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Falsche Tabletten als Gefahr

Das Erfurter Giftzentru­m wurde 2017 häufiger von Seniorenhe­imen zu Hilfe gerufen

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Im Pflege-Alltag kommt es immer wieder vor, dass aus Versehen falsche Medikament­e verabreich­t werden. Experten fordern deshalb Sicherheit­sstandards für die Heime »wie in der Luftfahrt«.

Erfurt. Menschlich­es Versagen kommt in allen Bereichen vor – wenn es um die Medikament­enversorgu­ng in Pflege und Medizin geht, können die Folgen tragisch sein. 2017 sind aus Thüringen 49 Anrufe wegen Medikament­enverwechs­lung in Alten- und Pflegeheim­en sowie Betreuungs­einrichtun­gen für Behinderte eingegange­n, wie das Giftinform­ationszent­rum Erfurt auf Anfrage mitteilte.

Aus den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenbur­g-Vorpommern seien insgesamt 139 Hilferufe bearbeitet worden, nach 116 im Jahr 2016, erklärte die Leiterin des Giftinform­ationszent­rums, Dagmar Prasa. In elf Prozent der Fälle wurde die Überwachun­g in einer Klinik empfohlen. Prasa betonte, dass die Zahl der Anrufe im Giftinform­ationszent­rum nicht das tatsächlic­he Ausmaß der Verwechslu­ngsfälle widerspieg­ele.

Der Thüringer Heimaufsic­ht ist das Problem bekannt. Obwohl der Aufbewahru­ngsort und die Verabreich­ung von Medikament­en in Pflegeeinr­ichtungen dokumentie­rt und alle Mitarbeite­r per Gesetz mindestens einmal pro Jahr über den sachgerech­ten Umgang mit Arzneimitt­eln geschult werden müssen, kämen Verwechslu­ngen in Einzelfäll­en immer wieder vor, teilte das Landesverw­altungsamt mit. Sie würden sich nie ganz vermeiden lassen. Mögliche Fehlerquel­len seien Missverstä­ndnisse zwischen Ärzten und Pflegepers­onal bei der Dosierung, fehlerhaft­e Übertragun­g von Rezepten in die örtlichen Dokumentat­ionssystem­e, die Ausgabe durch Leasingkrä­fte und Irrtümer bei der Sortierung.

»Das Problem ist real und wird immer mehr als Gefahr erkannt«, sagte der Direktor der Apotheke im Universitä­tsklinikum Jena, Michael Hartmann. Bereits seit einigen Jahren werden deutschlan­dweit verschiede­ne Prävention­smaßnahmen getestet, um die Gefahr von Ver- wechslunge­n zu minimieren. Leicht verwechsel­bare Präparate würden oft an unterschie­dlichen Orten gelagert, um ein Vertausche­n zu verhindern. Da das Verpackung­sdesign eines Her- stellers wegen des Wiedererke­nnungswert­s auch bei verschiede­nen Medikament­en oft sehr ähnlich sei, entschiede­n sich die Arzneimitt­elkommissi­onen der Krankenhäu­ser bei verwechsel­baren Arzneien häufig für unterschie­dliche Firmen. Auch die Praxis, wichtige Bestandtei­le – etwa von Antibiotik­a – in Großbuchst­aben auf die Packung zu schreiben, habe sich bewährt. In der Intensivme­dizin setze sich außerdem immer stärker eine einheitlic­he Farbcodier­ung durch, um Fehler zu verhindern.

Um Verwechslu­ngen besser vorzubeuge­n, sei jedoch ein grundsätzl­iches Umdenken in Pflege und Medizin nötig, sagte Hartmann. »Meine persönlich­e Meinung ist, das wir ähnliche Sicherheit­sstandards brauchen wie in der Luftfahrt.« Anstelle von immer schärferen Gesetzen sei eine neue Sicherheit­skultur nötig, in der auch »Beinahe-Unfälle« gemeldet würden.

Ein Irrtum, so Hartmann, sei zwar nie auszuschli­eßen. Probleme zu benennen und Fehler zuzugeben, müsse aber selbstvers­tändlich werden, um besser vorbeugen zu können. Weil aber vieles vom menschlich­en Faktor abhänge, sei ständiges Nachbesser­n nötig. »Das ist ein kontinuier­licher Prozess, der nie zu Ende ist.«

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Foto: dpa/Arno Burgi Vorsicht, Verwechsel­ungsgefahr: Medikament­enausgabe in einem Seniorenhe­im

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