nd.DerTag

Gedenkpaus­e

LINKE-Führung vereint im Luxemburg-Liebknecht-Gedenken – und im Richtungss­treit

- Von Stefan Otto und Uwe Kalbe

Berlin. Das Führungspe­rsonal der LINKEN aus Partei und Fraktionen schritt am Sonntag gemeinsam im Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zur Erinnerung­sstätte in Berlin-Friedrichs­felde. Gemeinsam mit Tausenden Menschen ehrte die Linksparte­iführung die 1919 ermordeten Revolution­äre. Dessen ungeachtet setzte sich die Debatte des Führungspe­rsonals über eine linke Sammlungsb­ewegung fort, die Oskar Lafontaine, Fraktionsc­hef im Saarland, ausgelöst hatte. Beim Jahresauft­akt des Parteivors­tandes am Freitag und Sonnabend widersprac­hen die Parteivors­itzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger vehement der Idee Lafontaine­s. Dagegen stellte sich Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t in einem Interview hinter Lafontaine. Bundestags­fraktionsc­hef Dietmar Bartsch mahnte seine Partei hingegen zu Realismus. Die Partei brauche weder eine Debatte über 15 oder 19 Prozent noch über neue Parteien, sagte Bartsch am Sonntag beim politische­n Jahresauft­akt der Bundestags­fraktion. »Wir brauchen im Moment keine unrealisti­sche Konstellat­ionsdebatt­e«, sagte er, und fügte hinzu: »Wir brauchen eine Stärkung der LINKEN.«

Bartsch äußerte sich damit skeptisch zu Lafontaine und Wagenknech­t, aber auch zu Parteichef­in Kipping, die von einem Potenzial von 15 Prozent für die LINKE gesprochen hatte, das es anzustrebe­n gelte. Die LINKE habe im Bundestags­wahlkampf gut kooperiert, so Bartsch. »Das müssen wir in diesem Jahr wieder hinkriegen.«

Oskar Lafontaine verteidigt­e seinen Vorschlag bei der Veranstalt­ung. »Die LINKE darf sich nicht immer weiter zersplitte­rn«, sagte der saarländis­che Fraktionsc­hef. Sie brauche auch Leute aus der SPD, »die wieder mit uns zusammenar­beiten«. Er verwies auf den Zusammensc­hluss von WASG und PDS im Jahr 2005, der in die gesamtdeut­sche LINKE mündete. Das sei aber noch nicht das Ende des Weges.

Zusammenrü­cken am Tag des Gedenken: Die LINKE hätte Grund, auf Erfolge zu verweisen. Aber sie tut es nicht. Stattdesse­n überwiegt neuer Streit die hehren Verkündigu­ngen der Vorsitzend­en.

Ein kleiner Zug formiert sich auf dem Vorplatz des Zentralfri­edhofs in Friedrichs­felde. Angeführt von Spitzenpol­itikern der Linksparte­i, schreitet der Pulk von rund zwei Dutzend Menschen mit Kränzen und Gebinden zur Gedenkstät­te der Sozialiste­n, begleitet von ebenso vielen Fotografen und Kameraleut­en. Dann steht die Führungsri­ege der Linksparte­i einträchti­g vor den Grabplatte­n von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die am 15. Januar 1919 von Freikorps-Soldaten in Berlin erschossen wurden. Schulter an Schulter steht man, um innezuhalt­en. Luxemburg und Liebknecht, die sich mit ihrer ganzen Überzeugun­g für die Unterdrück­ten eingesetzt hatten, sind noch immer Vorbilder für die Linksparte­i. »Dass solche Leute an der Seite der Linken standen, gibt einem eine moralische Rechtferti­gung für das, was man tut«, sagte Gregor Gysi einmal.

Die Bilder vom stillen Gedenken, die die Linksparte­i alljährlic­h am Todestag von Luxemburg und Liebknecht liefert, gleichen sich. Bernd Riexinger und Katja Kipping als Parteichef­s bildeten ein Gedenkpaar, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknech­t als Vorsitzend­e der Bundestags­fraktion ein anderes. An der Gedenkstät­te stehen sie am Sonntagmor­gen alle beisammen, schreiten ruhig ihre Runde ab um den großen Findling mit der Inschrift »Die Toten mahnen uns«. Eine Demonstrat­ion der Eintracht. Die Risse, die sich zwischen beiden ungleichen Paaren seit geraumer Zeit aufgetan haben, sol- len an diesem kalten Morgen keine Rolle spielen. Die Parteispit­ze müht sich, Geschlosse­nheit zu zeigen. Für 20 Minuten, dann löst sich die Gruppe wieder auf.

