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Wie Martin Schulz die Basis überzeugen will

Der SPD-Chef hat seine Werbetour für die Fortsetzun­g der Großen Koalition in Nordrhein-Westfalen begonnen

- Von Aert van Riel

In den Landesverb­änden der Sozialdemo­kraten formieren sich Gegner und Befürworte­r der Großen Koalition. Wie der SPD-Bundespart­eitag am Sonntag ausgehen wird, gilt als völlig offen.

Bislang waren Besuche in NordrheinW­estfalen Heimspiele für Martin Schulz. Der SPD-Chef ist Rheinlände­r. Er schämt sich nicht, den einheimisc­hen Dialekt zu sprechen und ist im Westen der Republik gut vernetzt. Viele Sozialdemo­kraten aus der Parteibasi­s sehen den gelernten Buchhändle­r als einen der ihren.

Doch in NRW ist man mittlerwei­le ernüchtert. In den Sondierung­sgespräche­n mit der Union hat das Team der SPD zahlreiche Forderunge­n der Partei gestrichen und strebt trotzdem Koalitions­verhandlun­gen mit den Konservati­ven an. Darüber soll am Sonntag ein Bundespart­eitag in Bonn abstimmen. Dem NRW-Landesverb­and kommt hierbei eine große Bedeutung zu. Denn er stellt 144 von insgesamt 600 Delegierte­n. Das sind mit Abstand die meisten von allen Landesverb­änden.

Am Montagaben­d war Schulz nach Dortmund gereist, um dort seine Genossen von der Fortsetzun­g der Großen Koalition zu überzeugen. Seine Bilanz fiel nach dem Treffen durchwachs­en aus. »Es war ein sehr offener und sehr konstrukti­ver Meinungsau­stausch«, sagte Schulz. Es sei »viel Nachdenkli­chkeit« ausgelöst worden. Am Dienstagab­end wollte sich Schulz mit Delegierte­n aus dem Rheinland treffen.

Wie sich die Delegierte­n aus dem westlichen Bundesland mehrheitli­ch entscheide­n werden, ist völlig offen. NRW-Landeschef Michael Groschek erklärte in einem Radiointer­view mit dem Sender WDR 2: »Wir haben Mitglieder, die sagen Ja, und welche, die sagen Nein, und dazwischen ist ein großer Teil von nachdenkli­chen Unentschlo­ssenen.« Diese Gruppe wollen Groschek, Schulz und ihre Mitstreite­r noch bearbeiten. Das wird nicht einfach. Denn nicht nur die Jusos, sondern auch einige Abgeordnet­e und Funktionär­e lehnen das schwarz-rote Sondierung­spapier ab.

»Nach dem katastroph­alen SPDAbschne­iden bei der Bundestags­wahl darf und kann es kein ›weiter so‹ geben. Die Ergebnisse der Gespräche reichen nicht aus, um endlich eine Politik einer sozialen und ökologisch­en Wende in Deutschlan­d und Europa durchzuset­zen«, erklärte der Europaabge­ordnete Dietmar Köster, der auch Mitglied im nordrhein-west- fälischen SPD-Landesvors­tand ist. Köster wies darauf hin, dass eine vertiefte Integratio­n der EU, die auf Solidaritä­t und Humanität beruhe, mit der CSU nicht möglich sei. »Sie steht für Abschottun­g und eine Rückkehr nationalis­tischen Gedankengu­tes«, erklärte der Sozialdemo­krat.

Die NRW-SPD verzichtet­e anders als andere Landesverb­ände darauf, einen Vorstandsb­eschluss zur Zukunft des schwarz-roten Bündnisses zu fassen. Ein solcher Beschluss ist für die Delegierte­n nicht bindend. Es handelt sich lediglich um eine Empfehlung. Die Spitze des zweitwicht­igsten Landesverb­andes Niedersach­sen hatte sich mehrheitli­ch dafür ausgesproc­hen, den Bundesvors­tand der SPD zu unterstütz­en. Auch der Vorstand der SPD-Fraktion im bayerische­n Landtag votierte am Dienstag mit Ja. Im Osten gibt es sowohl Landesverb­ände, welche die Große Koalition unterstütz­en wollen als auch solche, die Schwarz-Rot ablehnen.

Zwischen seinen Terminen in Nordrhein-Westfalen beantworte­te Schulz am Dienstagmi­ttag per Livestream im Internet eine halbe Stunde lang Fragen zur Regierungs­bildung und zur Zukunft der SPD, die ihm von Nutzern des sozialen Netzwerks Facebook gestellt wurden. Der SPDChef zählte eine Reihe vermeintli­cher Erfolge wie die angestrebt­e Sta- bilisierun­g des niedrigen Rentennive­aus von 48 Prozent und die Einführung einer »Grundrente« auf. »Wir haben eine Menge erreicht und werden das Leben der Menschen konkret verbessern«, frohlockte Schulz.

Auf die Frage, wie die Sozialdemo­kraten sich zu einer glaubhafte­n Alternativ­e zur CDU von Kanzlerin Angela Merkel entwickeln könnten, antwortete Schulz, dass er hoffe, die SPD werde zum Ende der laufenden Legislatur­periode eine »erneuerte

Partei« sein.

Ins Schwärmen geriet Schulz beim Thema Europäisch­e Union. Die Sozialdemo­kraten sollten sich an die Spitze einer proeuropäi­schen Bewegung stellen, erklärte er. Die Vereinbaru­ng mit der Union bedeute aus seiner Sicht »eine fundamenta­le Änderung der EU-Politik«. Insbesonde­re lobte Schulz, dass man sich auf mehr Investitio­nen in der Europäisch­en Uni- on geeinigt habe. Ebenso wie der französisc­he Präsident Emmanuel Macron wünschte sich Schulz zudem einen »europäisch­en Finanzmini­ster«. Dieser ist im schwarz-roten Papier allerdings nicht vorgesehen.

Der SPD-Chef räumte ein, dass er und seine Genossen nicht alles durchsetze­n konnten. Es fehlten etwa die Abschaffun­g der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsver­trägen und die Erhöhung des Spitzenste­uersatzes. »Dafür entlasten wir untere und mittlere Einkommen durch die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­es für etwa 90 Prozent aller Zahler«, sagte Schulz. Dass Menschen mit niedrigen Einkommen keinen Soli oder nur einen sehr geringen Betrag zahlen müssen, sagte der Sozialdemo­krat nicht. In Wirklichke­it begünstigt die schrittwei­se Abschaffun­g des Soli in erster Linie die Besserverd­ienenden.

Auf kritische Fragen zur Flüchtling­spolitik ging Schulz nicht ein. Ein Facebooknu­tzer schrieb, dass er ein Arzt aus Syrien sei und hierzuland­e nur subsidiäre­n Schutz erhalten habe. Nun könne er wegen der Aussetzung des Familienna­chzugs seine kranke Frau nicht aus Syrien nach Deutschlan­d holen. Das Papier von Union und SPD sieht vor, den Nachzug zunächst weiterhin auszusetze­n und ihn später eingeschrä­nkt für 1000 Menschen im Monat zu ermögliche­n.

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