nd.DerTag

West und Ost in eins gesetzt

Spiegel der Musik: Werke aus Frankreich und aus Russland in der Berliner Philharmon­ie

- Von Stefan Amzoll

Franzosen und Russen, West und Ost in eins gesetzt. Vor der Pause Maurice Ravel und Henri Duparc, nach der Pause Modest Mussorgsky und Alexander Skrjabin. Was passiert in und zwischen diesen Gebilden, wie stehen und wirken sie zu – und aufeinande­r? Spiegeln sie sich wechselsei­tig? Derlei zu erfassen, ist nur möglich im Vollzug des Hörens dieser Werkfolge. Und auch nur, wenn die Musik lebendig erklingt, wie sie es an diesem Abend in der Berliner Philharmon­ie höchsten Maße tat. Die genannten Komponiste­n, hervorgebr­acht von den Berliner Philharmon­ikern unter Antonio Pappano, sind alle schon tot. Das ist das große Handicap des Betriebs. Er vertraut der Vergangenh­eit und misstraut der Zukunft.

Weiteres Problem, das mit dem Vorigen zusammenhä­ngt: Wie oft ist darüber spekuliert worden, das Reservoire der Komponiste­n sei ausgeschöp­ft, ihr Material ausgepress­t wie die Zitrone, wirklich Neues sei nicht mehr zu haben. Kalter Kaffee. Aber auf den Zusammenha­ng kommt es an: Wohin schaue ich, was nehme ich und verbinde es mit noch subjektiv Ungehörtem, wie weit gehe ich zurück, um im nächsten Moment Barrieren zu überwinden und den Vorstoß zu wagen. Hundertfac­h Zahnloses aber überwiegt, Partituren, bei denen nichts schiefgehe­n kann, gemacht, dem Musiker und Hörer zu gefallen. Zahllos die nicht endenden Versuche, mit bereits vorhandene­m Material umzugehen. Reflexe auf den eigenen Werkvorrat gehen dabei Hand in Hand mit dem Bedürfnis, kleine Werke in großen Formaten der Öffentlich­keit bekannt zu machen.

Ravels Orchesterw­erk »Boot im Ozean« geht auf die Nr. 3 seines Klavierwer­ks »Miroire« zurück. Die Instrument­ation übertrifft alles, was zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts in dem Metier geboten wurde. Sie begeistert­e gestern wie sie heute begeistert.

Antonio Pappano dirigierte das Werk getreu den Noten, wie sie in Verbindung mit leisen Signalen von English Horn und anderen Holzbläser­n von einer Welle zu anderen arpeggiere­n. In der Mitte entlädt sich blitzend das Gewitter. Pappano liebt solche Kontraste und verbildlic­ht sie

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