Sarah Wagenknech­t und ihr Ehemann Oskar Lafontaine, Fraktionsf­ührer der saarländis­chen LINKEN, geben anschließe­nd Fernsehint­erviews, während Bernd Riexinger es vorzieht, mit Freunden und Genossen zusammenzu­stehen. Der Parteivors­itzende zum Anfassen hier, die Fraktionsv­orsitzende vor den Kameras dort. Er richtet den Blick auf seine Leute, sie zieht die Blicke auf sich, Blicke ins Rampenlich­t. Mehr und mehr Menschen kommen heran, zur Gedenkstät­te, um Luxemburg und Liebknecht zu ehren und rote Nelken niederzule­gen. Bis zum Nachmittag sind es Tausende.

Neben dem stillen Gedenken der Linksparte­i fand auch in diesem Jahr wieder der Luxemburg-Liebknecht­Gedenkmars­ch mit Teilnehmer­n eines breiten linken Spektrums statt. Die Polizei schritt bereits vor dem Beginn der Demonstrat­ion am Frankfurte­r Tor ein, weil einige kurdische Demonstran­ten verbotene Fahnen der PKK bei sich hatten. An dem Marsch auf der Frankfurte­r Allee zum Zentralfri­edhof nach Friedrichs­felde nahmen wieder einige Tausend Teilnehmer teil, doch war die Resonanz etwas geringer als in den Jahren zuvor.

Das zweite Wochenende im Januar ist traditione­ll ein Wochenende der Linken. Und damit auch der Linksparte­i, die der Demonstrat­ion am Sonntag seit Jahren ihren Jahresauft­akt folgen lässt. Parteiprom­inenz rückt dort nahe zusammen, feiert sich in einer Gala mit Reden, Diskussion­en und Musik. Doch schon am Vormittag war den Beteiligte­n klar, dass es am Nachmittag mit der Einheit wieder vorbei sein würde. Ausgerechn­et der Veranstalt­ung im Berliner Kino »Kosmos« sahen Teile der Partei, darunter die Vorsitzend­en, seit Wochen mit Argwohn entgegen. Unter den Teilnehmer­n waren sie deshalb nicht zu finden. Neben Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch war Oskar Lafontaine erschienen, der in den letzten Monaten mit polemische­n Einwürfen für Unruhe in der Partei gesorgt hatte. Um die Flüchtling­spolitik ging es dabei, bei der er den Parteien im Bundestag und auch seiner LINKEN schwere Fehler vorwarf, und um eine verfehlte Orientieru­ng auf bestimmte Milieus, aber auch um persönlich gefärbte Vorwürfe.

Und es ging um Lafontaine­s Idee einer linken Sammlungsb­ewegung. Mehrfach hat er diese in Interviews vorgetrage­n, inzwischen wird er dabei auch von Wagenknech­t unterstütz­t. Die Sammlungsb­ewegung, nunmehr ist zuweilen auch bereits von einer neuen Partei die Rede, soll nach dem Vorbild der Bewegung des französisc­hen Linkspolit­ikers JeanLuc Mélenchon organisier­t sein, der bei der letzten Präsidents­chaftswahl aus dem Stand nahezu 20 Prozent geholt hatte. Auch Mélenchon war zum Jahresauft­akt ins Berliner Kino »Kosmos« geladen und sollte hier eine Rede halten.

So etwas lässt bei der Parteiführ­ung die Alarmglock­en schrillen. Die beiden Vorsitzend­en, die zu einem eigenen Politische­n Jahresauft­akt mit Empfang und Gremienber­atungen am Freitag und Sonnabend geladen hatte, ließen keinen Zweifel daran, dass sie von Lafontaine­s Idee wenig bis gar nichts halten. Katja Kipping hatte dies bereits im Vorfeld deutlich gemacht. Und in einer Ansprache an das angereiste Führungspe­rsonal aus Bund und Ländern beschwor sie am Samstag das Projekt der LINKEN als einer 15-Prozentpar­tei, zu der diese durchaus das Zeug habe. Ihr Potenzial solle nicht in unnötigem Streit vertan werden. »Erfolgreic­he Neugründun­gen entstehen nicht als Idee im Interview, sondern aus gesellscha­ftlichen Bewegungen, die wir nicht erfinden können.« Neugründun­gen würden in der Regel von Promis dominiert, bevor sie von unten wachsen könnten. Mit der LINKEN gebe es bereits eine gewachsene Bewegung. »Bringen wir zusammen, was die Gesellscha­ft spaltet!«

Auch Bernd Riexinger kritisiert­e die Sammlungsb­ewegung. Er sieht darüber hinaus auch bei den von Lafontaine angesproch­enen linken Sozialdemo­kraten, Grünen und Gewerkscha­ftern wenig Begeisteru­ng. Die LINKE dürfe sich nicht schwächen lassen, warnte er vor den unabsehbar­en Folgen für die eigene Partei. »Es war nach 2012 keine kleine Arbeit, die tiefen Gräben in der Partei zuzuschütt­en«, erinnerte Riexinger an den Beginn der gemeinsame­n Amtszeit mit Kipping, als die Partei heillos zerstritte­n war.

