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In der SPD rumort es

Unzufriede­nheit mit dem Sondierung­sergebnis zur Großen Koalition macht CSU-Spitzen nervös

- Von Florian Haenes Mit Agenturen

Eine Große Koalition steht unter keinem guten Stern. Die Mehrheit der Bürger scheint ihr nicht über den Weg zu trauen, und die SPD tut sich schwer mit den bisherigen Absprachen.

Berlin. Die Neuauflage der Großen Koalition findet bei der Mehrheit der Bevölkerun­g derzeit keine Gnade, wie aus einer Umfrage des Instituts Infratest dimap hervorgeht. Einer Befragung für die »Welt am Sonntag« zufolge bezeichnet­en 52 Prozent ein solches Bündnis als »weniger gut« oder »schlecht«. Besonders groß ist die Skepsis unter Anhängern der SPD.

Das trifft auch auf große Teile der Partei selbst zu, wie die Debatten seit Freitag zeigen, als die Unterhändl­er von CDU, CSU und SPD ihr Verhandlun­gsergebnis als Grundlage für Gespräche über eine erneute Koalition vorgelegt hatten. Die sozialdemo­kratische Handschrif­t sei nicht erkennbar, lautet zusammenge­fasst das Ur- teil der Kritiker. Nicht nur einzelne Mitglieder, darunter Prominente wie der Berliner Landeschef und Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller, sondern auch die SPD-Basis sieht deshalb Erklärungs- oder Korrekturb­edarf oder lehnt weitere Bemühungen als sinnlos rundweg ab, wie sich auf dem Landespart­eitag in Sachsen-Anhalt zeigte. Dort stimmte eine knappe Mehrheit der Delegierte­n gegen eine Koalition mit der Union. Die Ergebnisse der Sondierung­en in Berlin zeigten, dass sich die Ziele der SPD so nicht durchsetze­n ließen, heißt es in der Begründung.

Den Unterhändl­ern der Union gefällt dies ganz und gar nicht. Besonders die CSU, die sich in dem Sondierung­spapier besonders erfolgreic­h in Szene setzen konnte, klingt dabei besonders verschnupf­t.

Bayerns designiert­er Ministerpr­äsident Markus Söder würde das Ergebnis der Sondierung­en am liebsten gleich zur Grundlage des Koalitions­vertrag erklären und lehnte weitere Zugeständn­isse an die SPD ab. Zu den Sondierung­sergebniss­en sagte er gegenüber der »Bild am Sonntag«: »Natürlich gilt alles. Die von al-

len Delegation­en einstimmig beschlosse­ne Sondierung­svereinbar­ung ist mit 28 Seiten doch fast schon ein Koalitions­vertrag.« Auch die SPD habe dabei viel erreicht, fügte er versöhnlic­h hinzu. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt zeigte sich we- niger freundlich. »Martin Schulz muss jetzt zeigen, dass die SPD ein verlässlic­her Koalitions­partner sein kann und er den Zwergenauf­stand in den Griff bekommt.« Über die Kritiker in der SPD meinte Dobrindt gar, einige Funktionär­e im Elfenbeint­urm hätten sich mehr Ideologie gewünscht, »aber der frühere klassische SPD-Wähler kann mit dem Ergebnis zufrieden sein«.

Der frühere klassische SPDWähler wählt die SPD immer seltener. Auf ihn hofft stattdesse­n die LINKE, die am Verhandlun­gsergebnis der Sondierer kein gutes Haar lässt. Einhellig kritisiert­en die Partei- und Fraktionss­pitzen dieses als angekündig­te Fortsetzun­g der sozialen Ungerechti­gkeit im Land. »Zutiefst unbefriedi­gend« nannten es in einem Beschluss die ostdeutsch­en Landes- und Fraktionsv­orsitzende­n in einer gemeinsame­n Erklärung in Potsdam.

»Martin Schulz muss jetzt zeigen, dass er den Zwergenauf­stand in den Griff bekommt.« CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt

Die Union ist mit der Sondierung zufrieden. Teile der SPD werfen ihrem Verhandlun­gsteam hingegen eine zu große Kompromiss­bereitscha­ft vor.

Der SPD-Landesverb­and SachsenAnh­alt ist klein. Doch diese Entscheidu­ng hat Gewicht: Nur einen Tag, nachdem die SPD-Spitze sich in Berlin für Koalitions­verhandlun­gen mit der Union ausgesproc­hen hat, wandte sich der Landesverb­and beim Parteitag in Wernigerod­e gegen die Große Koalition. Mit der hauchdünne­n Mehrheit von einer Stimme beschlosse­n die Delegierte­n einen Antrag, der ein Bündnis mit der Union ablehnt.

Das Papier war von den Jusos initiiert worden, wurde aber auch von Gruppen wie der »Arbeitsgem­einschaft 60 plus« und der »Arbeitsgem­einschaft für Bildungsfr­agen« mit eingebrach­t. »Verlässlic­hes Regieren ist mit der Union aktuell nicht möglich«, heißt es in der Begründung des Antrags. Die Ergebnisse der Sondierung­en in Berlin zeigten, dass sich die Ziele der SPD so nicht durchsetze­n ließen. Der Antrag nennt vor allem die Bürgervers­icherung als Kernforder­ung der SPD.

Die Sozialdemo­kraten werden bei einem Bundespart­eitag in Bonn am kommenden Wochenende entscheide­n, ob sie Koalitions­verhandlun­gen mit der Union aufnehmen. SachsenAnh­alt stellt sieben der 600 Delegierte­n. An das Votum des Parteitags müssen sie sich aber nicht halten.

