiten, besonders hoch.

Ein weiterer wichtiger Punkt, um die allgemeine soziale Lage Italiens korrekt einzuschät­zen, ist die stetig sinkende Zahl der Universitä­tsabsolven­ten. Das Land gehört auch in diesem Bereich zu den schlechtes­ten in Europa. Hinzu kommt, dass viele jun- ge Menschen – und gerade diejenigen, die die Uni mit guten Ergebnisse­n abgeschlos­sen haben – in Italien keine Arbeit finden, das Land deshalb verlassen und auswandern. Für Italien ist das doppelt tragisch, da man so die klügsten Köpfe verliert, aber anderersei­ts viel Geld dafür ausgegeben hat, um sie so weit zu bringen. Die Bezahlung von Akademiker­n im öffentlich­en Dienst (egal ob Professore­n oder Lehrer) liegt ebenfalls am unteren Rand in Europa.

Ähnliche Aussagen kann man für viele Bereiche des öffentlich­en Lebens treffen. Italien gibt wenig Geld für Kultur aus, obwohl das Land weltweit das mit den meisten Kulturschä­tzen ist; die Schulen sind meist nicht erdbebensi­cher, obwohl das Land stark erdbebenge­fährdet ist – und so weiter und so fort. Aber es gibt auch Bereiche, in denen Italien in Europa führend ist: So im Gesundheit­ssystem, das aus Steuergeld­ern finanziert wird und weltweit als vorbildlic­h gilt. Doch auch hier sind die Italiener verunsiche­rt und davon überzeugt, dass das Gesundheit­swesen schlecht funktionie­re und ungerecht sei.

Das absolute Feindbild der Frauen und Männer im Mittelmeer­land sind die Politiker beziehungs­weise das, was »die Kaste« genannt wird. Man traut ihnen nicht, hält sie für korrupt und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. So wundert es auch nicht, dass die Wahlbeteil­igung in Italien, die einst hoch war, in den letzten Jahren immer weiter gesunken ist. Bei den letzten Regionalwa­hlen in Sizilien gaben nur knapp 47 Prozent der Wahlberech­tigten ihren Stimmzette­l ab.

Die Rentenrefo­rm von 2011 bedeutete eine Art sozialen Schock, so als seien alle Gewissheit­en plötzlich ausgelösch­t, egal ob man selbst betroffen ist oder nicht.

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Grafik: Fotolia/Humdan Maseng
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Foto: imago/Pacific Press Agency/Daniela Parra Saiani Werden die Wahlen einen Neustart für Italien bringen? Im Moment schwer vorstellba­r

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