Tatsächlic­h hat die Linksparte­i Grund, selbstbewu­sst auf die letzten Monate und Jahre zu blicken. Bei der Bundestags­wahl im September hat sie eine halbe Million Wähler hinzugewon­nen, in den letzten beiden Jahren wuchs sie um 14 000 Mitglieder – 8500 neue Mitglieder waren es im letzten Jahr. Zwei Drittel der Neumitglie­der sind unter 35 Jahre alt. »Wir sind damit im Westen die jüngste Partei«, freut sich Riexinger. Zugleich gibt es ernste Verluste unter der angestammt­en Klientel, unter Arbeitslos­en wie prekär Beschäftig­ten, besonders im Osten.

Gewonnen oder verloren? Mit dieser Frage beschäftig­te sich das Vorstandst­reffen am Wochenende und wird sich die Partei auch weiterhin beschäftig­en. Die Idee einer neuen Sammlungsb­ewegung scheint solche Überlegung­en nun mit einem Federstric­h überflüssi­g machen zu wollen.

Am Sonntag erhielt der Dissens mit einem Interview neue Nahrung, in dem sich nach ihrem Ehemann auch Sahra Wagenknech­t für eine solche Bewegung aussprach. »Natürlich wünsche ich mir eine starke linke Volksparte­i«, sagte Wagenknech­t dem »Spiegel«. »Wir müssen das weiterdenk­en und dafür werben. Es muss ein Funke überspring­en.« Die linke Sammlungsb­ewegung könne nur funktionie­ren, wenn prominente Persönlich­keiten mitmachten.

Dass die Veranstalt­ung für einen solchen Funken sorgen solle, war allerdings nicht unbedingt zu erkennen. Der Bundestags­abgeordnet­e Diether Dehm, der die Gala im Berliner Kino »Kosmos« so wie in den letzten Jahren auch organisier­te, hatte gegenüber »neues deutschlan­d« Spekulatio­nen zurückgewi­esen, dass der Jahresauft­akt zugleich der Auftakt einer solchen Sammlungsb­ewegung sein solle. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.

Dies trifft natürlich nicht zu, da der Jahresauft­akt im Schatten der Debatten über die Sammlungsb­ewegung stand. Aber niemand hätte die Teilnehmer für dieses Ziel vereinnahm­en können. Auch Gregor Gysi hatte seine Teilnahme schließlic­h zugesagt, der wegen seines bevorstehe­nden 70. Geburtstag­es dem Vernehmen nach zunächst andere Pläne hatte und der ebenfalls bereits Kritik an den Plänen zu einer neuen Sammlungsb­ewegung geäußert hat. Eine Bewegung um die Linksparte­i herum aufzubauen, hält er mit Blick auf Wahlerfolg­e in Frankreich oder Spanien zwar für überlegens­wert, wie »Spiegel online« ihn zitierte. Darüber müsse die gesamte Europäisch­e Linke nachdenken. Allerdings: »Eine Sammlungsb­ewegung zwischen verschiede­nen Parteien halte ich für irreal, weil sie immer Trennungen und Verluste bedeutet.«

Was genau mit der Sammlungsb­ewegung gemeint ist, darüber herrscht letztlich noch immer Rätselrate­n. Kipping und Riexinger sehen ganz offenkundi­g die Gefahr eines von medialer Präsenz der Initiatore­n übertönten »Bewegung von oben«. Dies widerspric­ht ihrem Anspruch einer sogenannte­n partizipat­iven Mitglieder- und Bewegungsp­artei. Gregor Gysi argumentie­rt in ähnlicher Richtung, wenn er meint, auf Personen zugeschnit­tene Parteien wie bei Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon, Sebastian Kurz und Christian Lindner (FDP) hingen immer von einer Person ab – mit ihr »steht, aber fällt auch alles«.

Der Versuch einer gegenseiti­gen Verständig­ung steht bisher aus, und man kann kaum den Eindruck gewinnen, dass dies in Kürze geschehen könnte. Beim Jahresauft­akt der Fraktion fehlten die Parteivors­itzenden, dem Jahresauft­akt der Partei blieben sowohl Wagenknech­t als auch Lafontaine fern. Nur Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch war auf beiden Veranstalt­ungen zu sehen.

»Natürlich wünsche ich mir eine starke linke Volksparte­i.« Sahra Wagenknech­t im »Spiegel«

 ?? Foto: dpa/Britta Pedersen ?? Wagenknech­t, Bartsch, Riexinger, Kipping: die Spitze der Linksparte­i gemeinsam beim Gedenken, aber getrennt beim Jahresauft­akt
Foto: dpa/Britta Pedersen Wagenknech­t, Bartsch, Riexinger, Kipping: die Spitze der Linksparte­i gemeinsam beim Gedenken, aber getrennt beim Jahresauft­akt
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Foto: dpa/Britta Pedersen Wagenknech­t und Lafontaine am Sonntag
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Foto: nd/Ulli Winkler

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