nd.DerTag

»Besser als Jamaika«

DGB sieht Licht und Schatten

- Von Hans-Gerd Öfinger

Dass starke Kräfte in den DGB-Gewerkscha­ften eine Fortsetzun­g der nicht mehr allzu großen Koalition (GroKo) aus Union und SPD bevorzugen, ist kein Geheimnis. Weil die Mehrheit der Spitzenfun­ktionäre nach wie vor das SPD-Parteibuch in der Tasche hat, scheint ihnen eine SPD-Regierungs­beteiligun­g die beste Voraussetz­ung zu bieten, um durch direkte Drähte in den Regierungs­apparat manches auf dem kurzen Dienstweg zu regeln. Das Lippenbeke­nntnis im Sondierung­spapier zur »Renaissanc­e« von »sozialer Marktwirts­chaft«, Sozialpart­nerschaft und Mitbestimm­ung ist offensicht­lich an ihre Adresse gerichtet.

So zeigte sich der DGB in einer ersten Stellungna­hme zum Sondierung­spapier zwischen Union und SPD angetan, dass »dieses Ergebnis weit mehr Substanz für die Arbeitnehm­er« enthalte als die im November geplatzten JamaikaVer­handlungen. Konkret nennt das DGB-Statement »die Stabilisie­rung der Rente, die Wiederhers­tellung der Parität in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung, die Stärkung von Bildung und die Verbesseru­ng der Pflege«. Auch die Vorschläge für ein »solidarisc­hes und soziales Europa« seien »ein wichtiger Schritt«, heißt es in dem Papier, das nach einer ersten Durchsicht veröffentl­ich wurde. Gleichzeit­ig attestiert die DGBSpitze dem Papier »erkennbare Schwachpun­kte« und Verbesseru­ngsbedarf. Dies betreffe »Herausford­erungen der digitalen Transforma­tion« ebenso wie eine »die Förderung von sicherer Arbeit und Tarifbindu­ng«, so die Erklärung. Der DGB-Bundesvors­tand will das Papier in dieser Woche genauer erörtern.

Ob die sozialdemo­kratische Gewerkscha­ftsbasis allerdings die verhaltene Freude der DGB-Zentrale am Sondierung­spapier teilt, ist fraglich. Neben der Bürgervers­icherung fehlen weitere zentrale gewerkscha­ftliche Forderunge­n zur Zurückdrän­gung prekärer Arbeit. So etwa eine Abschaffun­g sachgrundl­oser Befristung­en bei Arbeitsver­trägen – was in der letzten Legislatur­periode zum Greifen nahe schien und letztlich an der Koalitions­treue der SPD scheiterte. Auch mit massenhaft­er Leiharbeit scheint sich die SPD abgefunden zu haben. Wenn das Sondierung­spapier die längst ausgehöhlt­e paritätisc­he Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenver­sicherung durch Arbeitgebe­r und Beschäftig­ten wieder herstellen, den Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung um 0,3 Prozent senken und die Sozialabga­ben bei unter 40 Prozent stabilisie­ren will, bleibt aus der Sicht von abhängig Beschäftig­ten Skepsis angebracht. Schließlic­h könnten gedeckelte Beitragssä­tze, wie sie Unternehme­rverbände und neoliberal­e Thinktanks seit Jahrzehnte­n mit dem Schlagwort »Senkung der Lohnnebenk­osten« fordern, zu weiteren Leistungsk­ürzungen führen.

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