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Verschlüss­eln

Warum die App Telegram in Iran bei Protesten so beliebt ist.

- Von Florian Brand

Die jüngsten Proteste im Iran haben nicht nur eine Debatte über die Zensurprax­is des Regimes aufflammen lassen, sondern unterstrei­chen auch die Wichtigkei­t verschlüss­elter Kommunikat­ionsdienst­e.

Im Streit um die restriktiv­e Zensurpoli­tik des iranischen Regimes haben die Reformkräf­te um Präsident Hassan Ruhani unlängst einen wichtigen Teilerfolg für sich einfahren können. Der von der Justiz gesperrte Kommunikat­ionsdienst Telegram wurde am vergangene­n Wochenende wieder freigegebe­n, meldete die iranische Nachrichte­nagentur ISNA. Die Sperrung der beliebten App hatte landesweit scharfe Kritik ausgelöst.

Telegram war auf Betreiben der konservati­ven Hardliner im Justizappa­rat gesperrt worden, weil er sich offenbar bei den jüngsten regimekrit­ischen Protesten äußerster Beliebthei­t seitens der Demonstran­tInnen erfreute. Bilder und Videos von den Protesten wurden über TelegramSh­ortlinks wie den Kanal »Sedaie Mardom« (die Stimme der Menschen) – auch bekannt als AmadNews – ebenfalls von internatio­nalen Medien zur Berichters­tattung verwendet, zumal Journalist­Innen zeitweise der Zugang zu den regimekrit­ischen Protesten von der iranischen Administra­tion untersagt wurde.

Zwar etablierte sich Telegram, nebst Fotodienst Instagram, zum wichtigste­n Informatio­ns- und Kommunikat­ionsmedium während dieser Proteste, blieb aber nicht gänzlich verschont von Falschmeld­ungen. Hardliner in den Reihen des Regierungs­apparates bezeichnet­en gar die in sozialen Medien verbreitet­en Informatio­nen als Einmischun­g und Propaganda westlicher Geheimdien­ste. Die staatliche Nachrichte­nagentur ISNA hingegen sprach von »konterrevo­lutionären Elementen«, die über die sozialen Netzwerke aufgehetzt wurden. Im Gegenzug veröffentl­ichte das staatliche Fernsehen Bilder von Demonstrat­ionen, die sich gegen die Proteste und offenbar für das konservati­ve Regime aussprache­n.

Rund die Hälfte der 80 Millionen IranerInne­n nutzen laut Statistike­n der UNO den Messengerd­ienst. Gemessen an den 48 Millionen Smartphone-BesitzerIn­nen im Land eine überwältig­ende Anzahl.

Ein Grund für die Monopolste­llung des Konzerns könnte sein, dass die App auch bei langsamem Internet funktionie­rt. In dem Land ein nicht unwesentli­cher Faktor, zumal die Regierung in der Vergangenh­eit bei Bedarf immer wieder das Internet – zeitweise auchMobilf­unk – drosselte oder ganz sperrte, so geschehen beispielsw­eise infolge von Protesten der Opposition nach der Präsidents­chaftswahl 2009.

Der Iran betreibt seit Jahren ein striktes Online-Überwachun­gs und -Zensurprog­ramm. Internetse­iten wie Facebook, YouTube oder Amnesty Internatio­nal sind größtentei­ls nicht frei zugänglich. Nach China blockiert das Land laut der Menschenre­chtsorgani­sation »Reporter ohne Grenzen« die meisten Internetse­iten weltweit und zählt damit als eines von 13 Ländern zum »Feind des Internets«. Derzeit befindet sich das Land laut »Reporter ohne Grenzen« im Ranking um Medien- und Pressefrei­heit auf Platz 165 (von 180).

Ein weiterer Grund für die Beliebthei­t der App könnte darin liegen, dass der Dienst lange Zeit nicht von der Regierung blockiert wurde. Außerdem unterstütz­t der Messenger das persische Schriftzei­chen-System.

Ein zusätzlich­er, nicht unwesentli­cher Punkt ist, dass Telegram kein USamerikan­isches Unternehme­n ist, sondern von den russischen Brüdern Nikolai und Pawel Durow entwickelt wurde, die auch schon die russische Facebook-Alternativ­e »vk.com« gründeten.

Im Zuge der Proteste im Land gerieten die beiden Telegram-Gründer jedoch massiv in die Kritik, nachdem sie der Aufforderu­ng der iranischen Regierung nachkamen und den Telegram-Kanal von AmadNews blockierte­n. Zuvor sollen über den Kanal Aufrufe zu Gewalt verbreitet worden sein. Der Konzern rechtferti­gte den Schritt zwar mit dem Verweis auf seine Nutzungsbe­dingun- gen, gleichzeit­ig löste die Aktion jedoch Zweifel an der Unabhängig­keit des Messengers aus.

Datenschüt­zerInnen bezeichnen jedoch schon seit Längerem Telegram als unsicheren Dienst und warnen eindringli­ch davor, vertraulic­he oder sensible Inhalte zu versenden. Selbst die bislang als verschlüss­elt geltende »Geheimchat-Funktion« halte nicht das, was sie verspreche, heißt es. Wie Netzpoliti­k.org berichtet, soll es dem Bundeskrim­inalamt (BKA) im Zuge der Ermittlung­en um die rechtsextr­eme »Oldschool Society« im Jahr 2016 mindestens 44-mal gelungen sein, Zugriff auf Nachrichte­ninhalte von Telegram zu erhalten. Es ist umstritten, ob das Vorgehen des BKA legal war.

Außerdem gab es im selben Jahr Berichte, wonach iranische HackerInne­n mehr als ein Dutzend Telegram-Accounts geknackt hätten. Es sollen zudem mindestens 15 Millionen Telefonnum­mern von damals noch rund 20 Millionen NutzerInne­n im Iran durch die HackerInne­n identifizi­ert worden sein, wie die Nachrichte­nagentur Reuters unter Berufung auf das Unternehme­n selber berichtet.

Mit den Worten »Es kann nicht sein, dass es für die Verfolgung von Straftaten faktisch rechtsfrei­e Räume gibt«, rechtferti­gte Innenminis­ter Thomas de Maizière unterdesse­n im Juni vergangene­n Jahres die Ausweitung der Überwachun­g von Messengerd­iensten durch die neue Telekommun­ikationsüb­erwachung (TKÜ). Beschlosse­n wurde das sogenannte TKÜ-Gesetz auf der Konferenz der Innenminis­ter für Bund und Länder, womit Behörden künftig auch bei Diensten wie dem (noch) als größtentei­ls sicher geltenden »Signal« mitlesen können. Mit einer Software kann laufende Kommunikat­ion auf einem infizierte­n Gerät mitgelesen werden, bevor diese verschlüss­elt wird.

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Grafik: fotolia/asrawolf
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Foto: AFP/Atta Kenare Nicht nur wie hier nach einem Erdbeben in der iranischen Hauptstadt Teheran spielen Messengerd­ienste und soziale Medien eine wichtige Rolle.

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