Netanjahu unter Druck
Der Protest wächst – wie korrupt ist Israels Regierungschef?
Die Korruptionsermittlungen gegen Israels Regierungschef Netanjahu stehen kurz vor dem Abschluss. Für viele Israelis ist der Fall aber schon geklärt: Immer wieder demonstrieren Tausende gegen den Premier.
Dieses Mal sind nur wenige gekommen. Ein paar Hundert Menschen haben sich am Samstagabend im Zentrum von Tel Aviv versammelt, mit Fahnen und selbst gemachten Plakaten. »Schande«, rufen sie, während der Nieselregen über die Plakate tropft: »Korrupte Schweine sind nicht koscher«, heißt es, und »Netanjahu nach Ma‘assijahu«. So heißt ein Gefängnis im Süden des Landes. »Ich bin ganz froh, dass es heute etwas entspannter ist«, sagt einer der Polizisten, die die Demonstration absichern. Denn seit Anfang Dezember kommen fast wöchentlich Tausende zusammen, um gegen Korruption im Allgemeinen,und gegen Regierungschef Benjamin Netanjahu im Besonderen zu demonstrieren. Nur einmal hat es im protestfreudigen Israel so viele Demonstrationen innerhalb so kurzer Zeit gegeben, und zwar bei den Sozialprotesten 2012.
»Uns war damals sehr viel versprochen worden«, sagt die 27-jährige Avivit Cohen, die zusammen mit ihrer Mutter zur Demonstration gekommen ist: »Doch passiert ist nichts: Es gibt immer noch keinen bezahlbaren Wohnraum, die Lebenshaltungskosten sind immer noch enorm hoch.« Stattdessen müsse man mit ansehen, wie der Regierungschef und seine Familie ein Leben in Saus und Braus führen, ein Leben, da ist sich ein Großteil der israelischen Öffentlichkeit sicher, das mit kleinen und großen Gefälligkeiten finanziert wird.
Sicher ist im Moment, dass Netanjahu von Milliardären Champagner, Schmuck, Zigarren und teure Mäntel erhalten hat. Ob es dafür politische Gefälligkeiten gab, ist Gegenstand von sehr umfangreichen Ermittlungen. In einem anderen Fall soll Netanjahu versucht haben, Arnon Moses, den Verleger der größten Tageszeitung »Jedioth Ahronoth« zu einer positiveren Berichterstattung zu bewegen. Sein Angebot: Die Auflage der Gratiszeitung »Israel HaJom«, deren Ei- gentümer dem Freundeskreis Netanjahus zuzurechnen sind, werde begrenzt. Ein Vertrauter des Regierungschefs soll überdies Schmiergelder für den Kauf von deutschen UBooten kassiert haben; Hersteller Thyssen Krupp ist nicht Gegenstand von Ermittlungen.
In den kommenden Wochen wollen Polizei und Staatsanwaltschaft die Ermittlungen abschließen. Und schon jetzt bereitet man sich im Team Ne- tanjahu auf diesen Tag vor. Hatte man noch vor Monaten Zuversicht verbreitet, spricht der Premier, dessen Likud bei der letzten Wahl 23,4 Prozent der Wählerstimmen erhielt, heute von einem »Putsch«, einem »Angriff der Linken auf die Demokratie«, und versucht nach Leibeskräften, Ermittler und Staatsanwälte zu diskreditieren. Dass fast das gesamte Führungspersonal der beiden Behörden von ihm vorgeschlagen worden war, fällt dabei unter den Tisch.
Gleichzeitig versucht Netanjahu, sich der Rechten als alternativlos zu verkaufen. Massiv treibt er den Siedlungsbau voran, erfüllt auch sonst so gut wie alle Forderungen seiner Koalitionspartner. »Mein Eindruck ist, dass er momentan alles tut, um an der Macht zu bleiben«, sagt Zehawa GalOn von der linksliberalen Meretz-Partei. Dafür nehme er auch eine Eskalation im Konflikt mit den Palästinensern in Kauf, und dass es auf absehbare Zeit keine Perspektive für eine Einigung mehr geben könnte. »Wir schreiben Geschichte«, sagt Netanjahu dazu.
Und tatsächlich stützen ihn die rechten Koalitionspartner und deren Wählerschaft, zumindest im Moment. Denn man ist sich bewusst: Sollte Netanjahu stürzen, würde man auch selbst ins Hintertreffen geraten. Denn einen massentauglichen Kandidaten hat keine der rechten Parteien; der aussichtsreichste Anwärter auf die Netanjahu-Nachfolge ist der ehemalige Journalist Ja‘ir Lapid von der zentristischen Zukunftspartei.
Doch mittlerweile bröckelt auch die Unterstützung der Rechten. In der Vorwoche tauchte ein Tonmitschnitt auf, auf dem Netanjahu-Sohn Ja‘ir mit Ausgaben für Prostituierte und Stripperinnen angibt und einem Begleiter, dessen Vater Nutznießer eines umstrittenen Gas-Deals ist, sagt: »Mein Vater hat Deinem Vater einen süßen Deal verschafft.« Schon seit Längerem wird auch in Netanjahus Likud kritisiert, dass der Sohn bei Staatsempfängen mit am Tisch sitzt und ständig von staatlichen Personenschützern bewacht wird, obwohl die Sicherheitsdienste keine Notwendigkeit dafür sehen. Vor allem die Siedlerpartei Jüdisches Heim hat ihre Netanjahu-Kontakte nun auf ein Minimum zurück gefahren.