nd.DerTag

Levittown wird 70

Der Ort vor den Toren New Yorks gilt als »Mutter aller Vorstädte«

- Von Christina Horsten, Levittown

Tür, zwei Fenster, Schrägdach – fertig ist ein Haus in Levittown. Fast 17 500 davon setzte William Levitt vor 70 Jahren vor die Tore New Yorks und schuf den ersten auf dem Reißbrett entworfene­n Vorort.

Levittown, New York, an einem Sonntagnac­hmittag. Durch die kahlen Bäume dringt fahles Winterlich­t, über den Vorgärten liegen dünne Schneedeck­en, die Gehwege und Straßen sind zentimeter­genau geräumt, die Basketball­körbe in den Einfahrten unbenutzt. Kein Mensch ist zu sehen, außer im fast voll besetzten Restaurant einer Pfannkuche­n-Kette. Die gleichmäßi­g an die Straßen gebauten Häuser sehen aus wie von Kindern gemalt – Rechteck, Tür, zwei Fenster, Schrägdach.

Wenn das rund eine Fahrstunde östlich der Millionenm­etropole New York gelegene Levittown wie das übererfüll­te Klischee der amerikanis­chen Vorstadt wirkt, dann, weil es genau das ist – und mehr: Levittown ist der Beginn der auf dem Reißbrett geplanten amerikanis­chen Suburbia, die Mutter aller Vorstädte. 1947 zogen die ersten Familien in die Häuschen ein und im Januar vor 70 Jahren wurde die Vorstadt offiziell Levittown getauft. »Alles Gute zum 70. Geburtstag, wahre amerikanis­che Suburbia«, schrieb das »Wall Street Journal«.

Der Name stammt von der Firma Levitt & Sons, die das Vorstädtch­en entwarf und baute. Die Kartoffelf­elder auf Long Island waren damals günstig zu haben und Millionen Amerikaner auf der Suche nach ihrem eigenen Heim, darunter viele aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgeke­hrte Soldaten, die Familien gründen woll- ten. Massenprod­uziert entstand zeitweise alle 16 Minuten ein neues weißes Häuschen in Levittown, am Ende des Jahres 1951 waren es fast 17 500. Vier Zimmer und ein Badezimmer gab damals für rund 7000 Dollar. Die Mütter konnten mit den kleinen Kindern zu Hause bleiben, die Väter zur Arbeit nach Manhattan pendeln. »Wir sind keine Bauarbeite­r, wir sind Fabrikante­n«, sagte der 1994 gestorbene William Levitt einmal. Seine Firma bezeichnet­e der »Vater der amerikanis­chen Suburbia« als »General Motors des Hausbaus«.

Inzwischen haben viele Häuser in Levittown mehrfach ihren Besitzer gewechselt. Viele sind um- und ausgebaut worden und sehen nicht mehr alle gleich aus. »Es gibt vielleicht noch fünf oder sechs Häuser in der Gegend, die ungefähr so aussehen wie 1947«, sagt Paul Manton von der Levittown Historical Society. Das Vorstädtch­en gehört heute zu Hempstead, hat rund 52 000 Einwohner und die Häuser verkaufen sich durchschni­ttlich für rund 380 000 Dollar (320 000 Euro).

Für viele war Levittown der amerikanis­che Traum, andere gruselten sich davor. Die Vorstadt sei eine »gleichförm­ige Umgebung, aus der man nicht fliehen kann«, schrieb der Historiker Lewis Mumford und Louise Cassano, die als Kind mit ihren Eltern nach Levittown zog, bemängelt die »fehlende Kultur«.

Zudem waren in den ersten Jahrzehnte­n nicht nur die Häuser der Vorstadt vollkommen weiß, auch die Menschen, andere Käufer waren nicht zugelassen. »Das Erbe von Levittown ist die symbolisch­e Rassentren­nung in Amerika«, sagte Eugene Burnett, der einst ein Haus in Levittown kaufen wollte, als Afroamerik­aner aber abgewiesen wurde, der »New York Times«. Immer noch sind rund 89 Prozent der Einwohner weiß.

Lokalheld von Levittown ist der Sänger Billy Joel, der dort aufwuchs und das Vorstädtch­en mehrfach in seinen Songs erwähnt hat. Erbauer Levitt baute noch mehrere andere Levittowns, inzwischen ist die danach von seinen Söhnen geleitete Firma jedoch bankrott gegangen.

Levittown vor den Toren New Yorks aber lebt weiter, als Mythos aller US-Vorstädte – und der Mythos gedeiht. »Amerika bleibt ein weitgehend vorstädtis­ches Land«, heißt es in einem Bericht der Forschungs­einrichtun­g Urban Land Institute aus dem Jahr 2016.

In den 50 größten Metropolre­gionen des Landes leben fast 80 Prozent der Menschen in Vorstädten. »Das vorstädtis­che Hausangebo­t in den USA entwickelt sich schnell und ist gut positionie­rt, um in den kommenden Jahren der Ort zu bleiben, wo die meisten Amerikaner leben und arbeiten.«

 ?? Fotos: dpa/Christina Horsten ?? Die New Yorker Vorstadt im Dezember des vergangene­n Jahres
Fotos: dpa/Christina Horsten Die New Yorker Vorstadt im Dezember des vergangene­n Jahres
 ??  ?? Schon von Weitem ist der Name der Vorstadt zu sehen.
Schon von Weitem ist der Name der Vorstadt zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany