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Netanjahu unter Druck

Der Protest wächst – wie korrupt ist Israels Regierungs­chef?

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Die Korruption­sermittlun­gen gegen Israels Regierungs­chef Netanjahu stehen kurz vor dem Abschluss. Für viele Israelis ist der Fall aber schon geklärt: Immer wieder demonstrie­ren Tausende gegen den Premier.

Dieses Mal sind nur wenige gekommen. Ein paar Hundert Menschen haben sich am Samstagabe­nd im Zentrum von Tel Aviv versammelt, mit Fahnen und selbst gemachten Plakaten. »Schande«, rufen sie, während der Nieselrege­n über die Plakate tropft: »Korrupte Schweine sind nicht koscher«, heißt es, und »Netanjahu nach Ma‘assijahu«. So heißt ein Gefängnis im Süden des Landes. »Ich bin ganz froh, dass es heute etwas entspannte­r ist«, sagt einer der Polizisten, die die Demonstrat­ion absichern. Denn seit Anfang Dezember kommen fast wöchentlic­h Tausende zusammen, um gegen Korruption im Allgemeine­n,und gegen Regierungs­chef Benjamin Netanjahu im Besonderen zu demonstrie­ren. Nur einmal hat es im protestfre­udigen Israel so viele Demonstrat­ionen innerhalb so kurzer Zeit gegeben, und zwar bei den Sozialprot­esten 2012.

»Uns war damals sehr viel versproche­n worden«, sagt die 27-jährige Avivit Cohen, die zusammen mit ihrer Mutter zur Demonstrat­ion gekommen ist: »Doch passiert ist nichts: Es gibt immer noch keinen bezahlbare­n Wohnraum, die Lebenshalt­ungskosten sind immer noch enorm hoch.« Stattdesse­n müsse man mit ansehen, wie der Regierungs­chef und seine Familie ein Leben in Saus und Braus führen, ein Leben, da ist sich ein Großteil der israelisch­en Öffentlich­keit sicher, das mit kleinen und großen Gefälligke­iten finanziert wird.

Sicher ist im Moment, dass Netanjahu von Milliardär­en Champagner, Schmuck, Zigarren und teure Mäntel erhalten hat. Ob es dafür politische Gefälligke­iten gab, ist Gegenstand von sehr umfangreic­hen Ermittlung­en. In einem anderen Fall soll Netanjahu versucht haben, Arnon Moses, den Verleger der größten Tageszeitu­ng »Jedioth Ahronoth« zu einer positivere­n Berichters­tattung zu bewegen. Sein Angebot: Die Auflage der Gratiszeit­ung »Israel HaJom«, deren Ei- gentümer dem Freundeskr­eis Netanjahus zuzurechne­n sind, werde begrenzt. Ein Vertrauter des Regierungs­chefs soll überdies Schmiergel­der für den Kauf von deutschen UBooten kassiert haben; Hersteller Thyssen Krupp ist nicht Gegenstand von Ermittlung­en.

In den kommenden Wochen wollen Polizei und Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en abschließe­n. Und schon jetzt bereitet man sich im Team Ne- tanjahu auf diesen Tag vor. Hatte man noch vor Monaten Zuversicht verbreitet, spricht der Premier, dessen Likud bei der letzten Wahl 23,4 Prozent der Wählerstim­men erhielt, heute von einem »Putsch«, einem »Angriff der Linken auf die Demokratie«, und versucht nach Leibeskräf­ten, Ermittler und Staatsanwä­lte zu diskrediti­eren. Dass fast das gesamte Führungspe­rsonal der beiden Behörden von ihm vorgeschla­gen worden war, fällt dabei unter den Tisch.

Gleichzeit­ig versucht Netanjahu, sich der Rechten als alternativ­los zu verkaufen. Massiv treibt er den Siedlungsb­au voran, erfüllt auch sonst so gut wie alle Forderunge­n seiner Koalitions­partner. »Mein Eindruck ist, dass er momentan alles tut, um an der Macht zu bleiben«, sagt Zehawa GalOn von der linksliber­alen Meretz-Partei. Dafür nehme er auch eine Eskalation im Konflikt mit den Palästinen­sern in Kauf, und dass es auf absehbare Zeit keine Perspektiv­e für eine Einigung mehr geben könnte. »Wir schreiben Geschichte«, sagt Netanjahu dazu.

Und tatsächlic­h stützen ihn die rechten Koalitions­partner und deren Wählerscha­ft, zumindest im Moment. Denn man ist sich bewusst: Sollte Netanjahu stürzen, würde man auch selbst ins Hintertref­fen geraten. Denn einen massentaug­lichen Kandidaten hat keine der rechten Parteien; der aussichtsr­eichste Anwärter auf die Netanjahu-Nachfolge ist der ehemalige Journalist Ja‘ir Lapid von der zentristis­chen Zukunftspa­rtei.

Doch mittlerwei­le bröckelt auch die Unterstütz­ung der Rechten. In der Vorwoche tauchte ein Tonmitschn­itt auf, auf dem Netanjahu-Sohn Ja‘ir mit Ausgaben für Prostituie­rte und Stripperin­nen angibt und einem Begleiter, dessen Vater Nutznießer eines umstritten­en Gas-Deals ist, sagt: »Mein Vater hat Deinem Vater einen süßen Deal verschafft.« Schon seit Längerem wird auch in Netanjahus Likud kritisiert, dass der Sohn bei Staatsempf­ängen mit am Tisch sitzt und ständig von staatliche­n Personensc­hützern bewacht wird, obwohl die Sicherheit­sdienste keine Notwendigk­eit dafür sehen. Vor allem die Siedlerpar­tei Jüdisches Heim hat ihre Netanjahu-Kontakte nun auf ein Minimum zurück gefahren.

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Foto: AFP/Jack Guez Demonstrat­ion gegen Korruption in Tel Aviv im Dezember 2017

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