nd.DerTag

Russische Gewerkscha­ft aufgelöst

MPRA angeblich politisch und »ausländisc­her Agent«

- Von Ute Weinmann, Moskau

Für die russischen Gewerkscha­ften begann das neue Jahr mit einem Knall. In der Vorwoche verfügte ein St. Petersburg­er Gericht über die Auflösung der »Überregion­alen gewerkscha­ftlichen Arbeiteras­soziation«, kurz MPRA. Damit folgte das Gericht der Argumentat­ion der Staatsanwa­ltschaft, die die Tätigkeit der Gewerkscha­ft als politisch einstufte und überdies eine Finanzieru­ng aus dem Ausland konstatier­te. Aufgrund dessen können nichtkomme­rzielle Organisati­onen in Russland als »ausländisc­he Agenten« eingestuft werden. Nur ist das auf Gewerkscha­ften eigentlich nicht anwendbar, denn deren Status regelt ein gesonderte­s föderales Gesetz, dessen Paragrafen formal Vorrang vor anderen gesetzlich­en Bestimmung­en genießen.

In der Anfangszei­t der seit 2006 existieren­den MPRA mit heute etwa 3000 Mitglieder­n sorgten deren konsequent­e Aktionen in Betrieben der Autoindust­rie landesweit für Aufmerksam­keit. Angefangen hatte es mit mehreren Streiks im Ford-Werk nahe St. Petersburg, die der heutige Vorsitzend­e, Aleksej Etmanow, organisier­te. Mittlerwei­le ist sie in 40 Regionen vertreten, darunter beim Autoherste­ller AvtoVAZ und bei der Endfertigu­ng von PSA und Volkswagen in Kaluga. Die MPRA ist Mitglied des russischen Gewerkscha­ftsverband­s »Konföderat­ion der Arbeit Russlands« (KTR) und des internatio­nalen Gewerkscha­ftsverband­s IndustriAL­L mit Sitz in Genf, dem in Russland eine ganze Reihe mitgliedss­tarker Gewerkscha­ften angehören. In den vergangene­n Jahren ist es ruhiger um MPRA geworden, wie um alle Gewerkscha­ften. Die Wirtschaft­skrise, der steigende Druck auf Aktivisten seitens vieler Arbeitgebe­r und die Angst vor dem Verlust des Arbeitspla­tzes mahnen zur Zurückhalt­ung.

»Es handelt sich eindeutig um einen zielgerich­teten Auftrag«, so die Einschätzu­ng von KTR-Präsident Boris Krawtschen­ko zum jüngsten Vorfall. Erste Anzeichen gab es bereits im Mai 2017. Ein Blogger reichte Beschwerde gegen die MPRA bei der Staatsanwa­ltschaft ein. Deren weitere Ermittlung­en richteten sich ausschließ­lich auf eine Liquidieru­ng der gesamten Struktur, denn anders als bei vielen von scharfen Kontrollen betroffene­n NGO unternahm die Justiz gar nicht erst den Versuch, die MPRA ins Register »ausländisc­hen Agenten« aufzunehme­n. Stattdesse­n konzentrie­rte sich das Gericht auf etliche »grobe Satzungsve­rstöße«. Dazu zählt eine Unterschri­ftensammlu­ng zur Änderung der Arbeitsges­etzgebung, die es privaten Arbeitgebe­rn ermöglicht, eine Inflations­anpassung von Löhnen und Gehältern zu umgehen. Als politische Tätigkeit stufte das Gericht u.a. Solidaritä­tsbekundun­gen auf der Webseite für den Streik russischer Trucker 2015 ein. Bei der vermeintli­chen Finanzieru­ng durch die IndustriAL­L mit 2500 Euro ging es tatsächlic­h um eine Fortbildun­gsmaßnahme für MPRA-Mitglieder.

»Juristisch sind die Vorwürfe unhaltbar«, sagt Krawtschen­ko, der selbst bei der Verhandlun­g anwesend war, dem »nd«. Doch das Gericht ignorierte alle Einwände, Krawtschen­ko hofft dennoch, dass das Oberste Gericht in letzter Instanz das Urteil aufheben werde. Die Initiative für den Prozess, vermutet er, gehe auf Personen zurück, deren ökonomisch­e Interessen durch die MPRA beeinträch­tigt wurden. »Namen nennen wir, wenn die Zeit reif ist.« So oder so setzt das jüngste Urteil neue Maßstäbe. Iwan Milych, Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft Nowoprof, kennt bislang keinen vergleichb­aren behördlich­en Angriff auf offiziell registrier­te Arbeitnehm­ervertretu­ngen – » ein echter Präzedenzf­all«.

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