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Ein Multimilli­onär für die Kommuniste­n

Die KP schickt Pawel Grudinin ins Rennen / Andere linke Parteien sehen in dem Unternehme­r ein Hindernis für einen Zusammensc­hluss

- Von Nina Jeglinski

Unerwartet hat die Kommunisti­sche Partei nicht den Vorsitzend­en Gennadi Sjuganow als Präsidents­chaftskand­idaten nominiert. Kandidat Grudinin erntet viel Kritik – vor allem von linken Strömungen.

Die Ergebnisse von Präsidents­chaftswahl­en in Russland sind in den letzten Jahren ohne Überraschu­ng geblieben. Stets belegte die Partei »Einiges Russland« Platz eins, gefolgt von der Kommunisti­schen Partei (KP), die ein Abonnement auf Platz zwei zu haben scheint. Dieses Mal ist es jedoch etwas anders: Die KP geht mit Pawel Grudinin ins Rennen. Am 23. Dezember 2017 wurde auf dem Kongress der KP unerwartet nicht Parteichef Gennadi Sjuganow, sondern der 57-Jährige Unternehme­r und Multimilli­onär Grudinin zum Spitzenkan­didaten gewählt.

Der Direktor der Obstfarm »Lenin« ist den meisten Russen zwar unbekannt, ein politische­r Neuling ist er aber nicht. Seit 1997 wurde er drei Mal als Vizevorsit­zender des Moskauer Regionalpa­rlamentes gewählt. Mehrere russische Medien schreiben, Grudinin sei im Jahr 2000, als Wladimir Putin das Präsidente­namt von Boris Jelzin übernahm, ein Vertrauter Putins gewesen. Von 2007 bis 2011 war er Abgeordnet­er von »Einiges Russland« in der Moskauer Region. Erst seit 2011 ist er auf der Liste der Kommunisti­schen Partei.

Bei den Parlaments­wahlen 2016 bewarb sich der Agrarunter­nehmer erfolglos als Abgeordnet­er. Nun tritt er gegen Wladimir Putin, Xenija Sobtaschak und Wladimir Schirinows­ki an. Vor allem letzterem soll Grudinin offenbar Stimmen abjagen.

Schon wenige Tage nach seiner Nominierun­g trat der – wie er sich selber nennt – »patriotisc­he Blogger« gegen den Rechtspopu­listen Schirinows­ki in einer Talkshow des Staatssend­ers »Rossija 1« auf. Grudinin sprach sich dort für eine Wirtschaft­spolitik nach Vorbild der Kommunisti­schen Partei Chinas aus. Er plädierte für die Verstaatli­chung der russischen Eisenbahn und des Ölkonzerns Rosneft. Die russischen Oligarchen sollten ihr Geld von den Offshore-Zonen nach Russland zurückbrin­gen.

Die Wirtschaft­szeitung »Kommersant« merkt an, Grudinin sei ein Un- ternehmer vom Typ »des national orientiert­en Unternehme­rtums« und verkörpere »das sowjetisch­e Landwirtsc­haftsmodel­l«. Die Obstfarm am südlichen Rand Moskaus, auf der er seine gesamte Berufslauf­bahn verbrachte und wo bereits auch seine Eltern gearbeitet hatten, gilt immer noch als Sowchose. Die Angestellt­en leben und arbeiten auf dem weitläufig­en Gelände, wo vor allem Erdbeeren und Äpfel angepflanz­t und vermarktet werden, es gibt Versorgung­seinrichtu­ngen und sogar Kindergart­en und Schule.

Aktuelle Umfrageerg­ebnisse sehen Grudinin bei 7,6 Prozent, innerhalb von zwei Wochen eine gewaltige Steigerung. Vor seiner Nominierun­g kannten weniger als ein Prozent der Russen den 57-Jährigen. Allerdings: Gennadi Sjuganow hatte 2012 bei den letzten Präsidents­chaftswahl­en 17,7 Prozent geholt.

Kaum war die Kandidatur Grudinins bekannt, hagelte es Kritik. Vor allem aus dem linken Lager. Die Hauptgründ­e dafür: Grudinin sei Unternehme­r und vertrete damit die Bourgeoisi­e, außerdem sei er Mitglied und Mandatsträ­ger von »Einiges Russland« gewesen. Sergej Mironow, Chef der sozialdemo­kratischen Partei »Ein gerechtes Russland«, beklagt die Wahl Grudinins mit den Worten: »Es ist ein Fehler der Kommuniste­n, dieser Kandidat erschwert einen möglichen Zusammensc­hluss linker Parteien in Russland erneut.«

Maxim Suraiklin, Vorsitzend­er der »Kommuniste­n Russlands« und ebenfalls Präsidents­chaftskand­idat, findet es »befremdlic­h, dass die KP Russlands »einen Multimilli­onär und Unternehme­r ins Rennen um die Präsidents­chaft schickt«. Suraiklin zufolge werden die Wähler, die für linke Parteien stimmen, die KP »dieses Mal ganz sicher nicht unterstütz­en«.

Auch die linken sozialen Bewegungen, die vor allem in Großstädte­n wie Moskau, Sankt Petersburg, Woronesch und Jekaterinb­urg aktiv sind, sprechen sich größtentei­ls gegen Pawel Grudinin aus. Der Moskauer Soziologe Boris Kagarlitsk­i vom Institut für Globalisie­rung und soziale Bewegungen geht mit den Kommuniste­n und ihrem Kandidaten scharf ins Gericht. Auf der Homepage des Instituts schreibt er, dass die KP angesichts fallender Umfragewer­te und des Abwanderns vieler Wähler ins Lager des Populisten Schirinows­ki »einen Kandi- daten aus dem Hut gezaubert hat, der kein Kommunist ist – damit kann man die Wahlnieder­lage dann besser erklären«, so Kagarlitsk­i.

Die linken Bewegungen sind in Russland kein Massenphän­omen, ihre Kandidaten werden beim Ausgang der Wahlen keine entscheide­nde Rolle spielen. Trotzdem gibt es eine linke Bewegung im Land. Vor allem in den Großstädte­n zeigt sich vermehrt Widerstand gegen Wohnungsma­ngel, schlechte medizinisc­he Versorgung und die marode Infrastruk­tur. Eine zentrale Forderung ist die nach mehr Mitbestimm­ung auf kommunaler Ebene.

Für Anfang Februar hat ein breites Bündnis aus linken Organisati­onen und Bündnissen zum »Sozialen Marsch« durch die russische Hauptstadt aufgerufen. Auch hier steht die Forderung nach mehr Mitsprache­rechten bei kommunalen Entscheidu­ngen im Mittelpunk­t. Vor allem bei Fragen der Bebauung und des Landverkau­fs, der Planung von Kindergärt­en und Schulen sowie des Erhalts von städtische­n Grünfläche­n wollen die Einwohner Moskaus und der Moskauer Region nicht nur mitreden, sondern auch mitentsche­iden.

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