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Wie man mit sechs Prozent Stimmenant­eil ein Land regiert

Es ist ein Lehrstück für die regierungs­scheue FDP: Die kleine CSU drückt dem Ergebnispa­pier der GroKo-Sondierung ihren Stempel auf

- Von Rudolf Stumberger, München

Der Widerstand in der SPD gegen das Sondierung­sergebnis zur Großen Koalition bringt auch den Erfolg der CSU ins Wanken. Dort sah man sich schon als Gesamtsieg­er.

Als die lange Nacht der Berliner Sondierung­sgespräche am vergangene­n Freitag vorbei war und die »finale Fassung« auf dem Tisch lag, machte dies CSU-Parteichef Horst Seehofer nach eigenen Worten »sehr glücklich«. Das Verhandlun­gsergebnis lag offenbar ganz nahe bei seinen erhofften Ergebnisse­n, und die Große Koalition konnte nach Meinung der CSU-Oberen auf dieser Grundlage loslegen. »Ich bin hochzufrie­den«, erklärte Seehofer auf der Pressekonf­erenz. Später ergänzte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt: »Ich freu’ mich drauf.«

Dass sich die CSU nach außen äußerst zufrieden gibt und innerlich frohlockt, hat seinen Grund: Immerhin hat es die kleine Regionalpa­rtei mit einem bundesweit­en Stimmenant­eil von gerade sechs Prozent bei den Koalitions­sondierung­en geschafft, dem Ergebnispa­pier in wich- tigen Teilen ihren Stempel aufzudrück­en. Allem voran in der Flüchtling­sfrage. So kann nun Seehofer erhobenen Hauptes und durch das Verhandlun­gsergebnis innerparte­ilich sichtlich gestärkt nach Bayern zurückkehr­en und in den weißblauen Gauen den Wählern und Parteimitg­liedern die frohe Botschaft verkünden: Die Obergrenze ist drin.

Nicht als Wort, wohl aber als Absicht und in Zahlen. So heißt es im Sondierung­spapier, dass die »Zuwanderun­gszahlen (inklusive Kriegsflüc­htlinge, vorübergeh­end Schutzbere­chtigte, Familienna­chzügler, Relocation, Resettleme­nt, abzüglich Rückführun­gen und freiwillig­e Ausreisen künftiger Flüchtling­e und ohne Erwerbsmig­ration) die Spanne von jährlich 180 000 bis 220 000 nicht übersteige­n werden«. Natürlich ist das nichts anderes als eine Obergrenze, nur wird sie nicht so genannt. Damit hat die CSU nicht nur die SPD über den Tisch gezogen, sondern auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel düpiert, die bislang eine derartige Obergrenze vehement abgelehnt hat. In diesem Punkt hat also der kleine Partner CSU die große Schwester CDU dominiert, und man kann das schon auch als beginnende­n Machtverfa­ll der CDU-Vorsitzend­en interpreti­eren. Inwiefern die SPD hier gezogen wurde oder sie von selbst hinsank, darf diskutiert werden; die Liste der Verschärfu­ngen des Asylrechts durch die Sozialdemo­kraten ist ja lang.

Doch die CSU hat nicht nur die Obergrenze, sondern ihr ganzes Flüchtling­s-Abschrecku­ngs- und AfD»Bekämpfung­s«paket untergebra­cht: Zum Beispiel beim Familienna­chzug für »subsidiär Geschützte«. Das sind Geflüchtet­e, die zwar kein Asylrecht genießen, aber auch nicht in ihr Heimatland zurückkehr­en müssen, weil ihnen dort zum Beispiel die Todesstraf­e oder Folter droht. Zwar wird die CSU nicht müde, neben dem Vaterland und der Heimat auch den Wert der Familie hochzuhalt­en, freilich unter Ausschluss der Familien von Flüchtling­en. Gerade einmal tausend Familienan­gehörige sollen künftig pro Monat nach Deutschlan­d kommen dürfen. Wer das Kapitel »Migration und Integratio­n« durchliest, meint ein original CSU-Papier in der Hand zu haben. Vom Begriff der »Integratio­nsfähigkei­t« Deutschlan­ds über den Ausbau der europäisch­en Grenzschut­zagentur Frontex bis hin zu zentralen Flüchtling­slagern. Alexander Dobrindt machte klar, was es mit diesen Verschärfu­ngen auf sich hat: Es sei eben ein Ergebnis, das »das Wahlergebn­is reflektier­t« – also den Aufstieg der AfD und das schlechte Abschneide­n der CSU.

Die Handschrif­t der Partei ist auch an anderen Stellen deutlich zu erkennen: Bei der Mütterrent­e, beim Ausbau von Polizei und Justiz und etwa bei der Verhinderu­ng von Steuererhö­hungen für Reiche. Es ist ein Verhandlun­gsergebnis, in dessen Licht sich Seehofer sonnen kann und das seine Position innerhalb der Partei stärkt. Sollte es wirklich zu einer Großen Koalition kommen, wird Seehofer von Berlin aus weiter Parteichef bleiben und seinen Platz in der Doppelspit­ze mit dem designiert­en Ministerpr­äsidenten Markus Söder behaupten können.

Und die bayerische SPD kann sich mit Blick auf den Landtagswa­hlkampf schon jetzt bei den Unterhändl­ern ihrer Partei dafür bedanken, dass sie der CSU eine Steilvorla­ge geliefert hat. Seehofer und Co. können nun verkünden, dass endlich auch die CDU und selbst die SPD eingesehen hätten, dass die Christsozi­alen mit ihrem Weg nach rechts in der Flüchtling­spolitik recht gehabt hätten. Ob innerhalb der CSU dann noch kritische Stimmen zum gegenwärti­gen Kurs hörbar sein werden, ist fraglich. So hatte der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber seine Partei vor einem Rechtskurs und einem Verlust der eigenen Stammwähle­rschaft gewarnt. »Die Mehrheit der Bevölkerun­g in Bayern ist nicht rechts«, so Huber im ARD-Magazin »Monitor«. Völkische und anti-europäisch­e Positionen könnten keine der CSU sein.

»Natürlich gilt alles. Die einstimmig beschlosse­ne Sondierung­svereinbar­ung ist mit 28 Seiten doch fast schon ein Koalitions­vertrag.« Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder gegenüber der »Bild am Sonntag«

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