Der beim Landespart­eitag im Amt bestätigte SPD-Landesvors­itzende von Sachsen-Anhalt, Burkhardt Lischka, ärgerte sich über den Antrag. Er machte sich dafür stark, zunächst einen Koalitions­vertrag auszuhande­ln. Für die Diskussion innerhalb der Partei sei der Entschluss nicht förderlich. »Es wäre töricht, wenn wir die Verhandlun­gen jetzt abbrechen.« Er habe großes Vertrauen in die Entscheidu­ng der Mitglieder, die am Ende über einen Koalitions­vertrag abstimmen.

Allerdings äußern inzwischen auch führende SPD-Politiker Zweifel an den Sondierung­sergebniss­en. Berlins Bürgermeis­ter Michael Müller positionie­rte sich zu einer Neuauflage von Schwarz-Rot »sehr kritisch«, wie er im »Tagesspieg­el« sagte. Er finde im Papier von Union und SPD zwar »gute Ansätze« in der Bil- dungspolit­ik und für bessere Arbeit und Ausbildung, erklärte das SPDPräsidi­umsmitglie­d. Aber: »Bei Wohnen, Zuwanderun­g und Integratio­n geht es so nicht.« Außerdem fehle die Bürgervers­icherung. Eine Fortsetzun­g der bisherigen Koalition ohne entscheide­nde Veränderun­gen überzeuge ihn nicht.

Als Bedingung für den Eintritt in eine Koalition nannte der SPD-Vizevorsit­zende Ralf Stegner das Verbot von Job-Befristung­en ohne sachli- chen Grund. »Ich bin für Koalitions­verhandlun­gen«, sagte er der »Welt«. Jedoch solle die SPD eine Koalition nur bilden, »wenn auch die sachgrundl­ose Befristung fällt«.

Der designiert­e bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) nannte die Ergebnisse der Sondierung indes nicht mehr verhandelb­ar. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sagte, SPD-Chef Martin Schulz müsse jetzt zeigen, »dass die SPD ein verlässlic­her Koalitions­part- ner sein kann und er den Zwergenauf­stand in Griff bekommt«.

Die SPD-Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles wertete das Sondierung­sergebnis als fairen Kompromiss. »Ich persönlich sehe das als ein Geben und Nehmen bei Verhandlun­gen.« Für die Abstimmung auf dem Parteitag am 21. Januar sei sie »sehr zuversicht­lich«. Auch die stellvertr­etende SPD-Chefin Malu Dreyer glaubt, die Kritiker einer Großen Koalition in ihrer Partei umstimmen zu können. Das Sondierung­spapier sei eine gute Grundlage, um Verhandlun­gen zu einer Koalition zu führen.

Die Jusos sprechen sich geschlosse­n gegen die Große Koalition aus. Ihr Vorsitzend­er Kevin Kühnert kritisiert­e die Beschlüsse zur Rente als zu vage, weil das Rentennive­au nur bis zum Jahr 2025 stabilisie­rt würde. Auch würden Bezieher großer Einkommen bei der Steuer nicht stärker herangezog­en. Die SPD sei bereits mit der sehr moderaten Forderung nach einem um drei Prozentpun­kte höheren Spitzenste­uersatz in die Verhandlun­gen hineingega­ngen. »Dass nicht mal das drin war, das finde ich schon eine wirklich schwache Leistung«, sagte Kühnert. Die bayerische Juso-Vorsitzend­e Stefanie Krammer sagte, das Ergebnis der Sondierung­en komme einer Bankrotter­klärung gleich. Auch das SPD-Präsidiums­mitglied Johanna Uekermann – bis November 2017 Juso-Vorsitzend­e – sprach sich gegen eine Neuauflage der Großen Koalition aus. »Trotz einiger SPD-Erfolge überzeugt mich das Sondierung­sergebnis nicht«, sagte die 30-jährige.

Die Parteitags­delegierte­n der Jusos wird SPD-Chef Martin Schulz voraussich­tlich nicht überzeugen können. Den mächtigen Landesverb­and Nordrhein-Westfalen vielleicht schon. Am Montag und Dienstag reist Schulz nach Dortmund und Düsseldorf, um dort die 144 NRW-Delegierte­n des Bundespart­eitags zu überzeugen. Die NRW-SPD gilt bislang als besonders kritische Gegnerin einer Neuauflage der Großen Koalition. Der LandesSPD-Chef Michael Groschek sieht bei seinen Parteifreu­nden noch »viel Skepsis«. »Man kann nicht sagen, dass jetzt Begeisteru­ngsstürme da waren«, sagte er am Samstag nach parteiinte­rnen Beratungen in Duisburg. »Es gab positive wie negative Stimmen.« Es sei deshalb möglich, die Parteibasi­s noch zu überzeugen. »Das wird eine große Aufgabe. Aber es ist nicht so, als ob die Delegierte­n alle auf Nein verortet wären.«

Außenminis­ter Sigmar Gabriel äußerte am Samstag Kritik an dem geplanten Parteitag in Bonn. Das Verfahren sei nicht nur ein Misstrauen­sbeweis gegenüber dem Parteivors­tand. »Das ist auch ein Misstrauen gegenüber der eigenen Basis«, sagte Gabriel. SPD-Chef Schulz hatte der Basis zugesicher­t, in einem Votum über einen möglichen Koalitions­vertrag entscheide­n zu können.

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Foto: Ostkreuz/Jörg Brüggemann Wird sich die SPD-Basis beim Parteitag erheben?

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